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Freitag, 10. Dezember 2021

Gedankensplitter (1377c)

Gedankensplitter zum selben Anlaß. Aber weil noch mehr zu tun war.Es geht bei der Existenz des Künstlers nicht darum, sich irgendwie "selbst zu verwirklichen", wie es so oft als Rezept zur Glücksmaximierung daher gelogen wird. Womit man in aller Regel meint, daß am Gängelband von Spaß und Freude ein Weg der (angeblich dann empfindbaren, oder zuerst als Maßstab für die Richtigkeit des Handelns empfindbaren) Lust gegangen werden solle. Im Gespräch mit A, einer Malerin, die gerade von einer Ausstellung in Budapest zurückkam, haben wir es auf einen seltsamen Punkt gebracht (der der Malerin nicht in Sprache zu formen war, wie denn auch: Sie lebt nur in Bildern).

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Und wir betrachten hier nicht die Tatsache, daß jeder Mensch sein Leben zu diesem Punkt entwickeln sollte, das wäre sein Auftrag: Sein Handeln zur Kunst zu machen. Sondern wir gehen von unserer Existenz aus, die man regelrecht als "behindert", "verkrüppelt" bezeichnen muß. Weil sie keinen Nutzen hat! Jeder Bäcker, jeder Glaser, jeder Kaufmann ist uns da beneidenswert überlegen. Denn wir ertragen ein Leben nicht, wie er es führt! Auch wenn wir es eine Zeit lang spielen können (sie arbeitet nebenher noch als Kellnerin im Halbtagsjob, das gibt ihr die meiste Freiheit, meinte sie). Aber nach einem halben Jahr, so haben wir beide festgestellt, "geht es nicht mehr." 

Ich bin Schauspieler, deshalb habe ich diese Rollen gut, oft sogar sehr gut, ja so richtig gut spielen können, sodaß alle Welt annahm, DAS SEI ICH, und nichts anders, und noch nie etwas anderes gewesen, oder (auch das habe ich gehört) "habe endlich MEIN Gebiet gefunden." 

Aber dasselbe hat man zu mir gesagt, wenn ich auf der Bühne diesen oder jenen Charakter dargestellt habe. "Das kann man nicht spielen, das muß man sein," habe ich dann oft gehört. Es war dasselbe, wie in meinen bürgerlichen "Berufen" bzw. ganzen und höchst komplexen "Identitäten". An die ich mich sogar so lange schmieden habe lassen, solange noch etwas anzuschmieden war, weshalb ich sogar bewußt höchste Verbindlichkeiten eingegangen bin, um "nur ja nicht zurück zu können," und vor allem aber - das habe ich noch nie jemandem gesagt ... Ihnen, werter Leser, sage ich es - damit ich niemanden betrüge, weil ich (ohne es mir je einzugestehen) wußte, daß das alles extrem fragil ist, was ich da so aufgebaut hatte, daß mir die Menschen so richtig vertraut haben. 

Ich wollte mich VORAUSEILEND schon bestrafen, so war es. Ich wollte mich schon vorauseilend mit so schwerer Buße belegen, daß ich schließlich mit Verbindlichkeiten persönlicher wie finanzieller Art dermaßen niedergeschnallt war, daß ich mich unter normalen Annahmen nie mehr aufrichten kann. Und auch gar nicht ... will. Selbst das (wenige) Einkommen, das ich derzeit habe, wird noch zu guten Teilen dafür verwendet, meine Bibliothek weiter und weiter auszubauen. 

(Das hat, wie ich erst in diesen Monaten entdeckt habe, einen ganz bestimmten Grund, der mich sogar recht überrascht hat - aber es stimmt! Aber das erzähle ich ein andermal.)

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Über die Schwierigkeit einer Frau, zur Künstlerin zu werden, habe ich gestern nicht mit A beredet. Dazu hätten wir jeweils die Sprache des anderen besser beherrschen müssen, um diese Nuancen und Bedeutungsinhalte, wo jedes Wort mit der Federwaage geprüft werden muß, ans Tageslicht heben zu können. Warum ist es für die Frau so schwierig (wenn auch nicht unmöglich)? 

Weil sie ihre Identität zuerst über den Mann erhalten muß. Bzw. einem Äquivalent dazu. In jedem Fall muß dieses Bedeutungsäquivalent BESTIMMBAR und noch wichtiger: BESTIMMT sein, also in einer ganz konkreten Institution oder einer Person - nein, einem konkreten Mann, (und sei es der Seelenführer für eine Ordensschwester, zu der die Künstlerin ja wird) festgemacht, nur von dort kann der Samen der Bestimmung kommen.

Das bedeutet, daß sie die Konkretheit bis in den allerletzten Winkel des Daseins des Mannes über sich kommen lassen muß, um DANN, über und durch das Konkrete hindurch, jenen Geist zu erlangen, IN DEM dann die künstlerische Schau ersteht. Das heißt genau nicht das Ablegen dieser ihrer Identitätsquelle, sondern eine dermaßen "problemlose" Überstülpung, daß das gewissermaßen "über-konkrete" Personsein (wieder: In ihrer konkreten Existenz hinein) zur Ausbildung kommt. 

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Es hilft dazu ganz gewiß, Theresia von Avila zu lesen. Nicht, daß sie darüber geschrieben hätte. Aber weil dadurch ein Geruch (fumus) dieser vollkommenen Hingabe erfahrbar wird. Dessen Konkretion die deutlichen Spuren auf ihr männliches Pendant belegt: Die im Dichterkönig Johannes vom Kreuz bestand.

Der in seiner (quantitativ schmalen) Dichtung diese eheliche Verschmelzung mit dem Wort bezeugt, die dem Künstler (in dem Fall: Dem Dichter, dem Wortkünstler) geschenkt wird, arbeitet er gut.


*Und aus einer anderen auszugehen ist nicht nur sinnlos, sondern absurd: Der Mensch kann sich nicht "von der Welt wegdenken" um zum Ergebnis zu gelangen, die Welt wäre ohne ihn besser dran. Dennoch muß man zum Ergebnis kommen, daß die gesamte Diskussion der angeblich drängendsten Probleme auf eine Auslöschung des Menschen hinauslaufen. Auch wenn das noch nicht bekannt wird und einfach zu erkennen ist, aber legt man Tangenten an, schneiden sie sich in der Zukunft an diesem Punkt.