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Freitag, 20. Mai 2016

Ausweglosigkeiten - Filmempfehlung (2)


Teil 2) Eine Welt, aus der es kein Entrinnen mehr gibt, 
weil es außen keine Wirklichkeit mehr gibt, die stark genug ist,
ihre Wände einzudrücken, Türen zu schlagen




"American Psycho" zeigt eine Welt, in der nichts mehr relevant ist, nichts mehr zählt, die wie ein technisches Handbuch funktioniert. Eine Welt am Ende eines ausgereizten, gewissermaßen vollendeten Rationalismus. Die eine eigene, abgeschlossene Scheinwelt für sich ist, die zwar die Nomenklatur des Wirklichen benutzt, sich aus diesem Herwinwehen des Vergangenen gar wie das Vergangene Leben nennt, aber nur noch ein dichter Vorhang einer Plauderkulisse ist, in dem sich vor allem Geld jene Betriebsmittel schafft, die das Leben im Ballon so erträglich machen. Alles. wirklich ist simulierbar! Alles ist nachzubauen! Und alles Störende ist fernzuhalten!

Nichts hat aber da noch Bedeutung. Selbst Bedeutung wird simuliert. Alles bewegt sich nur noch in den Ebenen einer Plapperwelt, die ihre äquivoken Werte (eigentlich also Namen von Werten) mitliefert. Niemand erlebt sich mehr wirklich und als wirklich, Persönlichkeit sind willkürliche Konstrukte. Werte gibt es nur in diesem Rahmen. Als Markenprodukte eines Liefestyle. Einer Individualität bleibt nur die Gestaltung von Visitenkarten, Variationen und Wettläufe um Statussymbole, marginale Leistungsfelder erhalten so existentielle Bedeutung und Kleinigkeiten werden Objekte von tödlicher Konkurrenz. Selbst der Beruf wird zum "Besitz eines Büros", angefüllt mit Klischees eines Berufs: Dichte Terminkalender, hektische Telephonate, chique Sekretärinnen.

Was diese Menschen tun ist so unwichtig, daß es im Film nicht einmal vorkommt, es reicht das Klischee, für sie wie für die wirkliche Welt draußen: Irgendetwas an der Börse tun sie, man nennt es Broker, es muß nur wichtig klingen. Bildung ist sinnfreies Lexikonwissen, das sich im Herunterbeten völlig unwichtiger Namen, Jahreszahlen, Albentitel von CDs oder taxativ aufzählbare Karrieredetails irgendwelcher Popstars oder im Erkennen der Marke des Anzugs beweist. Selbst Harvard-Vorzugsabsolventen sind dieser Welt nur Nachschub. Man weiß viel, genug um Stunden und Partys zu füllen, aber ... wovon eigentlich? Was arbeiten diese Menschen eigentlich? Es ist alles unwichtig, man erfährt es nicht einmal.

"Ich bin ganz einfach nicht da." Diesen Menschen ist die Wirklichkeit gar nicht mehr erreichbar, nichts reicht mehr aus, um die Wirklichkeit der Welt zu erreichen. Alles ist hermetisch in sich geschlossen, solange man in dieser Welt mitmachen kann, einen Job hat, was darußen steht steht darunter und ist schon damit wertlos und nur als Zulieferant und Nutzen von Bedeutung. Die Wirklichkeit bleibt aber jenen, die aus diesem Lifestyle-Disneyland, zu dem das Leben verkommen ist, herausfallen, oder es gar nicht erreichen. Schlimm dran ist, wer noch Substanz genug hat und diese investiert, oder dieser leeren Welt irrtümlich und aus Gewohnheit Substanz zuspricht. Die aber nur als überraschendes Herabfallen aus dem Irgendwo, als Krume vom Tisch des Himmels quasi vorstellbar wird, weil gar kein realer Weg je dorthin führt.

Selbst Sexualität ist damit nur das Vollziehen pornographischer Stereotype. Der Versuch sie in einem letzten Rest von "wirklicher Konvention" als Liebesakt zu vollziehen bleibt grotesk kümmerlich vor dem Hintergrund der gestylten Pornowelten. Ehe (oder gar wirkliche Liebe, wirkliches Begehren) ist ein Einbruch von Wirklichkeit, mit dem man nichts anfangen kann. Und interessanterweise weil wohl wahrhaftig sind Frauen wirklichkeitsverhafteter als Männer, ja Frauen sind - fast könnte man das sagen - Wirklichkeit, die den Männern gegenübersteht. Nur weil sie etwas Wirkliches wollen (und sei es Geld) lassen sie sich in deren Welten hineinziehen. American Psycho thematisiert damit sogar die unlösbare Frage um die Grenze zwischen Hure und Ehefrau, die so einfach nicht zu beantworten ist und keinesfalls Ironie oder Zynismus verdient. Zu viel hat sie mit dem Wesen der Frau und Ehe zu tun. Auch definierte Nutten wie überhaupt Frauen können sich nie von der Ehe freimachen.

Werden Frauen aber zu real, pochen sie auf Wirklichkeit (und sie tun es, immer wieder), wird das Pseudo-Ich zerrüttet. Es löst sich auf, und in diesen Momenten zerstiebt sogar Mordabsicht. Es geht in dieser genuin männlichen Welt (die es bleibt, selbst wenn Frauen darin mitschwimmen) um Katalogwelten, -objekte und -kriterien in der Bewertung von Menschen, um Flachbauch und hard body und Leistungen im Bett. Die Welt als Netz einer hermetichen Logik ist ein unwirklicher Versandhauskatalog geworden. Wirkliche Menschen sind darin nicht vorgesehen.

Selbst nach dutzenden Morden, selbst nach einem öffentlichen Amoklauf - der Proponent schafft es nicht, die Welt zu einer Wirklichkeit in der Reaktion zu provozieren. Was er zwar immer dringender erhofft, die er eigentlich mit seinen Taten immer verzweifelter sucht, denn diese Welt ist unersättlich, will mehr, will alles. Aber die wirkliche Welt zieht sich stets zurück, unsicher geworden, als glaubt die Wirklichkeit selbst nicht mehr an sich. Ja schließlich erlebt man deren Verrätselung. Als würde die Wirklichkeit selbst unwirklich, zum Gestellt des Unwirklichen. Denn sie wird es durch Zeugen, Zeugen aus dieser unwirklichen Welt - der Proponent war bezeugt an einem Ort, wo er gar nicht war, und der in dieser Zeit von ihm Erschlagene hielt sich bezeugt an jenem Ort auf, wohin der Mörder ihn fiktiv verschwinden ließ, um seine Spuren zu verwischen.



Morgen Teil 3) Warum sich an diesem Film die profundeste, zutreffendste und tiefste Kritik der Gegenwart aufbauen läßt, die der VdZ je aus fremder Feder gesehen hat. Aber leider wurde American Psycho in dieser Tiefe nicht verstanden. Denn dann hätte man auch des VdZ Roman "Helena" verstanden. Was wohl die Begeisterung erklärt, mit der er an den Film anknüpft.
+ Der ganze Film. Hier. Morgen.

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