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Mittwoch, 29. Dezember 2021

Viele Wege führen ins Heute (2)

Wie wir die Prügelpolizei begrüßt haben. Wie die Exekutive eine fremde Identität annahm, ohne daß wir es merkten. Denn das Wirkliche ist unsichtbar. - Was so kompliziert umschrieben ist, ist einfacher gesagt. Die lokalen Ordnungskräfte waren immer ein bißchen menschlicher, und paßten sture Gesetze der menschlichen Ungefährheit an. Denn es spielt eine Rolle, in welcher -Situation jemand persönlich gerade steht, wie er sich dann öffentlich verhält. Weiß das der Beamte, der "einschreitet", kann er es berücksichtigen. Und als junger Mann habe ich so manches erlebt, wo (etwa bei der Maturafeier) eine jugendliche Ausgelassenheit leichtsinniges Verhalten (das am Rande eines Schadens spazierte, aber eben: noch am Rande blieb) mit sich brachte, das durchaus "nicht gesehen" werden muß, weil es eine Ruptur in ein Leben bringt, die völlig unnötig ist.
 
Speziell daran dachte ich immer wieder, als ich Videos über die seltsamen Eingriffe der Polizei bei den Anti-Corona-Demonstrationen der letzten Monate und Jahre sah. Einen eigentlich völlig friedfertigen jungen Mann, der nicht einmal keine, sondern eine "ungenügende" Mund-Nasen-Maske trägt, wie einen Schwerverbrecher zu Boden zu werfen, seines Besitzes zu berauben, und in Handschellen abzuführen entbehrt nicht einer gewissen Befremdlichkeit. 

Die - ich bin mir sicher - ausgeblieben wäre, wären die Polizisten mit dem Mann persönlich bekannt gewesen. Hätten seine Eltern gekannt, wären mit seinem Cousin schon einmal auf einem Zeltfest zusammengetroffen, oder wüßten, daß die Familie sämtlich ordentlich und sittsam ist, oder, umgekehrt, leicht aufzubringen charakterlich veranlagt ist, sodaß man eher zurückhaltend agieren sollte, um nicht unnötige Grenzüberschreitungen zu provozieren. 

Sogar daraus entstand eine gewisse Aufweichung scharfer Kanten und spitzer Ecken, weil etwa die Gendarmerie dem Bürger ganz bewußt als Ordnungskraft gegenüberstand, deren Personal "einer von uns" war, und deren Kosten noch sehr nachvollziehbar von einem Bürger getragen wurden, der den Beamten als Steuerzahler, also als sein Brotgeber, gegenübergestanden ist. Denn eine menschliche Gesellschaft braucht und will eine Ordnungsmacht, das ist überhaupt keine Frage. Aber sie braucht sie, um den Normalfall des Lebens zu schützen, und darüber hinaus - nicht mehr. Der Bürger war sich also bis vor zwanzig Jahren noch recht deutlich bewußt, daß er es auch war, der den Ordnungsbeamten mit seinen Steuern bezahlte. Das zieht einen völlig anderen Umgang nach sich. 

Aber genau alles das hat die Polizeireform unter dem damaligen Innenminister Ernst Strasser unterbunden und zerstört. Seit nun bald zwanzig Jahren hat es der Bürger im Lande Österreich mit einer einzigen "Polizei" zu tun, und es gibt bereits eine ganze Generation von Jungen, denen eine völlig abstrakte, fremde "Polizei" gegenübersteht, zu der es keine persönlichen Beziehungen mehr gibt, und die auch allfällige regionale Besonderheiten nicht mehr kennt und kennen will, vermutlich auch nicht kennen soll. 

Denn natürlich ist so eine fremde, unpersönliche Polizei zwar dem Bürger ein stärkeres Zuchtmittel, aber auch der zentralen Bundesregierung ein eilfertigeres Instrument, mit dem die Bevölkerung deutlich strenger unter die Knute zu bringen ist, als es jemals zuvor möglich war.   

Selbst die Natur der Strafen für Ordnungswidrigkeiten (etwa im Verkehr) hat sich verändert. Denn vor dreißig Jahren habe ich selbst erlebt, wie ein "Planquadrat" der Gendarmerie (die die Landesstraßen als ihr Aufgabengebiet hatte) in einer Nach von Freitag auf Samstag nicht dem Abzocken der Bevölkerung diente, sondern bewußt (oft genug mit dem Siegel "unter der Hand") bekannt werden sollte, um vorsichtigeren Umgang mit Verkehr und Kraftfahrzeugen anzuregen. Längst habe ich heute aber den Eindruck, daß Einschränkungen und Überwachungsmaßnahmen ganz gezielt so eingesetzt werden, um den Bürger "zu überlisten", und ihm Strafen als Form der Steuereinnahmen abknöpfen zu können. 

Dies alles noch ohne der Frage nachgegangen zu sein, ob diese "Sparmaßnahme", die die Zerstörung regionaler, lokaler Organisationen zugunsten eines Aufgehens in staatsübergreifenden Einrichtungen sich tatsächlich in Kostensenkungen niederschlägt. Denn aus all meiner Erfahrung in der Organisation und Kostenkontrolle von Apparaten würde ich sogar das Gegenteil behaupten: Daß die Vereinheitlichung der Polizei vielleicht einen günstigeren Einkaufspreis für die einheitlichen 4.000 VW-Einsatzfahrzeuge brachte, ja, daß aber die Kosten für den Apparat selber explodiert sind. Und sei es, daß man die Beamten besser bezahlen muß, weil ihnen ein wichtiger Faktor ihres Berufslebens - sie stehen IN EINER GEMEINSCHAFT, die sie schützen wollen und sollen, der sie nicht Feinde sind - genommen wurde. 

Was in einem weiteren Effekt eine Haltung der Beamten mit sich bringt, in der sie den Menschen nur noch im Rahmen der Buchstaben des Gesetzes begegnen können. Und ständig in Gefahr laufen, Gesetze der Zwischenmenschlichkeit (jedes Recht hat einen sehr spezifischen Charakter, immer, und ist immer an einen bestimmten Raum, eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Bevölkerung gebunden und in ihr verankert; ist es das nicht, ist es in jedem Fall Diktat) zu verletzen. Weshalb alleine sie schon sämtliche ihrer Handlungen dokumentieren müssen, um sich gegen Disziplinarklagen durch Bürgerbeschwerden oder gar für zivilrechtliche Gerichtsverhandlungen unzufriedener Bürger zu wappnen.

Deren Unzufriedenheit - und das muß endlich einmal gesagt werden, das muß endlich einmal gesehen werden! - mit der Staatsmacht immer umfassender und prinzipieller wird. Nicht, weil der Bürger heute prinzipiell Revolutionär wäre! (Auch wenn diese Gefahr sehr real ist.) Sondern weil der Staat ihm immer total-ablehnender entgegentritt. Und wissen Sie, geneigter Leser, was einer Totalablehnung entspricht? 

Wenn eine identitätslose, entwurzelte Behörde (in diesem Fall: Die Polizei) dem Bürger nicht mehr in seiner Identität begegnet. Ihm nicht mehr ALS dieser jener mit dieser jenen Geschichte und allem was zu seinem Leben dazugehört begegnet, von dem allen der Beamte nicht nur weiß, sondern das alles dieser auch respektiert.  Der moderne Verwaltungsapparat der Staaten löst somit den Bürger auf! Er nimmt ihm seine Identität, und macht ihn zu einem Teil einer Gesamtmaschine. 

Und das ist mit der "Reform" der Polizei in Österreich in der politischen Ära 2000 bis 2004 durch einen dann wegen (übrigens: unglaublich dumm-eitler) Korruption verurteilten Innenminister der ÖVP erfolgt. Deren sich dann die Politik gerühmt hat, und die die Bürger (samt ALLEN Parteien, bitte schön!) stillschweigend hingenommen haben, weil sie nicht mehr denken konnten, was da überhaupt passiert.

Morgen Teil 3) Wenn eine Organisation nur noch sich selbst verwalten kann. Nur das Schöne ist auch effizient. Aber es kann nicht nachgeliefert werden.