Eine Deutung eines Textes geht niemals aus dem formalen Text selbst hervor, so sehr sie darin umfangen ist weil sein muß.* Sondern sie ist vielmehr das Licht, das dem diesen Text Studierenden bereits zu eigen ist, und sich im Idealfall mit jenem Licht deckt, das dem Verfasser dieses Textes zu eigen war. Genau so wie aber das Licht des Interpreten natürlich formal und nominell im Text enthalten sein muß, sonst weiß er sich im Widerspruch, weiß er daß SEIN Licht nicht mit dem Licht des Verfassers übereinstimmt. Zumindest zwingt es ihn, diese Diskrepanz zu erklären.
Das machte jeden protestantischen Versuch eines "sola scriptura" (nur die Heilige Schrift reicht, um Christ zu werden und zu sein) genauso zunichte und zum Quell tausender Sekten und Interpreten, die sich alle auf "die Heilige Schrift" beziehen ("in der ja steht ..."), wie es den Versuch zunichte macht, aus dem Koran einen "friedfertigen" (natürlich aber auch: gewalttätigen) Islam abzuleiten bzw. dort "begründet" zu sehen. Der Text gibt nämlich alle möglichen Interpretationsarten her.
So, wie die Bibel (gerade in der Dichotomie von Altem und Neuem Testament) zahlreiche Interpretationsarten hergibt, die ohne zuvor bereits das Glaubenslicht (der Tradition) zu haben Probleme aufwerfen können. Scon die Übertragung in Landesprachen wirft schwere hermeneutische Probleme auf. Auch die Bibel ist nicht "aus sich selbst heraus" verstehbar. Wie der Koran. Wie aber sowieso jedes Buch und jeder Text.
Gerade wenn Christen den Koran gutmeinend als "Religion des Friedens" interpretieren sollten sie also nicht vergessen, daß sie es aus christlichem Hintergrund tun, und das heißt: aus ihrer christlichen Tradition heraus und auf diese hin tun. Sie "taufen" ihn gewissermaßen. Aber das tut kein Muslim! (Ohngeachtet der historisch äußerst wahrscheinlichen Tatsache, daß der Koran auf einem christlichen Verkündigungsbuch, dem syrisch-aramäischen querein beruht, also sowieso erst christliches Licht vieles verstehbar macht; wir haben an dieser Stelle einiges darüber bereits zu Gehör gebracht.)
Kein Muslim wird es aber jemals so sehen, wie ein Christ. Tradition gibt es im Islam nur "schulenspezifisch", das heißt, daß auch unterschiedliche Auslegungsweisen des Koran existieren, und zwar: nach wie vor existieren, und es keine objektive, allgemein gültige Auslegung (die nur aus der Tradition bzw. dem Licht des Verfassers heraus möglich wäre) gibt, die von "dem Islam" überhaupt sprechen ließe. Das zeigt die tiefe Spaltung innerhalb des Islam selbst, mit zahllose Richtungen - die sich alle auf "den Koran" beziehen.
Deshalb ist es nicht möglich, von "dem Islam" zu sprechen. Es geht nicht, und es ist nicht im Koran begründet. Wer so spricht, hat eben ein bestimmtes Bild vom Islam, das ist auch schon alles.
Das sollten gerade Katholiken wissen.
*Die Fragen um Sprache und Schrift sind vielfältig und unterschätzt. Was der äußerst hohe Anteil an funkionalen Analphabeten heute und zu allen Zeiten zeigt. Gerade heute aber sind (nach Einschätzung des VdZ) an die 90 % der Menschen (trotz "bester" Schulbildung) nicht in der Lage, geschriebenen Text so zu gestalten, daß er dem, was sie darstellen wollen auch entspricht. Wiewohl auch der Rest ständig darum kämpfen muß, die Sprache der Sprache zu finden, weil Sprache und Schrift auch "Maschinen" mit Eigendynamik und Texte immer auch situativ sind. Das Wesen einer Sakralsprache ist deshalb gar nicht primär, wie oft gesagt wird, daß sie eine gewissermaßen "damaturgische Aura des Heiligen" verbreite, sondern daß in ihr über lange Tradition ein bestimmter Inhalt bestmöglich verschriftlicht wurde, als Kriterium jeder Hermeneutik. Das Hauptübel Luther'scher Übersetzung - wie jeder Schriftenauslegung - ist Simplifizierung.
Was den Koran natürlich ebenso betrifft, dessen Auslegung mangels Sakramentalität (Liturgie) das schwere Problem der Tradition hat. Womit wir den Konflikt zwischen Shiiten und Sunniten bereits ansprechen: Wie gibt sich jene Substanz ("depositum fidei") weiter, wo ist das zu finden, was eigentlicher Träger des einzigen wahren Inhalts ist? Damit sind wir auch bei den inneren Gründen für die im Islam so präsente Erstarrung der Lebensweise. Eine Islam OHNE den Griff nach allgemeiner Lebensweltgestaltung gibt es also nicht, er verhält sich nur dort tolerant, wo er dieses Ziel in ungünstigen Kräfteverhältnissen gar nicht erreichen kann. Das galt für die legendäre "goldene Zeit" in Spanien bis zum 12./13. Jhd., die im islamischen Raum selbst als "Häresie" galt, was sie genau genommen ja ist. Die Geschichte zeigt eindrücklich und ausnahmslos, daß das bei islamgünstigern Verhältnissen sofort umschlägt. Umgekehrt kann der Islam andere Religionsgruppen nur unter deutlichen Entfaltungsbeschränkungen tolerieren. Eben weil es seine dogmatische Präsenz berührt. Auch das ist ohne Ausnahme nachweisbar. Aus der ganz vereinzelten Zulassung einer winzigen christlichen Minorität in der Türkei Gegenseitigkeit in der Form zu begehren, daß dem Islam hierzulande jede Möglichkeit der Entfaltung zuzugestehen sei kann nur als naiv, wenn es icht sogar als dumm und fahrlässig bezeichnet werden muß.
Nun hat zwar auch im Katholizismus die Lebensführung eine gewisse Repräsentativbedeutung, aber nicht in dem direkten, Überlieferung und Dogmatik direkt betreffenden weil verändernden Maß wie im Islam. Und sie hängt zudem stark von der Natur der Sünde (also auch deren Öffentlichkeitsrelevanz bzw. Gemeinschaftscharakter; etwa bei der Ehe) ab. Denn zu seinem Lebensprinzip gehört v. a. die stellvertretende Sühne. Aber seine Dogmatik ist vom faktischen Zustand der Zeit nicht berührt. Anders als im Islam. Er kennt auch keine Stellvertretung in der Erlösung, die im Katholischen durch die Sakramentalität der Taufe gegeben ist. Sodaß dessen Dogmatik als Interpretationshintergrund s. o. (fast) NUR die je aktuelle und individuelle Lebensführung bleibt. Auch hier mit Abstufungen, wie der arabische Wahabismus zeigt, in dem dieses Element besonders stark ist: Dort berührt jeder Moment der Lebensführung direkt die dogmatische Präsenz. Im Katholizismus gibt es ja die Sünde und deren Vergebung.Die Dogmatik spielt als Spannungsziel des logos seine Bedeutung, in der Erreichung aber ist er realistisch.
Nun hat zwar auch im Katholizismus die Lebensführung eine gewisse Repräsentativbedeutung, aber nicht in dem direkten, Überlieferung und Dogmatik direkt betreffenden weil verändernden Maß wie im Islam. Und sie hängt zudem stark von der Natur der Sünde (also auch deren Öffentlichkeitsrelevanz bzw. Gemeinschaftscharakter; etwa bei der Ehe) ab. Denn zu seinem Lebensprinzip gehört v. a. die stellvertretende Sühne. Aber seine Dogmatik ist vom faktischen Zustand der Zeit nicht berührt. Anders als im Islam. Er kennt auch keine Stellvertretung in der Erlösung, die im Katholischen durch die Sakramentalität der Taufe gegeben ist. Sodaß dessen Dogmatik als Interpretationshintergrund s. o. (fast) NUR die je aktuelle und individuelle Lebensführung bleibt. Auch hier mit Abstufungen, wie der arabische Wahabismus zeigt, in dem dieses Element besonders stark ist: Dort berührt jeder Moment der Lebensführung direkt die dogmatische Präsenz. Im Katholizismus gibt es ja die Sünde und deren Vergebung.Die Dogmatik spielt als Spannungsziel des logos seine Bedeutung, in der Erreichung aber ist er realistisch.
*230516*