Im TTIP, das einen einheitlichen Wirtschaftsraum USA (Nordamerika) und EU schaffen soll, soll die jeweilige Rechtslage zwischen diesen Kontinentalräumen angeglichen werden. Was so simpel klingt, hat aber sehr tiefgründende Wirkungen. Denn das Rechtssystem eines Landes baut auf dem kulturgeprägten Werteempfinden der jeweiligen Völker auf. Dabei darf man nicht der Täuschung utnerliegne, daß sich etwa Handelsrecht und Wirtschaftsgesetze vom übrigen Rechtsgefüge abtgrennen lassen. Vielmehr sind aber beide Rechtsbereiche nur Teile eines viel grundlegenderen Rechtsgefüges. Deshalb sind Wirtschaftsangelegenheiten in der Regel durch zwischenstaatliche Verträge geregelt. Nur so lassen sich Teilbereiche schaffen, die dann jeweils ihre Anbindungsstellen und Pufferstellen zum Gesamtrecht eines Staates haben, die diese Verträge auch in ihrer Wirkung begrenzen.
Also muß man bei einer Rechtsangleichung scheinbar bloß funktionaler Teilbereiche - Handels-, Wirtschaftsrecht - die Frage stelle, ob die Rechtssysteme der zu vereinenden Großräume tatsächlich kompatibel sind. Ob also das amerikanische Rechtsempfinden tatsächlich von denselben Grundsätzen und Werten geprägt ist, wie das europäische. Das hat weit mehr mit kultureller Prägung zu tun als mit funktionstechnischen Adaptierungen, denn diese können bzw. dürfen sich nur an der kulturellen Prägung orientieren.
Daß aber diese als nicht übereinstimmend gewußt wird, zeigt die geplante Einrichtung außergerichtlicher, aus dem Rechtssystem eines Staates herausgenommener, ja diesem übergeordneter Schlichtungsstellen. Das kann man nur tun, wenn mit dem TTIP bewußt Werte gesetzt und privilegiert werden sollen, die sich im derzeitgen Wertempfinden der Menschen nicht verankert finden. Das TTIP zielt also NICHT auf bloße Vereinfachung gewisser Wirtschaftsvorgänge ab, sondern es zielt auf die Veränderung der gesamten Rechtssysteme ab.
Die Kernfrage um das TTIP ist also nicht, ob es nun in Europa Chlorhühner oder mehr McDonalds-Niederlassungen geben wird, und ob Mercedes hinkünftig keine US-staatlichen Zertifikate für die eingebauten Rückstrahler braucht, denn das wäre alles mit separaten Handelsverträgen zu regeln. Die Kernfrage des TTIP ist, welche Wertvorstellungen hier beide Seiten als vorrangig übernehmen oder durchsetzen werden.
Und hier steht mehr als zu befürchten, daß wirtschaftstechnische Abläufe zukünftig noch mehr als bisher das europäische Werteleben dominieren und formen werden, als es bisher ohnehin bereits der Fall ist. Veränderungen also, für die der amerikanische Bürger mit Gewißheit besser als der europäische gerüstet ist. Denn nach wie vor ist der europäische Ethos ein Ethos der Verwurzeltheit. Dem Europäer ist Heimat (ein Begriff, den es in dieser Form im Englischen nicht einmal gibt) von substantiell anderer Bedeutung als dem Amerikaner, der die Zugehörigkeit virtualisiert hat, und zwar von Anfang an. Ja man kann den amerikanischen Grundethos sogar als rein positivistischen, voluntaristischen Wert einer Zweitwirklichkeit bezeichnen, der aus bewußt gegen die europäische Verwurzeltheit gerichtet ist. Der amerikanische Ethos ist damit sogar das genaue Gegenteil des europäischen.
Das macht den Amerikaner in wirtschaftstechnischen Abläufen sogar eher überlegen, weil ihm ein bestimmender Konnex fehlt, der das Handeln eines Europäers (und zwar immer noch der Mehrheit der Europäer) maßgeblich mitbestimmt. Salopp auf den Punkt gebracht: Ohne Fanatismus, ohne Sendungsbewußtsein ist der Amerikaner ... nichts. Zwar fehlt dieser amerikanischen Haltung die Langfristigkeit, sie ist nur durch neue Zufuhr von Positivismus aufrecth zu halten, aber ihre Wirkung wird sie auch in Europa zweifellos entfalten. Weil sie dem Europäer jene Existenzgrundlage zerstören kann - Wirtschaft wird gezwungen, sich nach amerikanischen kurzfristigen Orientierungen auszurichten. Das gesamte 19. Jhd. ist ein einziges Tablet solcher Anpassungszwänge, samt ihren Auswirkungen auf europäischen Wirtschafts- und Arbeitsethos. Damit kommt auch das kulturelle Eigengepräge - das derzeit zumindeste noch irgendwie oder rudimentär, vor allem aber als Ziel, als Sehnsucht vorhanden ist - Europas unter enormen Druck.
Noch dazu, wo das TTIP zwei Wirtschaftsräume zuammenschließt, die zueinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Denn beide Wirtschaftsräume produzieren nominell sehr ähnliche Produkte und Dienstleistungen. Das heißt, daß das TTIP die Konkurrenz aufheizen wird, und nicht die Ergänzung. Wenn also Europa einen Wirtschaftsraum sucht, mit dem es sich enger zusammenschließen sollte, um dadurch Wirtschaftsleistung zu steigern, wäre es doch mehr als vernünftig, sich geographische räume zu suchen, die zum einen anbieten, was Europa braucht (etwa: Rohstoffe, Arbeitskraft, etc.), zum anderen die das brauchen, was Europa derzeit anzubieten hat (Technik, Ablauftechnik, etc.)
In jedem Fall sind einer technizistisch aufgefaßten Wirtschaft Elemente am stärksten, die selbst wiederum diesem Technizismus entsprungen sind. In einem einheitlichen TTIP-Raum wird zukünftig Kapital, Geld und Ablauftechnik und damit Produktensimulation. Denn der Amerikaner ist etwa ein "Show-Mensch". Ihm genügt die Illusion eines Produkts, der optische Eindruck. Der VdZ hat seinerzeit engstens Versuche seiner deutschen Partner beobachten können, sich mit Handwerksprodukten in den USA durchzusetzen. Das Ergebnis war einerseits grotesk, anderseits ist es für die Deutschen katastrophal ausgegangen.
Innere Qualität ist der amerikanischen Wirtschaft gar nicht möglich. Dazu fehlt es an der kulturellen Prägung, der etwa hochwertiges Handwerk entspringt, etwas, das aber nur wirtschaftlich kleinstrukturierte Räume wirklich entwickeln können - und denen fehlt es an Kapitalkraft, an technizistischer Performance, beides schließt sich aber aus) Dazu fehlt es aber an viel mehr, das sich in dem scheinbar gar nicht relevanten Militär ausdrückt: Denn der Unterschied zwischen "Auftragsstruktur" und "Befehlsstuktur", der die deutschen von den amerikanischen Heeren unterschied, verlangt einen kutlurell ganz anders geprägten Menschen. Der Mensch, der einen Auftrag weitgehend selbständig ausführen soll ist ein anderer als der, der jeden Schritt nach Befehl ausübt, wie es in der amerikanischen Wirtschaft vielen Berichten nach bereits das gesamte Mittelmanagement "auszeichnet".
In jedem Fall wird deutlich, daß hinter dem TTIP politisch-gesellschaftliche Veränderungsabsicht steht. Die fälschlich davon ausgeht, daß sich die Kulturen beider Völker näher stehen und einander mehr bedürfen, als sie das in Wirklichkeit tun. Die Angst der Menschen, die sich zunehmend artikuliert, ist also mehr als berechtigt, und es steht zu befürchten, daß man sie mit "Aufklärung", die uns ganz bestimmt in kurzer Zeit regelrecht überschwemmen wird (gestützt von modernster, ausgefeiltester "PR-Technik"), die die Europäer aber vor allem von dem ablenken wird, was sie eigentlich wollen und derzeit noch ahnen. Aber nicht rational formulieren können. Denn das was Europa in seinen jeweiligen Ländern und Individualkulturkreisen so großartig machte und macht - es ist da, ohne ausreichend rationalisiert werden zu können.
Es muß aber verteidigt werden. Es ist das Ganze, das die Politik zum einen als "Heiliges", zu Respektierendes nicht zu wissen scheint, zum anderen deshalb leichtfertig auf die Müllhalde wirft. Warum? Weil sie selbst Wirtschaft und Staat nur noch als abstraktes Ablaufgebilde mißversteht, das verdinglicht zum Gegenstand technischer Machbarkeit wurde. Es beruht auf derm - man muß es sagen - klar protestantischen Konzept einer Dichotomie zwischen Welt, Sein und Moral.
Und das heißt für die Politik in erster Linie: Basiertheit rein auf Geld. Denn ohne Geld ist Europas Politik nicht mehr handlungsfähig, weil sie ihr eigentliches Gebiet nicht mehr begreift. Mit Geld, mit Technizismus aber läßt sich die Welt weiterhin als Gestell benutzen, das in sich keinen Wert hat - den muß man über "Ökologie", Moralismen etc. etc. zusätzlich den Dingen aufprägen, die ihren Wert aber nicht in sich haben. Denn dem Protestanten ist die gesamte Welt gefallen und also ethisch ohne Sinngehalt, was ihn vom Katholiken um 180 Grad unterscheidet. Dem Katholiken liegt die Ethik im Eigensein der Dinge selbst, und das zu erfüllen ist sein Gottesdienst. Das Geburtsfehler des Protestantismus war sein revolutionärer Impuls, in dem er das Welthafte erst entwerten mußte, um es dann beseitigen und ersetzen zu können. Deshalb aber unterliegen auch die weltlichen Abläufte für den Protestanten rein menschlicher Willkür. Ihr ethischer Wert wird ihnen erst aufgesetzt.
Daß unter den Proponenten einer politischen Agenda TTIP so auffallend viele Protestanten sind (man denke nur an Obama und Merkel selbst) ist mehr als Zufall. Es ist Menetekel, das warnend zeigt, was kommen wird. Das TTIP wird Europa schwerstens in seiner humanen Substanz schädigen, weil es auf dem Wertgebilde einer protestantischen Weltentwertung aufruht, der im wirtschaftlichen Zahlenspiel (wie es für die Staaten und Regierungen so bedeutend wurde), im nominellen und also pekunären Wohlstand alleine seine Mission sieht. Damit wird der europäischen Kultursubstanz wohl der Todesstoß versetzt werden. Es ist deshalb wie die Vollendung des protestantischen Haßimpulses auf die konkrete Welt, die ihren Sinn nicht mehr in sich trägt, sonst müßte man ... dem Sein gegenüber gehorsam sein.
***