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Samstag, 28. März 2015

Totalitäre Demokratie

"Die Sekundärperson, die Zweitseele kann von der eigenen Vergangenheit her gelenkt werden, aber auch vom Erbgedächtnis der Instinkte, vom "objektiven Geist" des kollektiven Unbewußten und vom "Stockgeist".

Eine eigenartige Abart dieser Sekundärperson hat sich durch die Entwicklung des öffentlichen Lebens in der neuesten Zeit herausgebildet. Früher konnte der Machtwille der einen Staat beherrschenden regierenden Gewalten die Einzelwillen unmittelbar lenken. Was Monarch und Bürokratie befahlen, mußte der Untertan leisten. [Er begegnete dem Befehl als etwas dem eigenen Willen Fremdes, und konnte sich also dazu - frei - verhalten, weil er zwischen Eigenwillen und Fremdbestimmung unterscheiden konnte; Ähnliches gilt ja auch von gewisser "Pädagogik", die anstelle der verpönten "körperlichen Züchtigung" angewendet wird; Anm.] 

Seitdem aber überall in der Welt das Recht auf Freiheit des Denkens und der Gesinnung, der Rede und Presse, des eigenen politischen Urteils und der Wahl der Regierungsform anerkannt worden ist, hat die Freiheit des Menschen eher ab- als zugenommen. Lediglich der Ansatzpunkt des Hebels für die Zwangsanwendung ist verlagert worden. Der Mensch in der Demokratie hat die Freiheit zur Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte. Er kann reden, schreiben, drucken, sich versammeln, sich mit seinesgleichen zusammenschließen, Kandidaten aufstellen, wählen und sich wählen lassen - was alles vordem verboten war.

Dafür aber wird sein Wohlverhalten "an der Quelle" erfaßt (wie neuerdings ja auch die Steuern): seine Gesinnungsbildung, Urteilsbildung wird "kontrolliert". Das Denken, Vorstellen wird an der Entstehungsquelle erfaßt, überwacht, gelenkt. Es ergeben sich daraus ganz eigenartige Begriffsbildungen. 

Die Nazibehörden erkannten niemandem die "Freiheit" ab, bestraften aber wörtlich "den falschen Gebrauch, der von der Freiheit gemacht wurde". Die Nazirichter verurteilten die Gegner "wegen bewußter innerer Ablehnung" des nationalsozialistischen Regimes. Man betonte die Wichtigkeit der Gutwilligkeit,k aber richtete sehr militante Appelle an sie. So kam es zu den widerspruchsvollen Begriffen der "militanten Diplomatie", der willkürlichen Lenkung der öffentlichen Meinung, der erzwungenen Gutwilligkeit, des Zwangswillens, kurz man half der Euphorie und Gutwilligkeit terroristisch nach."

Paul Feldkeller, "Das unpersönliche Denken" (1949)




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