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Montag, 11. März 2019

Ersatzrituale der Reinigung

Man sollte ja alle Dinge und Vorgänge immer danach beurteilen, welcher Archetyp sich dahinter zeigt. Darin kommt man den prinzipiellen Bewegungen und damit der Wirklichkeit oft recht nahe. Und so wird auch erkennbar, was hinter den ebenfalls wie ein Massenwahn bestehenden Vorstellungen von "Schlacken", "Ablagerungen" und "Unreinheiten" im Körper, die unter allem alle möglichen Diäten und Kuren motivieren. Der physiologische Effekt ist gleich Null, sagt Udo Pollmer auf die gewohnt nonchalante Art. Wirkliche Schlacken und Ablagerungen gibt es wenige, und die sind bekannt - etwa als Nierensteine. Die lustigerweise vor allem von als "gesund" bekannten Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmitteln kommen.

Aber der wirkliche, der archetypisch-seelische Vorgang ist eindeutig real (sagen wir). Es steht ein unbewußtes Wissen von Sünde und Verfehlung dahinter, die unbewältigt ist und einen belastet, also "da ist", "Schlacke" ist. Dem somit eine Bewegung folgt, die versucht, sich davon zu reinigen. Der Mensch will rein sein, will sich wieder reinigen. Hat er keine geistigen/geistlichen Kulte, die das ermöglichen, wie die Beichte, fehlt ihm also auch der Glaube an Reinigung, dann sucht er Ersatzprozeduren. 

Dementsprechend ist das Essen - ein archetypischer Vorgang der Welterkenntnis und -aneignung, also auch des eigenen Handelns, das schon aus der Rangordnung der Nahrung als unbedingt lebenserhaltend umso mehr Schauplatz solcher Rituale ist - sogar begrifflich moralischen Zuständen, in denen man handelt oder in welchen Haltungen man sich findet, sehr nahe. Wörtlich wird ja sogar z. B. von "Eßsünden" gesprochen. Was und wie jemand ißt, zeigt, wie jemand zur Welt überhaupt steht. Wir kennen das, wenn wir etwa von "Appetit" sprechen. Und wer ein reines Gewissen hat, ißt auch viel freier. Haut rein, greift zu, läßt es sich schmecken, und so weiter. Essen und Gewissenszustand hängen eng zusammen, sind zwei Seiten derselben Medaille.

Im Fall der Reinigungskuren meint Pollmer aber sogar, daß diese Selbstreinigungen oft haarsträubend falsch sind. (So nebenbei: Dahinter verstecken sich oft absurd simplifizierte, interessanterweise aber wieder Archetypisches verdinglichende Phantasien von körperlichen Vorgängen.) Oft vergiftet sich der sich vermeintlich "Gesundreinigende" damit sogar. (Und da wird es natürlich besonders interessant, weil dahinter die Sehnsucht nach Bestrafung steht, die jeder Übeltäter - Sünder - hat.)

Der Lebensmittelchemiker meint deshalb, daß uns in den nächsten Jahren eine enorme Zunahme von Leberschäden ins Haus steht, weil mit diesem Trend Dinge gegessen werden, die der Mensch aus sich heraus niemals essen würde (wie z. B. Kartoffelschalen, oder mit den Inhalten vieler Smoothies), und die den Körper und vor allem die Leber auf Sicht schwer schädigen. Der meist gräßliche Geschmack (der vielleicht noch durch Zusatzstoffe oder Gewürze übertüncht wird) zeigte an, daß der Körper es ablehnt. Aber umgekehrt ist er - archetypisch gesprochen - die Pönitentia, die Strafe, als Schmerz, der die Wirkung der "Reinigung" als geleistete Sühne (=Wiederaufnahme in eine Zugehörigkeit vor der Sünde, die in der Übernahme jenes Schmerzes besteht, den man der Gemeinschaft zugefügt hat) quasi verankert. 

Auch Pollmer meint, daß der tiefere Grund für diese Reinigungshysterie, die derzeit zu beobachten ist, Schuldgefühle sind. Er meint aber damit nicht alleine objektive Schuld, sondern vor allem anerzogene, wie sie aus einer bereits übernommenen Ernährungsideologie entstanden sind. Wo bereits "Eßsünden" verankert wurden. 

Doch darüber hinaus führt er etwas Interessantes an: Es gehe um jene Schuld, die der Mensch empfinde, weil er in einem Land lebt, wo Lebensmittel jederzeit, überall und zu wenig Geld verfügbar sind. Während Pollmer es aber so erklärt, daß er meine, daß manche deshalb dächten, sie müßten dafür Buße tun, knüpfen wir an die Tatsache an, daß es für den Menschen - immer, aber heute besonders - ein generelles Problem ist, sich in jemandes Schuld zu wissen. Die Gesellschaft kann es aber kaum sein, denn der gegenüber empfindet heute jeder alles als Recht, so wird es ihm zumindest eingeredet. Also sucht man einen transzendenten, darüber hinausliegenden Grund. Und findet ihn in abstrakten, gewissermaßen objektiven Gesundheitsvorgängen, in Vorgängen, die man "spürt" (so, wie man die Beichte sinnlich erlebt). Gesundheit und Glücksgefühl ist ein Äquivalent zu Heil und Erlösung!

Hier geht es wieder mit Pollmers Sichtweise zusammen. Der meint, daß es auf jeden Fall mit dem Bedürfnis nach Reinheit und Sündenfreiheit zu tun hat, mit der einhergeht, daß Gesundheit mit Geglücktheit identisch ist. 

Der Sinn von Entgiftungsprozeduren ist nur dort gegeben, wo es um wirkliche Vergiftungen geht. Also z. B. bei Durchfallkrankheiten, die durch Bakterien im Darm entstehen. Hier ist eine Entgiftung oft angebracht, in dem Fall mit medizinischer Kohle, die die Gifte aufnimmt, sodaß sie mit der Ausscheidung den Körper wieder verlassen. Als weiteren Fall führt Pollmer die Anwendung von tierischem Eiweiß an. Man weiß, daß solches Eiweiß - Fleisch, Käse etc. - die Toxizität vieler Stoffe verringert. 

Befragt nach Methoden, wie solche aus dem Ayurveda, sagt Pollmer etwas recht Kluges: Diese Methoden sind kultur- und lokalspezifisch, das heißt, daß sie den Konstitutionen, Lebensgewohnheiten und Eßsitten der Länder entsprechen, in denen sie entwickelt wurden. Wieweit sie damit bei uns überhaupt sinnvoll sein können, steht auf einem anderen Blatt Papier.








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