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Samstag, 7. März 2015

Erkennen braucht Bestimmtheit

Etwas, das nur möglich bleibt, kann gar nicht erkannt werden. Denn im Erkenntnisakt wird die Form des Erkenntnisgegenstandes zur Teilhabe der Erkenntnis als Fähigkeit, die selbst nur eine Möglichkeit ist, an dieser einen Form, die wirklich sein muß. Das macht die nur mögliche Erkenntnis zu einer wirklichen Erkenntnis, zum Wissen.

Illustrieren wir das vereinfachend an einem Beispiel: Was Lehm ist, wird nicht (bzw. nur in einer sehr einfachen, allgemeinen Stufe) durch einen Klumpen erkennbar. Was Lehm aber weiter ist (weil sein kann) wird erkennbar, wenn wir Töpfe und Krüge und Kunstwerke und Ziegel sehen - über die Formbestimmtheit bzw. Idee also, die dazukommt. Plötzlich wird es ein Lehmkrug, eine Lehmfigur und Kunst, ein Lehmziegel. Bzw. ist der Lehm ja zuvor auch schon ein Lehmklumpen, also ein Etwas durch Form. Sonst würden wir Lehm überhaupt nicht erkennen können, er wäre gar nicht wirklich, bestenfalls möglich, hätte er nicht bereits eine Form. Es gibt also nichts für den Menschen Erkennbares und Wirkliches, das nicht eine Formbestimmtheit hat. (Aus einem "Irgendwas" wird auch keine Erkenntnis, das Erkennen bleibt "irgendwie". Damit könnte man nicht einmal einen Liter Milch kaufen, man könnte dem Verkäufer gar nicht sagen, was man wollte, und würde sie auch nicht im Regal finden.)

Diese metaphysische Grundeinsicht hat enorme Konsequenzen bis hinein in die Pädagogik und Psychologie der Identität. Denn es verweist auf den Zusammenhang von Identität und Erkenntnis, also auch des schulischen Lernens und Wissensvermittelns. Etwas, das nur im Möglichen bleibt, kann nicht gewußt werden! Und jemand, der nur im Möglichen bleibt (weil "alles möglich bleiben soll") kann nicht erkennen, kann nicht wissen. Die Erkenntnisfähigkeit im Menschen ist aber etwas, das entwickelt werden muß, durch aufsteigende Bestimmtheit, die dem Kind durch zuerst noch recht umfassende, erst mit der Zunahme seiner Erkenntnis (im sittlichen Reifen) bzw. seines Wissens allmählich zurückweichende Notwendigkeit als Vorgabe noch gegeben werden muß. Das Kind kann sich nicht erkennen, ihm fehlt die materiale Disposition dazu (also schon die rein körperliche Vollkommenheit), und deshalb kann es auch nicht wissen, was für es gut ist.

Die Aufgabe dieses Prinzips gerade in der Schule, die mittlerweile seit Jahrzehnten diesen Irrtum immer durchdringender zelebriert, und heute in der Genderideologie endgültig verbrecherische Dimension annimmt, weil sie schon ganz erste Ansätze zur Erkenntnisfähigkeit vernichtet, zeigt sich nicht zuletzt auch in der Rolle und im Aufkommen der social media, die sich deutlich auf diese Verquickung von Identität und Wissen beziehen und zugleich alles und jeden in Ambivalenz halten.

Damit wird sogar Erkennbarkeit und Geliebtheit (bzw. Liebesfähigkeit) an eine Maschine gekoppelt, das Bediengerät sowie die Maschine der Informationsverarbeitung im Internet bzw. den öffentlichen Medien. Man spricht hier fälschlich vereinfachend und quasi moralisierend (weil bei bestimmtem Verhalten beherrschbar) von "Sucht". Es ist für viele eine existentielle Notwendigkeit geworden, und zwar umso mehr, je mehr es fehlende Bestimmtheit als Zustand aufrechthält, gleichzeitig an vorgegebene Bestimmtheiten (Internet als Kommunikationsmittel fördert fast unausweichlich Fanatismus, Entzweiung durch Meinungsfronten, und verwandelt jede Erkenntnis in eine identitäre Funktion) kettet, weil diese identitär grundbedeutend werden. Weil Erkenntnis (als Tor zum Sein als bzw. in der Vernunft) ja nur über ein außenliegendes Bestimmtes kommen kann.

Gleichzeitig steigt genau durch dieses Hineinstoßen in Unbestimmtheit die Neigung (als Ersatzhandlung für ein an sich unstillbares weil im Sein haltendes Verlangen: zu erkennen), sich Führerpersönlichkeiten - Personen, die Bestimmtheit vorgeben oder tatsächlich haben, auch in der Festlegung auf Falsches, das ist gleichgültig - oder ideologischen Bewegungen völlig (meist freilich in Form verdeckter Umwegshörigkeit, die also von bekannten Formen der Hörigkeit abweicht, aber dasselbe ist - immer "für Gutes", jenes Gute nämlich, das als fast einzige Bestimmtheit der Jugend zum Fraß vorgeworfen wird, an dem sie ihre Freiheit erstickt; es gibt keine "gute" Hörigkeit!) zu unterwerfen.

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Als der VdZ vor einiger Zeit an einer Hochschultagung zu einem der Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils, NOSTRA ATETATE, teilnahm, wo auch die Wirkungsgeschichte dieses Dokuments erörtert wurde, wurde exemplarisch ein schwieriges Problem praktisch sämtlicher Konzilsdokumente deutlich: Denn darin wurde fast als Prinzip etwas aufgegeben, das durch die von den meisten kaum wahrgenommene Präambel (gedacht als Rückbindung an die einzige wirkliche Interpretationsautorität, die bisherige und gesamte Lehre und Autorität der Kirche) in der praktischen Wirkung bestenfalls für bereits tief Eingeweihte zu retten war: Das Prinzip der Bestimmtheit, Entschlossenheit in kirchlichen Texten. 

Gerade an Nostra Aetate zeigt sich, wie ein Text, der fast nur noch im Bereich des Möglichen bleibt, weil er in seiner Absicht auf Versöhnung alles Differenzierende bewußt wegläßt, quasi austeste, was noch sagbar wäre, ohne den Boden des Katholischen noch zu verlassen, ohne aber gleichzeitig dieses Katholische mit anzuführen (siehe: Präambel ...), die Türen weit aufreißt, in denen alles (und nichts) mehr herauszulesen ist. Denn natürlich kann man nicht direkt sagen, daß etwas "Falsches" in den Dokumenten steht. Aber dieses Richtige braucht bereits einen Hintergrund der Bestimmungsfähigkeit, der den meisten, zumal den einfachen Gläubigen, einfach fehlt.

Daß sich als direkte Folge dieser Dokumente, die für viele folgerichtig eine regelrecht "neue" Lehre verkündete, sowohl die Liturgie wie auch das Glaubenswissen, noch mehr aber die Identität als Katholik, aufzulösen begann, liegt auf der Hand und ist ja auch passiert. Indem sich die Kirche als "möglich" präsentierte, wurde sie unerkennbar, damit auch nicht weiter liebbar. Zumal sie damit  sogar Grundprinzipien der Vernunft scheinbar aufgab. Es ist auch keineswegs verwunderlich, daß ein Papst wie wir in nun haben, der der erste Papst ist, der bereits nach dem Konzil zum Priester ausgebildet und geweiht wurde, in seinem Reden sich genau dieser Möglichkeitsform bedient. Und damit für allen und jeden schon deshalb konveniert, weil sich alles (und nichts) aus seinen Verkündigungen herauslesen läßt, denen auch keine befestigende Tat - man nennt genau diese Auflösung der Bestimmtheit im Handeln "Pastoral" - zur mehr Bestimmtheit verhülfe. Während die Neigung (s.o.) sich einer Führerfigur (Papst, im besonderen in der Rolle für die "Jugend") in Hörigkeit zu unterwerfen steigt, was als "Notwendigkeit der Zeit" zu bezeichnen natürlich nichts als Zynismus ist.




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