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Sonntag, 22. März 2015

Strafe als Wiederherstellung der Würde

In der Strafe erst wird derjenige, der eine Pflicht verletzt, gegen ein Gesetz handelt, wieder in diese Gesetzlichkeit und -würdigkeit aufgenommen. Simone Weil spricht deshalb sogar von einem lebensnotwendigen Bedürfnis des Menschen nach Strafe. Erst in der Strafe erweist eine Gemeinschaft, ein Staat, demjenigen, der ihre Pflichten verletzt hat, Respekt.

Denn in einem Verbrechen, einem Verstoß, verletzt der Täter seine ewige Pflicht einer Gemeinschaft gegenüber, der er doch angehört hat, und die alle aneinander (im besten, weil das Leben fundierenden Sinn) binden. Erst durch die Strafe kann er wieder in diese Gemeinschaft aufgenommen werden. Denn durch den Schmerz, den sie verursacht, erbringt er gewissermaßen sein geläutertes Bekenntnis, ihr wieder zugehören zu wollen. Und erst über diesen Akt - nicht als "Anspruch", den man ihm quasi nachwirft - kann er in diese (wechselseitige) Bindung wieder aufgenommen werden.

Man erweist dem Gesetzesübertreter also Respekt, und gibt ihm die Möglichkeit, sich tatsächlich wieder zu rehabilitieren, wenn er einsichtig ist (sonst bleibt der Wiedereintritt bzw. die Wiederaufnahme unvollständig oder gar nicht vollzogen.) 

Als reines System des Zwangs und Schreckens ist deshalb ein Strafsystem völlig verfehlt. Denn alles, was mit Strafe und Gesetz zu tun hat, muß in eine Sphäre des Feierlichen, Unantastbaren gehüllt sein. Die Majestät des Rechts muß sich dem Richter oder der Polizei, dem Angeklagten oder Verurteilten mitteilen, und zwar selbst bei nicht so wichtigen Angelegenheiten, sobald sie den Verlust der Freiheit nach sich ziehen könnten. 

Die Bestrafung ist deshalb eine Ehre! Sie tilgt die Schande des Vergehens, und muß als eine zusätzliche Erziehung betrachtet werden, in der ein Täter zu einem höheren Grad der Ergebenheit einem Gemeinwesen gegenüber verpflichtet wird.*

Die Art der Justiz, der schlechte Ruf der Polizei, die Leichtfertigkeit der Justizbeamten, die endgültige Deklassierung von Vorbestraften und so weiter - sie sind Indizien dafür, daß es gar nichts mehr gibt, das den Namen Strafe verdient. 

Entscheidend ist nämlich das Gefühl der Gerechtigkeit, das den Verurteilen begleiten muß. Weshalb Weil sogar so weit geht zu fordern, daß es bei sozialem Auf- wie Abstieg größere Bandbreite von Straflosigkeiten braucht, weil die Betroffenen sonst ihre Strafe allzu leicht als bloße Reaktion der Macht empfinden. Ein Strafsystem muß eben im Bestraften ein Gefühl für Gerechtigkeit hervorrufen, sonst wird es unmenschlich und eigentlich sinnlos. Das muß der Schmerz bewirken könne, oder, wenn es gar nicht anders geht, der Tod, der dann in ultimo ratio gleichfalls den Namen des Verurteilten rettet, weil in die Gemeinschaft reintegriert.

Denn der Sinn der Strafe ist, daß die Gerechtigkeit in die Seele des Verurteilten wieder eintritt. Durch ihren Schmerz geht diese gewissermaßen "in Fleisch und Blut" über.




*Der Täter wird nicht zum unfreien Produkt irgendwelcher Umstände erklärt, sondern er wird als freier Mensch behandelt, der diese Freiheit aber auch tragen muß, sonst - wie denn auch? - kann man ihm keinen Respekt als Mensch zollen.

Weil Strafe also Eigentümlichkeit jeder Gemeinschaft ist, muß ein sozialer Gesamtbau langfristig aus Zerrüttung zusammenbrechen, wenn nicht jede Gemeinschaft auch ihrem Wirkkreis angemessene Strafrituale und -maßnahmen hat. Dies gilt insbesonders auch für die Familie und die Züchtigung von Kindern. Denn es gibt dann keine Reintegration unter der Staatsebene, und damit keine sozialen Einheiten, und damit keine soziale Einheit mehr. Der Staat darf nur subsidiär wirken! Wer glaubt, er würde besondes barmherzig sein, weil er Strafe abschafft, handelt nicht barmherzig, sondern verantwortungslos, zumindest lieblos, wenn nicht verbrecherisch. Der Täter hat ein RECHT auf Strafe. Nur über sie ist eine Reintegration als freier Mensch möglich.

Aus Barmherzigkeit - einem freien, ungeschuldeten Akt des Rechtsrepräsentanten - eine Strafe zu erlassen hat nur dort Sinn, wo der Wiederaufnahmewille des Täters praktisch bewiesen ist, und wo dieser freiwillig Lasten, Schmerzen, Läuterung auf sich genommen hat oder nimmt, die diese akthafte, neuerliche Unterwerfung unter die Gemeinschaft beweisen. Weshalb etwa der "Ablaß" (der dem Straferlaß dient) immer mit einer freiwilligen Leistung verbunden ist. Barmherzigkeit darf niemals Schwäche des Rechtssystems sein, weil sie sonst ungerecht ist.




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