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Montag, 26. Juli 2010

Der neue Mensch

Er sei kooperativ gewesen. Außerdem saß er bereits elf Jahre in Untersuchungshaft. Der heute 67jährige Kaing Guek (Bild) war Mathematiklehrer, ehe er 1975 für die Regierung Pol Pot in Kambodscha als Verwalter eines Gefängnisses tätig wurde. Das, so wie dutzende andere solcher Stätten, in der Zeit 1975-1978 zur Erreichung des "historisch beispiellosen Experiments" (Pol Pot) eingesetzt wurde. In diesen Jahren wurden etwa 1,8 Millionen Bewohner dieses alten Kulturlandes, das starke Einflüsse von Indien her aufweist, ermordet.

Kaing Guek wird nach dem Richterspruch des internationalen Senats, der in Phnom Penh tagte, (nur) noch weitere neunzehn Jahre im Gefängnis verbringen müssen. Wer das "Schwarzbuch des Kommunismus" von Stephane Courtois und anderen aufschlägt, braucht starke Nerven, die ich nicht habe, um auch nur die Andeutungen dessen zu lesen, was sich in diesen Gefängnissen und überhaupt in diesem Land abspielte. In dem Mord so alltäglich wurde, daß man jederzeit und wegen geringster "Delikte" damit rechnete. 1979 waren 42 Prozent der Kinder Waisen, 1992 64 Prozent der Jugendlichen. Viele soziale Fehl-Erscheinungen im heutigen Kambodscha werden schon nur darauf zurückgeführt.

Folter wurde damals systematisch und ohne "Sinn und Ziel", zur bloßen Unterdrückung und subjektiver Willkür folgend eingesetzt. Anders aber als in China oder der Sowjetunion, konnte man in dem vierzehn Millionen Einwohner-Land (heute), das 2010 einen Altersschnitt von einundzwanzig Jahren aufweist, nicht damit rechnen, aus den Umerziehungslagern - bei "Erfolg" der Gehirnwäschemethoden - wieder entlassen zu werden. Die dezentralisierte Macht hatte zur Folge, daß die unfaßbaren Greueltaten vor allem auf lokaler Ebene beschlossen und durchgeführt wurden. In treuem Dienst zur zentralen Doktrine.

"Wir brauchen vielleicht eine Million Revolutionäre, um unser gesellschaftliches Ziel zu erreichen. Alle anderen brauchen wir nicht," verkündete die Doktrin des damals noch von Moskau und Peking gestützten Regimes, das aber bald die Bande mit China fester knüpfte. Mit chinesischer Hilfe sollte nach dem dortigen Vorbild eine Kulturrevolution stattfinden. Dabei hatte Pol Pot aus einer bemerkenswert schwachen Ausgangslage die Macht an sich gerissen (was den ganz besonderen Fanatismus noch mehr erklärt). Nur 4.000 (1974) bis 14.000 (1975) Parteimitglieder, und vielleicht 60.000 Kämpfer (Rote Khmer) schätzt man. Diese Kaderschwäche mit der daraus folgenden Inkompetenz und zunehmender regelrechter Verdummung war wesentlich mit verantwortlich für das organisatorische Chaos, in dem subjektiver Wahn so beispiellosen Freiraum erhielt.
Der Diktator Pol Pot selbst betrachtete sich als Genie: auf militärischem, politischem, künstlerischem Gebiet - einfach in allem. Die Führungsspitze isolierte sich zunehmend von den Kadern, die völlig uferlos wurden. Die Lage mündete in unkontrollierbaren Massentötungen, in denen alles ausgelöscht werden sollte, was als Tradition und Geschichte und Geist den neuen Menschen bedrohte.

Der ihnen allen gemeinen Angst vor einer Revolte entsprechend, waren bald alle "verdächtig", konterrevolutionär zu arbeiten. "Beim Verhaften kann man nie einen Fehler machen," hieß es. "Nur beim Freilassen." Bald hatten alle in diesem Land Angst - jeder, vor jedem. In einer Atmosphäre des Kriegszustands meinte man die Lösung auch für den Zusammenbruch der Inlandsproduktion zu sehen.

Die Invasion durch (das gleichfalls kommunistische, aber im Gegensatz zu Kambodscha an Rußland, nicht an China orientierte) Vietnam 1978 - ins Land geholt von einer in Kambodscha sich bildenden Oppositionregierung - beendete diesen unfaßbaren Schrecken.


*260710*