Teil 2) Selbst im Paradies herrschte eine Gliederung der Reichtümer
Insofern war der Arme, der sich nicht in
Gier nach Reichtum verzehrte (was ja gar nicht so selten der Fall ist)
durchaus reich - denn Reichtum heißt, daß man keine Bedürfnisse hat. Und
das verstand man auch später immer so wenn es hieß, daß Armut das
Vermögen der Kirche sei. Obwohl sie selber von Anfang an keineswegs
nominell besitzlos war. Denn damit konnte auch der Reiche "arm" in
diesem Sinne sein, wenn er nicht in Gier und Neid verfiel, und sein
Reichtum war gerecht, wenn er ihn nicht auf unredliche, betrügerische,
andere schädigende Art erworben hatte oder verteidigte.
Immer
aber sind schon die Kirchenväter gegen eine Anhäufung von Gütern
aufgetreten, die ein gewisses Maß überstiegen. Wo Reiche Güter
anhäuften, während ihnen andere wie Sklaven oder als Sklaven dienen
mußten, also ausgenützt wurden, sodaß sie ein Leben einer gewissen
Bedürfnisbefriedigung nicht leben konnten. Selbst ein wilder Eiferer
gegen diese großen Besitzunterschiede wie der oben zitierte Lactantius
ergriff mit ebensolchem Eifer gegen die in seinen Augen verwerfliche
Aussage Platos Stellung, in der dieser forderte, daß allen alle Güter
gemeinsam gehören sollten. Zumindest, wenn das verhängt, also nicht
freiwillig war. Das bezeichnet er als ungerecht.
Lactantius
geht sogar so weit, daß er auch die Menschheit im Paradies
hierarchisch gegliedert sieht, auch dort in Reiche und Arme geteilt
sieht. Der Unterschied zur Gegenwart liegt nur darin, daß die Reichen
jederzeit und freiwillig ihren Reichtum nicht gierig an sich raffen,
sondern die Früchte (auch das heißt quasi nicht "das Kapital", sondern
den "Ertrag"!) jederzeit bereitwillig mit den Armen teilen, sodaß auch
diese daran teilhaben können. Und das ist ihm auch der Weg zur
Heilung der Gegenwart: Nicht durch Abschaffung der Ehe oder den Entzug
von Reichtum kann die Zeit heilen, sondern durch Bekämpfung von
Anmaßung, Stolz und Überheblichkeit. Erst dadurch wird die gottgewollte
"Gleichheit" hergestellt, die aber kein Abschaffen der Unterschiede
bedeutet. Das aber kann nur die Religion leisten.
Dann trägt der Reichtum seine größte Frucht, wenn er nicht egoistischem Eigennutz dient. Wenn (führt Lactantius etwa an) die Gastfreundschaft groß geschrieben wird, wenn Gefangene losgekauft werden, wenn SOLCHE DIE ES VERDIENEN (sic!) Almosen erhalten (denn was offenbar heute kaum noch jemand begreift ist, daß man mit einem Geschenk sehr wohl auch Unfug beim Empfangenden anrichten kann), oder wenn keine Güter zwecklos weggeworfen werden.
Ihm stimmt auch der Heilige Asterius bei, der zwar heftig gegen die (in Rom extremen) Ungelichheiten wettert, aber niemals den Reichtum an sich in frage stellt, im Gegenteil, sondern von den Reichen mehr Selbstbeschränkung im Eigenverbrauch und höhere Bereitschaft zu Almosen verlangt. In diesem Sinne äußern sich auch der Hl. Gregor von Nazianz und Basilius der Große. Die Stände sollen bleiben, es soll aber in christlicher Liebe ein gewisser Ausgleich stattfinden. Gregor macht es sogar einfach: Er meint, daß die größten, wertvollsten und schönsten Güter ohnehin allen gleich zur Verfügung stünden, wie die Sonne, das Wasser, die Luft, das Feuer. Nur in den unnützen, wertlosen Dingen wie Edelsteinen, Kleider, Speisen oder Gold schieden sich die Menschen. Und dem Hl. Basilius ist klar, daß es eine völlige Besitzgleichheit nur im Kloster geben kann. Erst dort werden auch alle Ketten gesprengt, die den Menschen sonst an die Welt fesseln.
Wenn in der Welt draußen Menschen nicht nach dem Willen Gottes lebe, so Basilius, so ist vorauszusehen, daß sie Geld und Gut schlecht gebrauchen. Damit ist ihnen oft gar nicht zu helfen.
Die
gesamte Frühzeit des Christentums ist bereits höchst realistisch, und
sieht sehr wohl, daß es viel Armut durch eigenes Verschulden und Mangel
an Tugend der Menschen gibt. Auch sind bei weitem nicht alle Menschen
weise genug, sich von Besitz distanzieren zu können, sodaß er ihnen
schaden würde. Es ist auch ungerecht, wenn jemand durch Leistung viel
erwirbt, das dann andere nutzen, obwohl sie durch eigene Schuld wenig
besitzen.
Nicht unwesentlich ist freilich gewisses Einbedenken damaliger historischer Umstände. Denn Not war zugleich die große Stunde des Wuchers** (gegen ihn bildete sich ja die sogar bis ins Mittelalter herrschende christliche Phalanx gegen Geldverleih auf Zinsnahme). Das Wirtschaftsleben im Rom der Kaiserzeit war von Brutalität, Rücksichtslosigkeit und Egoismus geprägt. Die Mißstände eines falsch verwendeten Reichtums zeigten sich besonders deutlich, extrem in den gar nicht seltenen Hungersnöten, die Reiche über Preiswucher sogar zu noch mehr Reichtum verhalfen. Der christliche Sinn für Nächstenliebe, wie er sich in Almosen zeigte, war also besonders auffällig, besonders wichtig und wirksam, und vor allem völlig gegen den Zeitgeist.
Immer
aber hat die Kirche und von Anbeginn an zwischen Christen und Heiden
streng geschieden. Die Pflicht Almosen zu geben bezog sich ausdrücklich
auf Glaubensbrüder. Und sie folgten darin dem Beispiel Christi! Die
Strahlkraft der Kirche war wesentlich darauf begründet, daß die Heiden
feststellten, daß Christen in einer Gemeinschaft der Liebe - aber nicht
der nominalen Gleichheit! - lebten, die die Zugehörigkeit durch Taufe
greifbar und attraktiv machte. "Seht, wie sie einander lieben!"
Den zu manchen Zeiten viel beschworenen
Ur-Kommunismus, schon gar einen, in den unterschiedslos alle Menschen - also auch Heiden - einbezogen waren, hat es aber nie gegeben. Er ist also NICHT ein sogenanntes "eigentlicheres" Christentum.
*Beispielsweise gehört es zu den Pflichten der Reichen, die an sich ja
"nutzlose" Kunst oder das Schöne im öffentlichen Raum oder aber auch die
liturgische Entfaltung oder den Kirchenbau zu fördern, weil dies alles
dem Gemeinwohl und damit auch dem materiell wenig Begüterten dient. Ein
Mensch ohne großen Besitz oder eine Gesellschaft in der alle gerade mal
genug haben kann das eben nicht. Zumal es eine Gesellschaft, in der alle
gleich sind, in Gottes Plan nicht gibt. Auch die Engelwelt ist strikt
hierarchisch und in ihrer Fülle und Macht sind die Engel keineswegs
gleich.
**Bis in unsere Zeit hat sich die daraus erwachsene Ablehnung gegen die Kaufleute erhalten. Und ein erklecklicher Teil der Gefühle des Antisemitismus geht gleichfalls auf den Wucher zurück, der sich mit dem Kaufmannsstand lange verband. Denn der Kaufmann war jemand, der die Notlage des anderen ausnützte, und durch den Handel überregional agieren konnte - hier gab es Getreide, dort Hungersnot, hier niedrige Preise, dort höchste Erlöse. Also wurde dieser Stand vor allem von Wurzellosen ausgeübt, denn so jemand konnte sich kaum an einem Ort halten. Und da gab es zwei Gruppen - zum einen die "jüngsten Söhne", die also in der elterlichen Vermögensverteilung durch den Rost fielen und sich also aufmachten, um einen Platz in der Welt zu suchen. Und dann waren es ... die Juden. Und es waren vor allem Juden, die im Mittelalter den Handel, und daraus erwachsen das Geldgeschäft Europas in Händen hatten. Denn Geld kam nur über den Handel, nur über den Handel also - Steuern. (Soviel zu den Interessensverquickungen, die zwischen Zentralmacht und Juden bestanden.) Erst die allmählich eingeführte Buchhaltung (v. a. die Doppelte Buchhaltung, wie sie sich in Venedig entwickelt hatte und mit der bis heute jeder HAK-Schüler gequält wird) ermöglichte hier eine andere Art der Risiko- und Ertragsbewertung und damit seriösere Geschäftsführung.
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