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Dienstag, 13. Juli 2010

Was sonst?

Als A mich den Maronitischen Franziskanerinnen vorstellte, meinte er erst: Ein wunderbarer Schauspieler, ein großartiger Vater … Doch dann unterbrach er, und erstmals wirkte er gar nicht verlegen bei diesem Punkt, wie so oft zuvor, er schien einfach erstmals darüber nachzudenken, huschte etwas wie ein Schimmer über sein Gesicht: Beten und denken. Ja: Beten und denken. Er nickte zufrieden.

Ich schaute ihn überrascht an. Als hätte er mich tatsächlich erfaßt. Er hatte es so natürlich gesagt. Und ich hatte mich erstmals bei diesem Punkt natürlich gefühlt.

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Daran mußte ich denken, als ich vorhin wieder einmal Julien Greens Tagebücher hergenommen hatte, den Band mit 1976. Ich habe sie ab Anfang der 1990er Jahre gelesen, jahrelang, Band um Band, und an jenem ominösen Sonntagnachmittag 1998 auch an ihnen allen die Schutzhüllen verbrannt, wie bei allen übrigen Büchern meiner Bibliothek. Das feine Leinen der Green-Bände liegt nun so schutzlos in meinen schweißnassen Händen. Ich sehe mehrmals nach, ob ich sie auch nicht befleckt habe.

An der zufällig aufgeschlagenen Stelle beschreibt er, wie er einer Radiosendung zugehört hat, in der auch über seine Tagebücher gesprochen wurde. Sie seien so natürlich, habe einer der Kritiker gemeint.

Natürlich ist auch das Prädikat, der Green den Tagebüchern Byrons beimißt. Im Gegensatz zu allen übrigen seiner Werke, sei Byron hier ganz entspannt, und erzähle sich selbst, erzähle Byron Byron. Green erwähnt die Stelle, wo Byron von seiner Flucht aus dem Internat erzählt, die unter einem seltsam guten Stern gestanden haben muß: denn als er mit seinem riesigen Koffer, mitten in Nacht, die gewaltige Treppe hinunterstolperte (Byron hatte verkrüppelte Füße), war ihm das Ungetüm ausgekommen, und wie von selbst, unter enormer Lärmentwicklung, sämtliche vier Stückwerke nach unten gerattert. Der Schuldirektor, der sonst bei jedem Fußtritt wach wurde, der am Gang zu hören gewesen war, hatte nichts gehört.

Byron sei sonst nie natürlich gewesen, nicht einmal in seinen Briefen. Am ehesten vielleicht noch bei seiner skandalösen Inzestbeziehung zu seiner Halbschwester.

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Ich habe keine Halbschwester.

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Im ersten Band beschreibt Green, wie er als 17- oder 18jähriger Junge von der Schule kommend völlig ahnungslos gewesen war, was für einen Beruf er nun ergreifen solle. Er habe einfach bei einem Buchhändler angefangen. Aber nach zwei Tagen bereits wieder aufgehört. Nie, auch später nicht, sei er sich je über seine Natur - seine Identität - klar gewesen.

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Über Byron schreibt Green, daß der während jener Jugendtage ständig den Euripides bei sich trug, und daraus las. So bergab sei die Bildung gerasselt - Green verwendet das Bild - daß schon Euripides in Übersetzung zu lesen heute als außergewöhnliche Bildung gelte.
Aber darin kann ich ihm nicht so einfach zustimmen. Bildung, die nicht natürlich ist, war auch nicht Bildung, als man Euripides in Altgriechisch las.

*130710*