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Sonntag, 27. Januar 2013

Das Heilige war zuerst

Am Anfang der menschlichen Erfahrung stellt die gesamte sich ihr bitende Wirklichkeit den Bereich des Heiligen dar. Das Heilige gehört zum ursprünglichen Verständnis der Welt, die der Mensch als Gesamtheit und zugleich als qualitative Einheit erfaßt. Später, schreibt Louis Bouyer in "Mensch und Ritus" (in Zusammenschau mit Eliade's Ausführungen in "Das Heilige und das Profane") gelangt der Mensch zum reflesen Selbstbewußtsein, er erfährt seine relative Unabhängigkeit, weil er inerhalb der Wirklichkeit einen Bereich als sein Eigentum für sich abgrenzt und Gott davon ausschließt.

Zu diesem Zeitpunkt taucht das Profane auf. Das Profane ist also nicht die Welt, der das Heilige "hinzugefügt", in das es "konsekriert" werden müßte, sondern dem ursprünglichen Menschen fallen Welt und Wirklichkeit, die eine Wirklichkeit des Göttlichen in seiner Hochzeit mit dem Irdischen ist, zusammen.

Erst mit der zunehmenden Zivilisation, die praktisch immer eine zunehmende Technisierung und damit scheinbare Weltbeherrschung bedeutet, taucht der Gedanke auf, daß die Welt sich in der Machbarkeit erschöpft. Und ab diesem Moment wird sie profan. Je mehr der Mensch die Welt planmäßig unterwirft und gestaltet, desto mehr weitet sich das Profane aus. Es ist eine typische neuzeltliche Illusion - und entspricht nicht der historischen Wahrheit - die Welt an sich als profan zu sehen. Das Profane ist das profanierte Heilige!

Zur gleichen Zeit, so Bouyer, da er die Grenzen seines Feldes immer weiter absteckt, verliert er das Interesse für die restliche Wirklichkeit. Es kommt dann ein Augenblick, da ihm das Profane praktisch mit dem Wirklichen identisch zu sein scheint. Das Heilige lebt nur noch an bestimmten Orten fort. Dann gewinnt der Mensch auch leicht den Eindruck, als würden die Riten das Heilige hervorbringen. 

Aber Riten bringen niemals das Heilige hervor, sie bringen überhaupt nichts hervor. Sie bewahren einfach das Heilige! Der Kult geht jeder Kultur voraus. und er liegt ihr in einem viel weiteren Maß zugrunde, als gemeiniglich angenommen wird - nämlich nicht als Sonderveranstaltung, sondern als Wirklichkeit, die alles durchdringt. Fällt der Kult, fällt die Kultur. Der Tanz bringt die Arbeit hervor. Im Ritus wird der Welt als Ort des Menschen ihr ursprünglicher Platz wieder zugewiesen, ihr belassen.

Das Heilige abzugrenzen, in Heilige Bezirke einzuschließen etc., ist lediglich bereits die schützende Reaktion auf die rundum erfolgende Profanierung, in der sich der zivilisierte Mensch immer mehr Bereiche aneignet und Gott daraus entfernt. Und hier setzt die Mythologisierung ein, die dieses an sich Heilige auch intellektuell abzusichern beginnt.

Die Magie selber folgt erst später, sie ist nicht die Wurzel des Religiösen, sondern bereits seine Entartung, als profanierende Aneignung des Göttlichen, also der Technik direkt verwandt, die sich nun dem Heiligen zuwendet. Sie ist aus dem Heiligen abgeleitet. Denn das Wesen des Sakralen ist seine Unverfügbarkeit, das die menschlichen Kräfte nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ übersteigt - Eigentum Gottes. Das Heilige ist ein an sich und durch sich Vorhandenes, kein Gemachtes.* Am selben Punkt wird in der Magie der Heilige Bezirk bzw. Ort zum Ort der Verfügbarmachung des Göttlichen umgedeutet.

In der Liturgie passiert aber etwas anderes: die konsekratorischen Riten sind eine Erkenntnis des Göttlichen und seiner ihm eigenen Wege. Dienst, in dem sich der Mensch dem Willen des Himmels unterwirft und sich ihm ausliefert, was auch immer für Hintergedanken dabei sein mögen. Auch in diesem Fall muß er aber die Unabhängigkeit und letzte Souveränität des göttlichen Willens anerkennen.

In der Heiligen Messe also begegnet der Mensch dem neuen (in gewisser Hinsicht: ersten, anfänglichsten) Adam, von dem alle Menschheit ausgeht, inmitten einer uranfänglichen Ordnung des Kosmos, die aber auch der Welt "draußen" zugrundeliegt, die ihr eigentliches entelechiales Bestreben ist, die unter der Unordnung, die durch den Menschen in sie hineingebracht wurde, ächzt und stöhnt. Im Ritus wird dieser ursprüngliche Mensch repräsentativ wiederhergestellt, er übt sich darin ein, nimmt dieses Heilige fleischlich wieder an, und das ist das Heiligende für den Menschen.





*Sehr typisch für diesen Schritt der Aneignung bzw. Profanierung ist die etymologische Umdeutung des "Sakralen", wie sie historisch als Bedeutungsverschiebung zu beobachten ist. Mit dem Beginn der Neuzeit wird "sacrificium - sacrum facere" - als "sakral MACHEN" transkribiert. Während es ursprünglich schlicht "das, was heilig ist, tun" bedeutet.




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