Dieses Interview ist wirklich gut, und man sollte es lesen. Klar, knapp, präzise schlägt Robert Spaemann, wenn man genau liest, dutzende Fliegen mit einer Klappe. Denn er berührt viel mehr Themen als "nur" das Thema Sterben: neben überraschenden Einsichten zu Rechtsprinzipien ("Recht kann nur das Personenübergreifende regeln, nicht das, was nur eine Person selbst angeht. Selbstmord zu verbieten ist falsch, das ist eine Frage der persönlichen Sittlichkeit.") solche der Anthropologie, ja sogar Fragen der Kirchendisziplin und des persönlichen Lebens als Katholik.
Man sollte also achtgeben, nicht zu rasch zu einfache Antworten herauszulesen und zufrieden zu murmeln "Ja, klar, gegen Sterbehilfe muß man sein, wissen wir." Langsame Lektüre lohnt hier! Sehr deutlich wird in dem Interview nämlich, wie Fragen der Lebenspraxis direkt aus prinzipiellen Sichtweisen hervorgehen, und wie zusammenhängend, wie weit und wie weit verästelt jene wirken.
Man sollte also achtgeben, nicht zu rasch zu einfache Antworten herauszulesen und zufrieden zu murmeln "Ja, klar, gegen Sterbehilfe muß man sein, wissen wir." Langsame Lektüre lohnt hier! Sehr deutlich wird in dem Interview nämlich, wie Fragen der Lebenspraxis direkt aus prinzipiellen Sichtweisen hervorgehen, und wie zusammenhängend, wie weit und wie weit verästelt jene wirken.
Gegen Gepflogenheiten soll es wieder einmal ausnahmsweise zur Gänze fürs Archiv in der Form gebracht werden, in der es auf der Webseite des Bistums Regensburg erschien. Alle Rechte liegen aber beim Bistum Regensburg.
Über ein Sterben in Würde
Robert Spaemann - Bildrechte: Bistum Regensburg |
Der renommierte Philosoph
Prof. Robert Spaemann spricht im Interview mit Julia Wächter über
paradoxe Verschiebungen im Begriff der Würde, über Gefahren, die sich
aus einer Legalisierung des assistierten Suizids ergeben würden,
sowie über die Aufgaben der Kirche und jedes einzelnen Menschen.
Der Begriff
"Sterben in Würde" wird sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern der
Sterbehilfe verwendet. Wie kommt es zu dieser mutmaßlichen Verschiebung
und Umdeutung im Begriff der Würde?
Die Würde kommt nicht dem Menschen als einem
ausschließlich organischen Lebewesen zu, sondern deshalb, weil er ein
spirituelles Subjekt, ein Ich ist. Es wird aber immer stärker eine
Trennung zwischen dem Menschen als biologischem Wesen und einem über der
Materie schwebenden Ich vorgenommen. Die Anhänger des Selbstmordes
sprechen davon, dieses Ich würde mit dem Tod verschwinden. Folglich
hätte der Mensch, der dann kein Mensch mehr wäre, keine Würde mehr.
Dabei wird er nicht als Leib-Seele-Wesen verstanden, sondern – man
müsste eigentlich sagen – als eine reine Seele. Das ist natürlich
paradox, weil diese Leute meistens zugleich Biologisten und
Materialisten sind. Sie müssten eigentlich die entgegengesetzte Theorie
vertreten. Die ganze moderne Ideologie leidet unter einem tiefen inneren
Widerspruch und das zeigt sich gerade an der Doppelbedeutung des Wortes
Würde.
Angenommen, ein
Mensch, der Suizid begeht, ist der Überzeugung, dass mit dem Tod alles
ein Ende nimmt. Wie kann dieser Mensch trotz der Härte seines Daseins
ein – aus seiner Sicht – "Nichts" bevorzugen?
Sein Dasein wird diesem Menschen immer unangenehmer
und so kommt es zum Bilanzselbstmord. Man wägt Vor- und Nachteile ab und
entscheidet anschließend, welcher Pol überwiegt. Der Mensch macht sich
somit selbst zu einer Sache. Solidarität mit dem Sünder, aber klare
Missbilligung der Sünde ist hier zu fordern.
Ist die Auffassung, der Mensch könne nicht absoluter Herr über sein eigenes Leben sein, auch bei Nichtgläubigen rechtfertigbar?
Das ist keine Erfindung der Christen. Schon Sokrates
schrieb, das Leben sei uns geschenkt. Ein Ungläubiger jedoch glaubt
nicht daran, dass der Mensch einen Herrn hat. Höchstens Argumente, die
auf dem Naturgesetz basieren, könnten von ihm als sinnvoll erachtet
werden. So kann man auch das Verbot der Beihilfe zur Tötung aus den
Erfordernissen der allgemeinen Sicherheit verdeutlichen. Der Mensch muss
gegenüber allen seinen Mitmenschen seines Lebens vollkommen sicher
sein. Und das ist er nicht mehr, wenn es eine Tötungserlaubnis gibt. Der
Mensch ist nicht absoluter Herr über sich, sondern er muss auch die
anderen respektieren. Wenn er wirklich ungläubig ist, wird er eventuell
sogar die Pflicht gegenüber dem Nächsten nicht respektieren. Dann führt
die Argumentation dem hartnäckigen Ungläubigen gegenüber nicht zum
Erfolg. Es gibt allerdings wenige Menschen, die wirklich gewiss sind,
dass es keinen Gott gibt. Die meisten Menschen heute sind Agnostiker:
Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, vielleicht ja, vielleicht nein.
Einem solchen Menschen gegenüber kann man noch argumentieren,
beispielsweise mit der Pascalschen Wette: Wenn nichts auf dem Spiel
stünde, wäre es vielleicht egal, ob es Gott gibt. Wenn es aber um die
Ewigkeit geht und wenn man nur einen Hauch von Zweifel an einer
absoluten Gottlosigkeit hegt, dann gilt die Prämisse, so zu handeln, als
wenn es die Wahrheit wäre. Der Glaube ist eine große Freude und ein
Trost. Was hätte man verloren, wenn es Gott nicht gäbe? Gar nichts.
Gibt es ein objektives richtig und falsch im Falle des Sterbens oder kann jeder für sich selbst entscheiden, was "würdig" ist?
Am Ende wird dieser letzte Schritt des Sterbens
nicht mehr in vollem Bewusstsein vollzogen. Aber das ist bei dem
Selbstmörder genau dasselbe wie bei demjenigen, der eines natürlichen
Todes stirbt. Das Sterben in Würde ist ja ein Sterben, das ein
leib-seelischer Vorgang ist. Der Mensch stirbt, indem die Seele sich vom
Leib trennt. Es stirbt nicht der Organismus für sich und es stirbt
nicht die Seele für sich, sondern der Tod ist ein auf den ganzen
Menschen Bezogenes.
Auch für die Todeskriterien in Hinblick auf die
Hirntoddebatte ist das wichtig. Wann tritt eigentlich der Tod ein?
Traditionellerweise war es so, dass der Mensch für tot erklärt wurde,
wenn er nicht mehr atmet. Dann hat man früher vorsichtshalber einen Arzt
dazu gezogen, der prüfen musste, ob die Angehörigen, die sehen, dass er
gestorben ist, Recht haben oder ob da doch noch etwas Leben ist. Damals
holte man den Arzt also, um sicher zu sein, jemanden nicht vorzeitig zu
töten. Und manchmal konnte er sagen: Moment, dieser Mensch ist noch
nicht tot. Es gibt noch eine Spur von Atem beispielsweise. Jetzt aber
ist es genau umgekehrt. Bei der künstlichen Lebensverlängerung, wenn ein
Mensch an Apparate angeschlossen ist und nur durch deren Hilfe am Leben
bleibt, wird heute oft davon gesprochen, der Mensch sehe nur lebendig
aus, er atmet noch und hat noch eine rosige Gesichtsfarbe, aber das sei
alles nur wegen der Maschinen. In Wirklichkeit aber sei er tot – ein
Appell zur Organentnahme. Der Arzt spielt nun die umgekehrte Rolle.
Früher war es die Rolle der Vorsicht, nicht zu früh jemanden zu
begraben. Jetzt dient er dazu, die Skrupel beiseite zu räumen und zu
sagen: Lass mal, der ist tot.
In der Harvard-Definition war der Tod des Menschen
der Hirntod. Das hatte dann zur Folge, dass man Leuten die Organe
entnahm, die gar nicht wirklich tot waren, und im Grunde wussten die
Ärzte das auch. Warum haben sie sonst den Menschen bei der Organentnahme
eine Narkose gegeben? Gibt man Leichen eine Narkose? Inzwischen ist
deutlich geworden, dass die ganze Hirntoddefinition nicht stimmt. Daraus
ziehen die einen die Folgerung: Stopp, ihr könnt diesen Menschen nicht
die Organe entnehmen, sie sind nicht tot. Die anderen sagen: Na gut,
dann machen wir jetzt ein Gesetz, das das Töten erlaubt. Dem liegt die
Vorstellung zugrunde, die Person sei tot und höre auf, Person zu sein,
wenn sie nicht mehr als Person ansprechbar sei. Diese Unterscheidung
zwischen Menschsein und Personsein ist aber ganz verhängnisvoll. Der
Mensch als Ganzes ist Person und steht in personalen Rollen: Er ist
Vater, Mutter, Tochter, Tante und so weiter. Das sind alles personal
besetzte Rollen, die nicht an ein Ende kommen, in dem Augenblick, in dem
der Mensch außer Bewusstsein ist. Die extremen Vertreter der
gegenteiligen Position behaupten, der Mensch habe aufgehört, Person zu
sein, wenn er schläft. Wenn er wieder aufwacht, ist er nicht dieselbe
Person als diejenige, die eingeschlafen ist. Er erbt nur bestimmte
Erinnerungsstücke. Wenn ich mich also an meine Kindheit erinnere, wäre
ich das gar nicht wirklich.
Ein solcher Kampf ist zum Schluss nicht mehr
wissenschaftlich entscheidbar, denn die Frage "Wann ist der Mensch
tot?" ist keine Frage an die Wissenschaft, sondern unterliegt der
Wahrnehmung innerhalb einer Gesellschaft. Wir nehmen den Toten als Toten
wahr, wir behandeln ihn als Toten, wir behandeln den Leichnam
entsprechend. Darum ist es auch eine Katastrophe, dass die katholische
Kirche die Feuerbestattung begleitet, denn sie greift aufgrund der
niedrigen Kosten immer mehr um sich. Ich habe immer vorgeschlagen, dass
die Gemeinden einspringen, wenn jemand die Erdbestattung nicht bezahlen
kann. Wenn die Kirche die Feuerbestattung nicht begleiten würde, würden
viele Leute es nicht tun.
Morgen Teil 2) Kämpfen, ja, gewiß - aber vor allem: Selber richtig leben!
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