Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 6. März 2015

Selber richtig leben - darum geht's! (1)

Dieses Interview ist wirklich gut, und man sollte es lesen. Klar, knapp, präzise schlägt Robert Spaemann, wenn man genau liest, dutzende Fliegen mit einer Klappe. Denn er berührt viel mehr Themen als "nur" das Thema Sterben: neben überraschenden Einsichten zu Rechtsprinzipien ("Recht kann nur das Personenübergreifende regeln, nicht das, was nur eine Person selbst angeht. Selbstmord zu verbieten ist falsch, das ist eine Frage der persönlichen Sittlichkeit.") solche der Anthropologie, ja sogar Fragen der Kirchendisziplin und des persönlichen Lebens als Katholik.

Man sollte also achtgeben, nicht zu rasch zu einfache Antworten herauszulesen und zufrieden zu murmeln "Ja, klar, gegen Sterbehilfe muß man sein, wissen wir." Langsame Lektüre lohnt hier! Sehr deutlich wird in dem Interview nämlich, wie Fragen der Lebenspraxis direkt aus prinzipiellen Sichtweisen hervorgehen, und wie zusammenhängend, wie weit und wie weit verästelt jene wirken.
Gegen Gepflogenheiten soll es wieder einmal ausnahmsweise zur Gänze fürs Archiv in der Form gebracht werden, in der es auf der Webseite des Bistums Regensburg erschien. Alle Rechte liegen aber beim Bistum Regensburg.

Über ein Sterben in Würde


Robert Spaemann - Bildrechte: Bistum Regensburg
Der renommierte Philosoph Prof. Robert Spaemann spricht im Interview mit Julia Wächter über paradoxe Verschiebungen im Begriff der Würde, über Gefahren, die sich aus einer Legalisierung des assistierten Suizids ergeben würden, sowie über die Aufgaben der Kirche und jedes einzelnen Menschen.
Der Begriff "Sterben in Würde" wird sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern der Sterbehilfe verwendet. Wie kommt es zu dieser mutmaßlichen Verschiebung und Umdeutung im Begriff der Würde?
Die Würde kommt nicht dem Menschen als einem ausschließlich organischen Lebewesen zu, sondern deshalb, weil er ein spirituelles Subjekt, ein Ich ist. Es wird aber immer stärker eine Trennung zwischen dem Menschen als biologischem Wesen und einem über der Materie schwebenden Ich vorgenommen. Die Anhänger des Selbstmordes sprechen davon, dieses Ich würde mit dem Tod verschwinden. Folglich hätte der Mensch, der dann kein Mensch mehr wäre, keine Würde mehr. Dabei wird er nicht als Leib-Seele-Wesen verstanden, sondern – man müsste eigentlich sagen – als eine reine Seele. Das ist natürlich paradox, weil diese Leute meistens zugleich Biologisten und Materialisten sind. Sie müssten eigentlich die entgegengesetzte Theorie vertreten. Die ganze moderne Ideologie leidet unter einem tiefen inneren Widerspruch und das zeigt sich gerade an der Doppelbedeutung des Wortes Würde.
Angenommen, ein Mensch, der Suizid begeht, ist der Überzeugung, dass mit dem Tod alles ein Ende nimmt. Wie kann dieser Mensch trotz der Härte seines Daseins ein – aus seiner Sicht – "Nichts"  bevorzugen?
Sein Dasein wird diesem Menschen immer unangenehmer und so kommt es zum Bilanzselbstmord. Man wägt Vor- und Nachteile ab und entscheidet anschließend, welcher Pol überwiegt. Der Mensch macht sich somit selbst zu einer Sache. Solidarität mit dem Sünder, aber klare Missbilligung der Sünde ist hier zu fordern.
Ist die Auffassung, der Mensch könne nicht absoluter Herr über sein eigenes Leben sein, auch bei Nichtgläubigen rechtfertigbar?
Das ist keine Erfindung der Christen. Schon Sokrates schrieb, das Leben sei uns geschenkt. Ein Ungläubiger jedoch glaubt nicht daran, dass der Mensch einen Herrn hat. Höchstens Argumente, die auf dem Naturgesetz basieren, könnten von ihm als sinnvoll erachtet werden. So kann man auch das Verbot der Beihilfe zur Tötung aus den Erfordernissen der allgemeinen Sicherheit verdeutlichen. Der Mensch muss gegenüber allen seinen Mitmenschen seines Lebens vollkommen sicher sein. Und das ist er nicht mehr, wenn es eine Tötungserlaubnis gibt. Der Mensch ist nicht absoluter Herr über sich, sondern er muss auch die anderen respektieren. Wenn er wirklich ungläubig ist, wird er eventuell sogar die Pflicht gegenüber dem Nächsten nicht respektieren. Dann führt die Argumentation dem hartnäckigen Ungläubigen gegenüber nicht zum Erfolg. Es gibt allerdings wenige Menschen, die wirklich gewiss sind, dass es keinen Gott gibt. Die meisten Menschen heute sind Agnostiker: Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, vielleicht ja, vielleicht nein. Einem solchen Menschen gegenüber kann man noch argumentieren, beispielsweise mit der Pascalschen Wette: Wenn nichts auf dem Spiel stünde, wäre es vielleicht egal, ob es Gott gibt. Wenn es aber um die Ewigkeit geht und wenn man nur einen Hauch von Zweifel an einer absoluten Gottlosigkeit hegt, dann gilt die Prämisse, so zu handeln, als wenn es die Wahrheit wäre. Der Glaube ist eine große Freude und ein Trost. Was hätte man verloren, wenn es Gott nicht gäbe? Gar nichts.
Gibt es ein objektives richtig und falsch im Falle des Sterbens oder kann jeder für sich selbst entscheiden, was "würdig" ist?
Am Ende wird dieser letzte Schritt des Sterbens nicht mehr in vollem Bewusstsein vollzogen. Aber das ist bei dem Selbstmörder genau dasselbe wie bei demjenigen, der eines natürlichen Todes stirbt. Das Sterben in Würde ist ja ein Sterben, das ein leib-seelischer Vorgang ist. Der Mensch stirbt, indem die Seele sich vom Leib trennt. Es stirbt nicht der Organismus für sich und es stirbt nicht die Seele für sich, sondern der Tod ist ein auf den ganzen Menschen Bezogenes.
Auch für die Todeskriterien in Hinblick auf die Hirntoddebatte ist das wichtig. Wann tritt eigentlich der Tod ein? Traditionellerweise war es so, dass der Mensch für tot erklärt wurde, wenn er nicht mehr atmet. Dann hat man früher vorsichtshalber einen Arzt dazu gezogen, der prüfen musste, ob die Angehörigen, die sehen, dass er gestorben ist, Recht haben oder ob da doch noch etwas Leben ist. Damals holte man den Arzt also, um sicher zu sein, jemanden nicht vorzeitig zu töten. Und manchmal konnte er sagen: Moment, dieser Mensch ist noch nicht tot. Es gibt noch eine Spur von Atem beispielsweise. Jetzt aber ist es genau umgekehrt. Bei der künstlichen Lebensverlängerung, wenn ein Mensch an Apparate angeschlossen ist und nur durch deren Hilfe am Leben bleibt, wird heute oft davon gesprochen, der Mensch sehe nur lebendig aus, er atmet noch und hat noch eine rosige Gesichtsfarbe, aber das sei alles nur wegen der Maschinen. In Wirklichkeit aber sei er tot – ein Appell zur Organentnahme. Der Arzt spielt nun die umgekehrte Rolle. Früher war es die Rolle der Vorsicht, nicht zu früh jemanden zu begraben. Jetzt dient er dazu, die Skrupel beiseite zu räumen und zu sagen: Lass mal, der ist tot.
In der Harvard-Definition war der Tod des Menschen der Hirntod. Das hatte dann zur Folge, dass man Leuten die Organe entnahm, die gar nicht wirklich tot waren, und im Grunde wussten die Ärzte das auch. Warum haben sie sonst den Menschen bei der Organentnahme eine Narkose gegeben? Gibt man Leichen eine Narkose? Inzwischen ist deutlich geworden, dass die ganze Hirntoddefinition nicht stimmt. Daraus ziehen die einen die Folgerung: Stopp, ihr könnt diesen Menschen nicht die Organe entnehmen, sie sind nicht tot. Die anderen sagen: Na gut, dann machen wir jetzt ein Gesetz, das das Töten erlaubt. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, die Person sei tot und höre auf, Person zu sein, wenn sie nicht mehr als Person ansprechbar sei. Diese Unterscheidung zwischen Menschsein und Personsein ist aber ganz verhängnisvoll. Der Mensch als Ganzes ist Person und steht in personalen Rollen: Er ist Vater, Mutter, Tochter, Tante und so weiter. Das sind alles personal besetzte Rollen, die nicht an ein Ende kommen, in dem Augenblick, in dem der Mensch außer Bewusstsein ist. Die extremen Vertreter der gegenteiligen Position behaupten, der Mensch habe aufgehört, Person zu sein, wenn er schläft. Wenn er wieder aufwacht, ist er nicht dieselbe Person als diejenige, die eingeschlafen ist. Er erbt nur bestimmte Erinnerungsstücke. Wenn ich mich also an meine Kindheit erinnere, wäre ich das gar nicht wirklich. 

Ein solcher Kampf ist zum Schluss nicht mehr wissenschaftlich entscheidbar, denn die Frage "Wann ist der Mensch tot?" ist keine Frage an die Wissenschaft, sondern unterliegt der Wahrnehmung innerhalb einer Gesellschaft. Wir nehmen den Toten als Toten wahr, wir behandeln ihn als Toten, wir behandeln den Leichnam entsprechend. Darum ist es auch eine Katastrophe, dass die katholische Kirche die Feuerbestattung begleitet, denn sie greift aufgrund der niedrigen Kosten immer mehr um sich. Ich habe immer vorgeschlagen, dass die Gemeinden einspringen, wenn jemand die Erdbestattung nicht bezahlen kann. Wenn die Kirche die Feuerbestattung nicht begleiten würde, würden viele Leute es nicht tun.

Morgen Teil 2) Kämpfen, ja, gewiß - aber vor allem: Selber richtig leben!




***