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Donnerstag, 9. Dezember 2021

Gedankensplitter (1377b)

Gedankensplitter zum selben Anlaß. Der Orgasmus ist das große Schöpfungsgebet des Mannes. Und überhaupt einiges zu Tugend und Menschenbild. Zurück zur Malerin und unserem Gespräch. Zurück zu der in diesem Moment so überwältigenden weil identitätsbestimmenden Erkenntnis, daß bei ihr genauso wie bei mir die seltsame Tatsache ausschlaggebend für unser Tun ist, daß wir - wir beide, die wir beide der Ansicht sind, daß das, was wir machen, sie ihre Bilder, ich meine Texte, einfach lächerlich und völlig ungenügend, ja einfach absurd unbedeutend für die Welt ist, sodaß wir beide nicht der Ansicht sind, daß es auch nur irgendeinen Wert  hätte, weder für sich gesehen, noch im Sinne von Marktwert oder -preis oder Nutzen - daß wir beide aber jeden Tag neu von der somit unerklärlichen, immer wieder und wieder wie aus dem Nichts auftauchenden Tatsache bewegt werden, daß wir das, was wir machen, meinen unbedingt noch gemacht haben zu müssen, ehe wir sterben.

Wir haben beide etwas zu sagen, das ist der Punkt. Noch einmal: Nicht, weil wir meinen, es hätte Wert für die Welt! Das können wir nur insofern glauben, als wir Gott um keinen Preis der Welt KLEIN machen wollen, sodaß das, was ein Mensch tut NIEMALS klein sein KANN, weil GOTT es für wichtig genug hielt, es über und in uns zu schaffen. Warum wissen wir nicht, er wird es schon wissen (Vorsehung). 

Und das ist es, was uns leben läßt: Daß wir Tag für Tag feststellen, daß das, was wir gemacht haben an diesem Tag, jedesmal meinten noch unbedingt gesagt haben zu sollen. Mehr noch, daß wir das Gefühl haben, es schon lange, es schon immer gesagt haben zu sollen.  
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Das gilt es zu untersuchen. Was ist es, das einen antreibt, etwas sagen zu müssen zu glauben? Ohne daß man sagen könnte, welchem Zweck es denn diene, wie das bei sagen wir beim PR-Anwalt einer politischen Partei der Fall ist. Noch dazu, wo der Künstler meist isoliert und als Figur unbrauchbar ist, weil er zu widersprüchlich ist. Ein Politiker aber sollte das nicht sein.
 
Es muß etwas mit dem Umstand zu tun haben, der jeden Menschen mit der Schöpfung (also dem Akt, der der Verschmelzung von Same und Eizelle unmittelbar vorausliegt, und im Orgasmus als dem großen Schöpfungsgebet des Mannes herabgerufen wird) auf einen Ort hin, an den er gewissermaßen geschleudert wird.

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Wie auch immer, ist es doch der Same, der bewegt, der aus der Materia (dem ungeformten, omnipotenten Eiweiß des Eis) eine Gestalt werden läßt. Wenn man nun nicht davon sprechen kann, daß es alleine der Mann ist, der einen neuen Menschen in die Welt herabruft.

Den dann Gott aus sich selbst löst, indem er einen Gedanken separiert, loslöst, AUSSPRICHT - "Ich habe Dich beim Namen gerufen" - so ist zu beobachten, daß ein Mann dann als  gesegnet und begnadet gilt, wenn er viele Kinder zeugen konnte. Es ist sogar bei vielen Völkern und Kulturen so, daß der König auch dadurch gekennzeichnet ist, daß er viele viele Kinder zeugt. In manchen Kulturen werden ihm sogar die Frauen zugetragen, und es gilt als besondere Ehre, wenn das erste Kind vom König gezeugt wurde. Umgekehrt ist es eine schwere Herabsetzung, wenn er die Frau, die ihm zugelegt wird, verschmäht. 

Für König kann auch "Gast" eingesetzt werden, der eine ähnliche Funktion hat: Bote von Gott. Engel. Oder gleich: Gott selbst. Darauf (!) geht die Gastfreundschaft zurück, nicht auf einen Nutzen. 

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Was für lächerliche Theorien man sich da wieder einfallen hat lassen, wo man alles aus einem Nutzen heraus zu erklären versucht. Weil der Nutzen es dann wäre, der ein Handeln bewirke. Kein Mensch läßt sich gerne vom Nutzen zwingen, und jeder empfindet es als lästige Pflicht, etwas zu tun, das sich nur im Nutzen ("Aber es muß getan werden ...") begründet. 

Die schöpferische Tat ist immer die der Freiheit, des Spiels. Und nur sie ist auch mit Würde und Ehre behaftet. Die nicht rechnet, und keine Kosten und Mühen scheut. 

Wie niedrig unser Alltag geworden ist, läßt sich schon daraus ermessen. Wo den Handlungen jede Offenheit ins Göttliche fehlt, indem man sich dem Gottes ausliefert - und auf sein Hereinwirken hofft, bzw. es ihm überläßt: Er segnet dann, was ich nicht "rechne", und wo ich mich "übernehme." 

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Das macht auch den Tugendbegriff, wie ihn Josef Pieper definiert, in mancher Hinsicht fragwürdig. Denn es deckt sich auffällig mit der kleinbürgerlichen "Sparsamkeit" und "Groschenzählerei." Ich finde in Piepers Tugendlehren keine Hinweise auf Spiel und großzügige Selbstübergabe an Gott! Wo man durch die Leidensbereitschaft, die man durch das "Überschießende" der Tat manifestiert, auch ein von Gott festgelegter Preis bezahlt wird. 

Es könnte also bei Piepers Tugendlehre alles leicht im kleingeistigen Festhalten, Beherrschen und Kontrollieren der Lebensbedingungen enden, wenn man sie nicht im christlichen Paradoxon einbettet.

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Wobei der Sozialstaat ein anderes Paradoxon liefert. Er verlangt vom Begünstigten eine "Begründung", also ein Leben das nur über Rechentabellen geführt wird. Und erst dann eine Minusrechnung ergibt, greift er ein. Hilfe, die nur aus der Nächstenliebe heraus menschlich (und damit göttlich inspiriert) bleibt, sieht gerade NICHT darauf. Sie geht vom Bedarf aus, ohne nach den Gründen zu fragen. 

Wieviel Sympathie bringen wir aber doch dem "Filou" entgegen, das nie rechnet, das lebt, als wäre es an die unendlichen Ressourcen angeschlossen. Ist das Filou genau aus diesem Grund nicht besonders vom Glitzer Gottes umgeben? Lieben wir es nicht deshalb? 

Aber der Sozialstaat, der die Hilfe zur Technik macht, zum Formularwesen, verlangt etwas, das gar nicht zu seinem Menschenbild paßt: Tugend, die eigentlich Moralismus ist. Das wird noch viel viel schlimmer werden, wir werden es erleben. Sogar die solidarische Tat wird an die Erfüllung von Verhaltens- und Denknormen geknüpft werden. Nur wer so und so denkt bzw. umgekehrt, wer nicht so und so denkt oder handelt, dem wird auch geholfen. 

Ich habe es schon vor zwanzig Jahren erlebt, als ich auf solche Hilfen angewiesen war. Mir fehlten bestimmte Voraussetzungen. Man hat auch immer rasch gemerkt, daß mit mir "nicht gut Kirschen essen" ist. Und hier speziell war es nicht leicht, Hilfen zu bekommen. Sie wurden mir auch zuweilen verweigert, und (es war in jener Umbruchszeit der ersten Jahre in Wien) die Gründe für meine damalige Obdachlosigkeit nicht gelten lassen wollen. Denn bei "etwas anderem Verhalten" hätte ich sie "vermeiden" können. Immerhin (und solche Stimmen gab es!) war es sogar gerecht, "geschah mir recht", wenn die Familie mich vor die Türe setzte. Was ich verlangt hatte war "nicht zeitgemäß, vorgestrig und vor allem: nicht modern."

Man hat den Sozialstaat abstrahiert, aber ich habe erlebt, daß auch der Sozialstaat in höchstem Maß von der Person des Beamten abhängt. Konnte man dessen Sympathie nicht gewinnen, stand es schlecht mit "Hilfen". 

Noch schlimmer sind die dran, die nicht endgültig erledigt sind. Die also selbst in übler Lage ihre Ziele nicht verloren haben, auf die sie trotz allem abgehen werden. "Sie brauchen das ja gar nicht" habe ich nicht einmal gehört. Erst wenn jede Hoffnung verloren ist, dann wird "geholfen". Dementsprechend sind die Heime und Hilfsstellen voll mit Menschen, für die diese Lebensform der Dauerhilfsbedürftigkeit Endstation ist. Ich schätze: zu 90 Prozent. Und deshalb spielt Alkohol und Drogenkonsum in solchen Einrichtungen eine so große Rolle.

Morgen weitere Gedankensplitter zum selben Anlaß. Aber weil noch mehr zu tun war.