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Mittwoch, 22. Dezember 2021

Auch das gehört unter den Baum (1)

QR Film Ludwig II.
Es geht auch zum Hören, was als Film über "Ludwig II." im Jahre 1955 angelegt wurde (und auf Youtube an mehreren Stellen angeboten wird.) Denn der Maestro della musica höchstpersönlich, Herbert von Karajan, bietet mit den Wiener Philharmonikern sowie namhaften Solisten (Martha Mödl als Isolde, Wolfgang Windgassen als Tristan) die unvermeidliche Wagner-Musik zum Liebling so vieler romantischen Bewegungen, zum Kreis der Legenden und Sagen rund um den vorvorletzten Bayernkönig. 

Den O. W. Fischer spielt. Dessen denkwürdige Leistung einerseits bis in die Nebenrollen (wer hätte da etwa einen Klaus Kinski vermutet? war der auch mal Schauspieler, ehe er sich als Kasperl seiner selbst verdingt hat? natürlich, und wie!) von einem hochkarätigen Ensemble getragen wird. Wer Marianne Koch hier in jungen Jahren (als Prinzessin Sophie, die sich historisch mit Ludwig verlobte, ohne daß es dann zur Ehe kam) sieht, das nebenbei, kann sich nur fragen: Mein Gott, diese vielleicht schönste Frau Deutschlands im 20. Jahrhundert ist wirklich nie gealtert. Sie war immer gleich schön. 

Mit ihr wäre weltweit höchstens noch eine Catherine Deneuve zu vergleichen, und vor hundert Jahren, so hieß es, hätte auch eine Eleonora Duse derselben Kategorie von Frauen zugehört, die solche Ausnahmeerscheinungen bilden. Auch das sollte ein Volk artikulieren, übrigens, ich kenne das sonst nur von den Franzosen mit ihrer Marianne. Und, natürlich, mit der Gottesmutter, als Sakrament der Reinsten Schöpfung noch eine Stufe darüber, dieser Schönsten und Ewigsten aller Frauen, wie der Apostel Lukas sie gemalt hat, die bald nur durch Schleier verhüllt gehen konnte. Was ihr die Duse, übrigens, nachgemacht hat.

Das Ensemble des Films aber, es ist so wichtig. Denn "ich bin König, ihr müßt mich spielen" ist immer noch die entscheidende Zauberlösung für jedes gute Schauspiel. Bei dem niemand Geringerer als - es rieselt einem kalt über den Rücken, hört man den Namen - Helmut Käutner die Regie führte. Bei ihm konnte jeder Schauspieler ganz sicher das haben, was seine Arbeit erst ermöglicht: Vertrauen. 

Dort, um zum anderseits zu kommen, wo Fischer dieses Backing nicht hat, spielt ihn auch Ruth Leuwerik als Kaiserin Sissy glatt an die Wand. Der Kenner stößt gerade in ihrem Part auf die eklatante Schwäche des Films - der sich nicht entscheiden kann, ob er eine Interpretation und Stellungnahme zu historischen Tatsachen ist, oder eine frei gestaltete Geschichte. Zu beidem fehlt es an Mut. Damit kommen wir zu dem gut bekannten dramaturgischen Mißgriff, daß manche Rollen die Geschichte erzählen müssen, an der die anderen dann nur noch dranhängen. 

Und das tut hier die Leuwerik, grandios muß man fast sagen. Denn wie sie diese subtilen Schritte von der bedingungslosen Ludwig-Engsten zu einer kritischen, dabei sogar der historisch bekannten Invertiertheit der Kaiserin Rechnung tragenden Position, in der sie letztlich Ludwig der politischen Notwendigkeit opfert - und ihn düpiert. Das ist eine Interpretation. Die historischen Fakten dürften anders liegen: Sie HAT ihm die Chance geboten, zu entkommen, aber der Plan ist schiefgegangen. Was dann doch ein anderes Bild auf Sissy wirft, als hier in ihrem letzten Schritt zur Staatsraison (die Sissy für sich selbst nie gehabt hat; aber das kennzeichnet ja Invertierte, sie sehen bei anderen oft sehr gut, was sie selber nicht schaffen) gezeichnet wird. 

Freilich versagt die Vorstellung, was Sissy mit dem geflohenen (aber bereits ab- und ersetzten) Bayernkönig angestellt hätte. Ihn auf Korfu versteckt? Und hätte er dort dann eine neue, historisierende Akropolis gebaut, und Richard Wagner zu einem Ring des Odysseus inspiriert? Lassen wir das, gehen wir zurück zum Ernst. 

Die Personen, die in den Startlöchern stehen, haben aber die Potenz, egal welche Schwächen der Produktion selbst auszugleichen. Man darf also etwas erwarten, und man kriegt es auch geboten. Denn Käutner nähert sich dem oft so schwülstig ausgelegten Stoff, den er zu einer eigenen Geschichte macht, mit Bewegtheit und menschlicher Tiefe. In der ein Ludwig gezeigt wird, das zumindest der höchsten künstlerischen Ausdeutung gerecht wird: Der König hat Bild zu sein, Symbol. Es geht nicht um Leistung, wie später durch alle möglichen lächerlichen "Enthüllungen" darzulegen versucht wurde, mit der eine schuldbewußte Verwandtschaft ihre bösartigen Griffe zumindest vor dem stillen Gewissen des Volkes zu rechtfertigen - in Wahrheit also: Ihre Mitwisserschaft zu vertuschen. 

Um vor dem Volk unbefleckt zu bleiben und die Unterstützung des Herrscherhauses nicht zu verlieren. Denn das einfache Volk, das Volk der guten Herzen (ja, so bezeichnen wir das), stand dermaßen hinter Ludwig, daß das alleine uns sagt, daß da mehr gewesen sein muß als technisches Versagen eines Inkompetenten: Ludwig muß eine ganz tiefe Grammatik der Seele vor allem Oberbayerns repräsentiert haben. 

Bei einem König, der sogar diesen (wie alle Matriarchalen) Eisblock Bismarck die einzigen sympathischen (weil sein Herz beleuchtenden) Züge entlockt hat: Der ihn gerade für seine Symbolkraft bewundert, und ihm den Welfenschatz - heimlich - zugeführt hat. Wenn überhaupt das Deutsche Reich etwas von Reich und nicht von preußischem Zentral- und Zwangsstaat gehabt hat, dann ist das Ludwig II. zu verdanken, ganz gewiß. Der Bismarck die föderale Lösung aufgenötigt hat, wenigstens, als Minimalkompromiß zur preußischen Brutalität und Modernität. Der selbst ein Kind der Entwurzelung war, denn ein Preußen aus Boden und Land gab es für die Hohenzollern schon lange nicht mehr. Reinhold Schneider interpretiert das sehr wahr und erhellend. Das Preußentum gab es nur noch als landesschaffende und damit nationelle Idee, es war nur noch eine Idee. 

Und da widerspreche ich ganz klar allen "Rechten": Kein Staat KANN auf Ideen aufbauen. Er kann es nur so, wie Ludwig wußte: Auf Mythen, auf einer tiefen geistigen Herkunft aus dem Göttlichen, Ewigen, Geistigen. Real heißt das auch die Zelebration, die Liturgie des Eigenseins, als zeremonielles Festlegen, auf Riten und Erzählungen, damit auch auf Musik. Das alles hat bei Ludwig gestimmt, und es findet sich auch bei Ludwig XIV., dem Sonnenkönig aus Paris, diesem großen Vorbild für Ludwig II. von Bayern. Der nicht nur ein großer König, sondern auch ein großer Geist gewesen ist.

Deshalb hat Ludwig Bismarck den Wunsch, höchstpersönlich Wilhelm I., König von Preußen, zum Kaiser, dem Primus inter pares, auszurufen, nicht erfüllt. Er ist nicht nach Versailles gefahren, sondern überließ den Judasdienst seinem Kanzler. Der kein Problem damit hatte, denn er war ja für die Überführung Bayerns in die kapitalistische, moderne Zeit, die das Preußentum über Deutschlands Völker brachte und das so viel von dem verhieß, was wir heute sträflich, dumm und katastrophisch für "typisch deutsch" erklären, aber skrupelloser Kapitalismus ist, der nur eine neue Propagandamethode fand (analog zum Amerikanismus), um den Menschen den letzten Saft aus ihren Knochen zu pressen. 

Nur ein einziges Mal hat Ludwig Bismarck in München überhaupt mit allem Hofzeremoniell offiziell empfangen, und dazu mußte man ihn fast nötigen. Den Kaiser selbst hat er aber schon ignoriert - wer war das? DER deutsche Kaiser konnte höchstens ein Habsburger sein, und dem WAR Ludwig tatsächlich so treu, daß er 1866 sogar in diesen verheerenden Krieg Österreich-Preußen "auf der richtigen, vor Gott legitimen Seite" eintrat.

Dabei ist die höchste Wahrscheinlichkeit gegeben, daß es Geheimagenten Bismarcks selbst es waren, die Ludwig mit luftgetriebenen Geschoßen (aus sogenannten "Windbüchsen", einer Art Luftdruckgewehr mit kurzer Reichweite) ums Leben brachten. 

Aber Ludwig blieb für Bismarck ein labiler Partner, bei dem er immer in Gefahr geriet, die großen Reichsziele torpediert zu finden. Bei aller Freizeitsympathie, war Ludwig für Bismarck ein so unsicherer Kantonist, daß ich selbstverständlich davon ausgehe, daß die These stimmt: Ludwig wurde von Bismarck beseitigt, als die Gefahr ganz real wurde, daß der "Kini" Bayern spalten würde. Hier die Allzeitgetreuen, bei denen König und Volk unhinterfragter Teil eines Lebensganzen war, dort die Modernen, die universalistischen Ideen und Lebenskonzepten nachhingen und ein Bayern schaffen wollten und schufen, das sich in rasantem Tempo (denn solche Länder HABEN viel Substanz, man sieht es bei den Südstaaten im Bürgerkrieg, der in derselben Epoche mit demselben Hintergrund ablief) dem liberalistischen, wurzellosen, funktionalistischen Kapitalismus an den Hals warf.

Daß Ludwig eines unnatürlichen, gewaltsamen Todes starb, das haben die aktuellsten und bis dato unwiderlegten Untersuchungen der Todesstätte sowie die Auswertung aller vorliegenden Berichte über den Leichnam ergeben. Er wurde erschossen. Und hier muß das Boot gewesen sein, dort die Schützen, die den König, der ins Fluchtboot zu gelangen versuchte, während Sissy, die ihm dann weiterhelfen sollte, auf Schloß Berg wartete. Anders kann es sich nicht abgespielt haben. 

Bei diesen Zweifeln und Legenden setzt auch Käutners Film an. Da ist das Volk, da ist der aufgebahrte König, da ist die österreichische Kaiserin Elisabeth, seine Cousine und (mehr als) enge Vertraute, die viel Zeit am Starnberger See verbrachte. Und der zweifellos sehr labilen Persönlichkeit Ludwigs beizustehen versucht (oder sollte man sagen: vorgegeben?) hat. Recht sicher eben auf die falsche Art, wie es die meisten übrigens solchen Personen gegenüber tun: Durch eine Art des Zugebens, des Nachschiebens dessen, was die Selbstdramatisierung, in die Ludwig angesichts eines extrem starken Vaters geriet, zu verlangen vorgibt. Ohne die Realitätsbezogenheit vertiefen zu können, im Gegenteil: Sie wird noch weiter ausgehöhlt. Beizustehen auf eine Art, wie sie selbst, die so ähnlich veranlagt war, es sich ja auch gewünscht hätte. Zwei Ertrinkende halten sich aneinander, wie kann das gutgehen. 

Morgen Teil 2) Ein Symbol, ein Königreich für ein Symbol! Die Erlösungsidee. 
Die Feinde. Der Tod.