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Donnerstag, 5. März 2015

Materie ist empfangend - oder sie ist nicht

Der Materialismus wie der Pantheismus, schreibt Ceslaus M. Schneider einmal, denken einfach nicht konsequent genug. Denn sie gehen von einer materia prima aus, die keineswegs mehr die reine Möglichkeit ist, sondern setzen an einer bereits mit Form bedachten Materie an. Also einer, die aus der reinen Möglichkeit bereits in ein Etwas übergegangen ist, aus dem sich dann alles weitere Weltsein entwickelt.

Aber Materie kann nur als reine Potenz in ihrem Ursprung gedacht werden. Sie ist die reine Empfänglichkeit, die durch die sich eingießende Form zu einem Etwas wird. Nur in diesem prinzipiellen Zueinander, die sich als Eigenschaft über allen weiteren Gestaltstufen gleichermaßen zeigt, kann die Materie als Erstursache der Welt gesehen werden. Denn aus Möglichem kann nur Mögliches herstammen. Es braucht immer ein hinzukommendes Wirkliches, also im letzten (und ersten) die reine Wirklichkeit, Gott, an welcher reinen Wirklichkeit dann alles Wirkliche Anteil hat, so wie alles Materielle an der reinen Materie Anteil hat. Die damit auch nicht aus sich selbst entstanden sein kann, weil auch die materia prima ein Sein hat, das aber nicht aus ihr selbst stammen kann. Ex nihil nihil fit - Aus nichts wird nichts.

Der reine Stoff, schreibt er, kann nur als rein Empfangendes gedacht werden, das sein Sein erhält. So ist seine Natur, und alles kann nur seiner Natur gemäß handeln. Das in seinem Gestaltwerden aber ein Gebendes voraussetzt. Dieses Gestaltsein ist eben das Sein des Seienden selbst, und es ist deshalb ein grundlegend Empfangendes, das nicht aus sich zum Sein kommen kann, sondern nur aus der Ehe von Form + Stoff, von Akt und Potens.  

Denn die Gestaltwerdung ist der Prozeß, sich mehr und mehr im Sein zu befestigen, sich im Sein in diesem Prozeß des Zueinander zu aktualisieren (wirklich zu werden), und nur so ist auch Entwicklung denkbar. Fällt dieser Prozeß des Empfangens (und Aufnehmens) weg, fällt das Seiende, das Etwas, das Ding - ins Nichts, fällt zurück in die reine Möglichkeit, weil es die Form ablehnt.² Was seine Gestalt verliert, verliert sein Sein.* (Das nur möglich Gebliebene hat aber keine Gestalt.)

Denn jede Gestalt ist selbst wieder eine Informiertheit dieser materia prima. Ob im Stein oder im Tier oder im Mensch, immer sind die vorgefundenen Moleküle und Atome keine für sich möglichen Einzelteile, sondern tragen eine aus der Spitze der Gestalt strömende Informiertheit, als Teil eines Ganzen, das von seinem Zentrum her - der Form, der Idee - eine materia prima, einen formlosen Urstoff informiert, der als Gestalt (Ding) dann Anteil am Sein hat.³

Das, was in der Besitzergreifung (=Tugend, Sittlichkeit) gemeint ist, ist auf dieser Ebene nichts anderes als die vollkommene Informierung aller leiblichen Teile durch den Menschen (in diesem Sinne also Eigentümer) selbst, der SO am Sein teilhat bzw. der Materie Sein gibt. Wobei diese Seele, dieses Prinzip, wiederum dieselbe Eigenschaft als materialer Träger - Geist - hat: Sie empfängt ihr Sein vom Geist, in der Erkenntnis, in der Wahrheit, die ihr durch die Leiblichkeit, das Gestaltsein alles Seienden, vermittelt wird.**

Weil aber der Materialismus wie Pantheismus von einer rein stoffimmanenten Entwicklung ausgehen WILL - denn er WILL den Geber allen Seins, das Sein, Gott, ausschließen - muß er auch von einer bereits die Urstufe überschreiten habenden Materie ausgehen, die vom nur Möglichen (der völlig ohne Form gedachten materia prima) bereits ins Aktuelle übergegangen ist.


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Das findet sich ja ganz exakt auch in der Quantenphysik, die ja eine Suche nach der materia prima ist. In der die kleinsten Teile der Materie immer mehr zur uninformierten, gestaltlosen Möglichkeit werden. Interessanterweise scheitern auch alle materialistischen Theorien in der Quantenphysik genau daran: daß sie ein erstmaterielles Teilchen annehmen müssen, das bereits informiert IST weil anderes Erstmateriales informiert. Der Regress materialer Verursachung - siehe Aristoteles' Gottesbeweis - ist eben nicht endlos möglich. Materie läßt sich eben nicht als aus kleinsten Teilen zusammengesetzter Komplex vorstellen. Sie ist zuerst reine Möglichkeit. 

Die sogar schon jeder Meßvorgang in eine Form hineinstellt, also zu einem etwas macht, das aus der Herausforderung der Meßmethode und Versuchskonstellation als Hinzukommendes informiert wird. (Meßvorgänge beeinflussen und präformieren selbst das Gemessene.) Weshalb die Quantenphysik zur Mathematik und Erkenntniskritik werden muß, weil sie in jeder Empirie bereits an dieser verändernden Grundvoraussetzung scheitert. Die Physis, die sie sucht, wird sie niemals empirisch finden. Die gesamte Quantenphysik der letzten Jahrzehnte hat aus dieser Sicht nichts anderes gemacht, als eine metaphysisch "immer" schon klare Aussage über die Materie zu beweisen (oder sie erfolglos zu widerlegen versucht). Die Physik wird also immer nur noch kleinerer und noch kleinere Teile finden, weil meßbar nur ist, was bereits informiert IST. Ihr bliebe nur der Ausweg, sich in Metaphysik zu wandeln. Und damit ... wäre sie dort, wo sie bis ins hohe Mittelalter stand. Damit wäre sie dort, wo das Buch Genesis mehr zur Physik beiträgt, als jedes Labor es je vermochte.

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²Ein Beispiel aus dem Alltag, das das Gesagte illustriert: Wenn ein Schmied ein Stück Eisen mit Hammerschlägen formen möchte, und dieses zerspringt, so sagt er: Das Eisen sträubt sich. Oder: Es ist spröde. Dieses letztere Wort wird (im Sinne von: widerständig, widerwillig) auch für einen Menschen verwendet, der sich nicht fügen will: er will eine Form nicht annehmen und zur Gestalt bringen.

³Gott Vater - und es ist durchaus zulässig, es gleichnishaft auf den physischen Vater in der Zeugung zu übertragen, so wie der Same das Ei informiert, so wie der Sprechende, Nennende, den aufnehmend Hörenden informiert (das Wort Materie kommt von mater/Mutter) - ist also der "Informierende". Jesus sagt selbst deshalb, daß er nur das sage, was er vom Vater gehört habe.

*Diese Grundaussage läßt sich sofort überführen in recht konkrete Probleme der Gegenwart. Wenn etwa die Pädagogik die Menschen durch auflösen ihrer Herkunftsidentität zur reinen Möglichkeit zurückführt, fördert sie auf der einen Seite die Gier nach Informiertheit (der junge Mensch nimmt also wahllos weil urteilsentmündigt auf und läßt sich formen), weil sie auf der anderen Seite den jungen Menschen ins Nichts des "alles ist möglich" zurückwirft. Daß in so einer Grundhaltung der Erziehung natürlich auch Allergien, Autoimmunkrankheiten, seelische Phänomene der Desintegration (wie ADHS) immer stärker auftreten, ist logische Folge. Das, was heute als "Erziehung zur Kritikfähigkeit" schon in jüngsten Jahren angewandt wird, ist deshalb eine perverse Kombination von Indoktrinierung und Desintegration aus allen identitären, mitgebrachten Informationsgeflechten. 

Die Folge ist ohne jeden Zweifel eine innere Spaltung des Menschen, und zwar aus der Unwahrheit der nun erfolgenden Information durch Formeinströmung (weil es somit ja auch den Mythos der Gegenwart, die präfigurierte Person, gibt, in der "jeder Mensch ein Genie" mit für sich stehenden "Talenten" wäre, oder ähnliches, sodaß das durch den Erziehungsprozeß Informierte (Selbst) in Widerspruch zur menschlichen Natur gerät, der nur äußerst schwer vom Betroffenen aufzulösen ist, weil er sehr früh bereits in positivistische Konstrukte wie in eine Zwangsjacke eingesperrt wird. Die heutige Erziehung des Rückgriffs auf das "alles ist möglich" (s. u. a. Rousseau) macht also genau das, was zu verhindern sie vorgibt: Sie lähmt die Freiheit der Menschen, und preßt sie in ideologische Konstrukte, die sie als "Freiheit" etikettiert: der sich so noch "frei" bezeichnende Mensch ist aber nur noch jemand, der das Etikett "Freiheit" als Schlüssel zur Entformung vor sich her zu tragen gelernt hat.

**Was als Hölle zu verstehen ist, ergibt sich also aus dem Verlust der Fähigkeit, zur Gestalt zu kommen beziehungsweise am Sein teilzuhaben (was somit eben auch als "völlige Absenz von Vernunft" verstanden werden kann, wie es der VdZ in einem seiner Theaterstücke darlegt). Der Höllenbewohner bleibt gewissermaßen in der Möglichkeit, weil er mangels Vernunft nicht am Sein (des Selbst als Seiendes) teilhat. Theresia von Avila hat eine ihr zuteilgewordene Höllenerfahrung genauso übrigens beschrieben: Als totale Eingemauertheit. 

Die Klaustrophobie sowie das unsägliche, leicht wahnsinnig machende Gefühl das in einer eng anliegenden Zwangsjacke entsteht oder jenes, wenn man in einem ganz engen Rohr steckt, machen diese ontologische Tatsache erfahrbar. In dieselbe Kategorie, nur methodisch umgekehrt, fällt das Experiment, in dem man (vor etlichen Jahren) Versuchspersonen in Räume eingeschlossen hat, in denen alle sinnliche Erfahrung (außer Tastsinn) fehlte: dunkel, schalldicht etc. Nach etlichen Stunden mußte es abgebrochen werden, weil einige am Rande des Wahnsinns waren. Deshalb ist es eine beliebte Foltermethode, auch des CIA (der, wie bekannt wurde, Terrorverdächtige in enge, dunkle Kisten einsperrte). Wie sich also Menschen im Zustand von eingefrorenen Embryonen fühlen müssen, wie sich das auf ihr späteres Leben auswirkt, wenn sie wieder aufgetaut werden um sich zu entwickeln, mag man sich selber ausmalen, das nur nebenbei.




*050315*