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Sonntag, 29. Mai 2016

Aus dem Alltag (3)

Teil 3) Wie das früher ausgesehen hätte, 
als die Welt noch ein heiteres Bezirksgericht gewesen ist
- Und: Ein Loblied auf die Strizzis





Man sehnt sich heute regelrecht zurück in die Zeiten, wo bestenfalls "Beidscherlbuam" (Zuhälter) einander springmesserbestückt an die Gurgel sprangen, weil ihre "Pferterln" (Pferde; ugsl. f. Frauen des einschlägigen Gewerbes) an einem Platz standen, der so in diesem Milieu mit seinem damals noch eigenen, interessanten, sehr strengen Ehrencodex, nicht abgemacht war.

Erst unter dem Eindruck dieses medial recht offensiv aufgemachten Vorfalls aber, der sich im immer schon "berüchtigten" Prater vor dreißig Jahren niemals ereignet hätte, dieser "Ruch" war völlig anderer Natur und für jeden Unbedarften und Naiven völlig harmlos*, wird nun mit massiver Polizeipräsenz versucht, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Ja, erstmals wagt die Polizei offener als erwartet davon zu sprechen. Daß sie darum weiß, aber bisher nicht ausreichend vorgehen konnte. Die Erfolge der FPÖ treiben aber nun auch die rote Wiener Politik der undifferenzierten Zuwanderungsfreundlichkeit vor sich her. Wien soll nun dort zumindest zurückerobert werden. Es gibt in einer Demokratie ja immer bald nächste Wahlen. Eine der Hauptschwächen unserer Form der Demokratie, wie sich besonders in Krisenzeiten erweist.



*Auch der VdZ war als Kind - und der Prater (von span. prado, Wiese, Auenlandschaft an der Donau, seit dem 18. Jhd. öffentlich zugängig, zuvor Verlustierungs- und Jagdgebiet des Wiener Hofes) mit seinen Geisterbahnen, seinem Watschemmann, seinen Schießständen, seinen Ringelspielen, den Stelzenwirtschäusern, Bierschenken und Zuckerwatteständen war für jedes Kind ein legendäres Ereignis - im Prater. Es gehörte sogar zur Tradition, mit Firmlingen dorthin zu fahren. Sogar mit einer preußisch-rigiden Mutter. Man wußte um so manche Randereignisse, auch damals. Aber niemand hätte sich deshalb gefürchtet. Seit Jahren aber fürchten sich selbst Männer ab Einbruch der Dunkelheit am Prater, ja in ganzen Gegenden von Wien.

Der frühere, der typische Wiener Strizzi (jemand, der es mit den Gesetzen nicht immer ganz genau nahm und so irgendwie lebte, niemand wußte genau wovon, mal war es "Stooß-Spiel", ein berüchtigtes Kartenspiel, mal Zuhälterei, mal eine Art Robin-Hood-Diebstahl, oder auch nicht) - eine leider fast schon ausgestorbene Spezies - war eine grundehrliche, ja ehrenwerte Haut mit einem oft berührend weichen Herz. Ein großes Kind, das halt da und dort empfindlich und unausgewogen, dabei aber immer irgendwie berechenbar war. Obwohl auch schon mal eine "Buffn" (Pistole) wie von selber losgehen konnte. 

Was zwangsläufig in ein "heiteres Bezirksgericht" übergeht ... ²

"Hea Rod (Rat; ugls. f. Richter), ich hab's nua aus da Doschn gnumma, do ausm Seidndaschl, i hobs ja scho vagessn, daß duatn a Buffn woa, i hob glaubt des is mei Briafdaschl des mi druckt, auf amoi is de losgonga. I schwör's: des woa a Unfoi!" Und der Anwalt: "Nia woa des a Moad, ned amoi a Dodschlog, des woa nedamaoi a foalässige Dötung.

Und der Totschlagring, der beim Beschuldigten nach Verhaftung gefunden wurde, keine Absicht dahinter? Der Anwalt läßt sich nicht zweimal bitten. "Hea Rod, sogns ma aan, der heid in Wean kaaan Dodschläga in da Doschn hod. Is do a so a beese Wöd, in dera ma lebm heid z'dogs, se homs do däglich am Disch. Ich mein, wir beide wissen doch, wovon die Red is."  

Und warum hatte Ihr Mandant überhaupt eine Waffe bei sich? Der antwortet prompt. "Hea Rod, des iis heid a so! De Wöd ist do sowos von bees, also: böse, Sie miaßadn do wissn, daß des so is. Des Böse is imma und überall. I ko do meine Hasaln ned so schutzlos alleine dastehn loßn, oder? San leida so, die heidign Zeitn." Und, im Nachschieben mit dem Blick des tragischen Helden aus dem Burgtheater, wo er dem Gericht vorliegendem Lebenslauf zufolge für einige Wochen als Kulissenschieber beschäftigt gewesen war: "Laida!"  

Werden Sie mir nur nicht zum Propheten des Untergangs des Abendlandes ... Der Richter schüttelt den Kopf. Darauf der Angeklagte zu seinem Advokaten: "Na stimmt's ned? Is do woa, lauta G'sindl überall, des ist schia zan Depressivwean, des hod's friara ned gem.
Jaja ... Der Richter winkt mit sarkastischem Blick ab. Das sieht der Anwalt als seine Stunde: "Schauns ina do mein Mandantn an, ein gscheita Mensch, mit an grundguadn Heaz, aber die familiären Umständ in seina Kindheid und so, das weiß man doch heute aus der Psychiolgie. Aus den häd wos wean kena, vielleicht sogoa a Richta, bei andare Umständ, weil an Sinn für Gerechtigkeit hat er, eindeutig. Und wie liab dea zu seina Dochda is, des miassadn's segn, Hea Rod!" Aus dem spärlich besetzten Auditorium ist erstmals etwas - ein leises Schluchzen - zu vernehmen. "Na, mein Mandant IS ka Möada!" Mit fester, klarer Stimme schleudert der Advokat diesen Satz dem Richter entgegen, als hätte er selber Erfahrung auf der Burg gesammelt. Das Schluchzen wird nun zu einem Aufheulen im Hintergrund. Einmal in Fahrt, setzt der im selben festen Ton sein Schlußplädoyer fort: "Ich beantrage Freispruch, hechstns bei leicht fahrlässiger Körperverletzung." Zufrieden blickt er in die Runde, und setzt sich, wobei er schon im Sitzen seine Robenärmel noch einmal mit großer Geste aufwirft, sodaß die Ärmel seines schon etwas abgetragenen Anzugs sichtbar werden, unter denen tadellos weiße Manschetten hervorlugen. 

Nachdem sich der Richter mit seinen Beisitzern für zwanzig Minuten zur Beratung zurückgezogen hatte, ließ er nach Rückkehr in den Verhandlungssaal das Urteil verlauten: Zwei Jahre Haftverwahrung, wobei die drei bereits absolvierten Monate Untersuchungshaft angerechnet werden, mit 3 weiteren Jahren auf Bewährung, wegen grob fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge. Der Verteidiger erbat sich Bedenkzeit, während sein Mandant mit sichtlich röterem Teint als zuvor widerstandslos von den Justizbeamten abgeführt wurde und im Hinausgehen den beiden durchaus attraktiven Damen mittleren Alters mit verweinten Augen, die weitesgehend mucksmäuschenstill der Verhandlung beigewohnt hatten, noch eine Kußhand zuwarf, die diese mit mitleidsvollen Blicken erwiderten.

Man nennt heute solche Männer nach technisch-reduzierter Definition zwar auch Zuhälter, man nennt das Milieu zwar auch kriminell, aber es hat sich komplett verändert und jeden Charme, jeden Humor verloren, so tragisch auch immer vieles gewesen sein mag. Heute ist es aber nicht mehr tragisch. Heute ist es brutal, barbarisch und menschenverachtend. Wer heute am Prater fünf Afghanen mit Messern gegenübersteht sollte nicht mehr darauf hoffen, daß unter allem doch noch ein Wiener Herz wartet. Und sich raschest nach der nächsten "Kiwarei" (von "Kiewerer", Polizist; also: Polizeistation) umsehen. Wie sie nun in Containern vor dem Bahnhof eingerichtet werden, weil die herkömmliche Infrastruktur den aktuellen Problemen nicht mehr gerecht wird.


²"Heiteres Bezirksgericht" war über Jahrzehnte eine von der Kronen Zeitung unterhaltene legendäre und tägliche Kolumne, die auf sehr liebenswürdig-launige und sehr österreichische Art Schilderungen von Gerichtsfällen des Alltags zum Inhalt hatte.






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