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Donnerstag, 31. Januar 2013

Unfähigkeit zur Selbstbegründetheit

Ein Detail liefert die Universität Regensburg mit einer Untersuchung über das Lernverhalten von Schülern, die mit Inhalten textal konfrontiert werden, berichtet pressetext.at

Schüler, die Texte nur lesen, auch wenn sie sie mehrfach lesen, merken sich die Inhalte wenn überhaupt so nur kurze Zeit.

Anders, wenn sie die Texte nur zweimal lesen, und sie dann wiedergeben müssen - so gut sie eben können. In diesem Spielen mit den Inhalten, in dieser Eigenleistung erst werden Inhalte auch langfristig zu Gedächtnisinhalten.

Das ist auf jeden Fall eine Aussage über die Illusion, im Zeitalter der Vernetzung könnten digitale Medien die Leistungen des Gedächtnisses ersetzen. Das können sie nicht. Was man nur am Bildschirm liest, sinkt ins Vergessen, wird, wie andere Studien belegen, nur mehr oder weniger oberflächlich zur Kenntnis genommen, hat aber keine Auswirkungen. Bildschirmtexte werden eindeutig oberflächlicher zur Kenntnis genommen, man weiß nach dem lesen was dort steht, mehr aber nicht, und vergißt es rasch wieder. Das Gelesene verliert seine Relevanz, dem Leser bleibt nur sein momentaner Erkenntnisstand, um dem Gelesenen mehr Bedeutung zu verleihen, sich es also zu "merken". Die ständige Präsenz von technischen Hilfsmitteln, die Abrufbarkeit von Wissen, mag quantitativ signifikant sein. Aber die Menschen verlernen tatsächlich das eigene Denken. Sie werden bestenfalls zu Assemblern von Wissensfetzen. Mit dem Finger ständig auf "schlag nach bei Wikipedia". Oder, den unaufhaltsamen technischen Entwicklngen folgend, mit ständigen Einspielungen von "Wissen", sobald sie etwas durch die buchstäbliche, gegenständliche Wahrnehmungsbrille sehen.

Das copy & paste ist mehr als ein einmaliges Vorgehen, es ist eine Haltung. Erkenntnis wird mit diesen Hilfsmitteln zur bloßen Cleverness, mit diesen Fetzen umzugehen. Mit einem gravierenden "Nachteil": Weil Wissen erst durch das Vermögen zur Ordnung von Gewußtem zur Erkenntnis wird, ja Erkenntnisgewinn erst durch Vergleichen mit Vorhandenem entsteht, wird der mediengestützte "Wissende" unfähig, seine Erkenntnis zu entwickeln. Er bleibt einerseits stehen, regressiert dabei in Wahrheit, und wird in zunehmendem Maß von ordnenden Kräften abhängig, denen er gerade Vertrauen schenkt. 

Das zeigt sich auch deutlich in der Tendenz der social media, "Bewertungen" einzubauen, um so das diffundierende persönliche Einschätzungsvermögen durch Fremdbewertungen zu ersetzen. Denn auch darin erkennen sie sehr richtig das Manko der Menschen: Urteile zu fällen. Weil aber in dieser Wolke von Bewertungen im Grunde niemand in der Lage ist, Urteile zu fällen, sondern selber auf die Werturteile anderer starrt, um die seinen zu bilden, werden sich diese Bewertungswolken wie Vogelschwärme verhalten. Unberechenbar, wiewohl enorm leicht beeinflußbar, das aber nur sehr kurzfristig.

Mit Wissensinhalten umgehen kann nur, wer sie auch besitzt. Nur so ist die Entwicklung einer immer breiteren Basis der Grundlage der Urteilsfähigkeit möglich. Auf denen weiter aufgebaut werden kann - wenn sie erinnert werden. Nur durch die Erinnerung können damit überhaupt komplexe Erfahrungen gesammelt und weiter kombiniert, zu immer höheren, abstrakteren (aber damit allgemeineren, umfassenderen) Erkenntnissen entwickelt werden. Nur das Erinnerte hat damit Signifikanz für den Aufbau einer freien Persönlichkeit. Fällt das Erinnerungsvermögen weg, fällt am anderen Ende auch die Fähigkeit zu abstraktem Denken weg. Das Denken wird zur bloßen Fallerledigung, zusammenhanglos und chaotisch - die Persönlichkeit wird dämonisch, Bildung im eigentlichen Sinn wird unmöglich. Daß also Bildung als entscheidender Faktor der Zukunft angesehen wird, hat interessanterweise hierin ihr fundamentum in re. Nur ist der Begriff zur reinen Äquivokation und damit Täuschung verkommen, seine Inhalte sind ausgetauscht worden. Das heutige Schulwesen erreicht in seiner anthropologisch verfehlten Pädagogik gerade das Gegenteil.

Daß aus solchen Persönlichkeitsstrukturen keine Weltbilder mehr hervorgehen, die sinnvolle Sinnzusammenhänge zur Grundlage haben, ist längst allgemein beobachtbar. Gerade unter jungen Menschen ist der (mit ethisch positiven Gefühlen künstlich behängte) "Verzicht" auf ein zusammenhängendes Weltbild, auf dem ein Mensch stehen, handeln, weiter denken kann, nicht mehr als die Unfähigkeit, überhaupt noch eines zu bilden. Sie "verzichten" darauf, die Prinzipien der Welt zu erfassen, weil sie diese Abstraktionsebenen gar nicht mehr bilden können. Den Menschen heute fehlt beobachtbar diese zentrale Wurzel, aus der heraus sie alles Begegnende in einen können. Es bleibt nur noch die Ebene von partiellen "Meinungen", Weltbilder selbst werden aus oft grotesk widersprüchlichen, emotional akzeptierten, aber im letzten nie über längere Denkwege begründbaren Einzelbestandteilen zusammengeschustert. 

Und hier spielen die technischen Möglichkeiten, die sich in jedermanns Hand befinden, die entscheidende Rolle. Ihnen erwachsen Weltbilder (und Menschen), die nur noch "irgendwie", diffus und emotional sind, aber nicht mehr in einem Punkt zusammengefaßt, eben vernünftig. Damit zerfällt unweigerlich jede Gesellschaft. Denn Einheit vermag nur diese außerhalb stehende Vernunft, als "Allgemeines", allen gleichermaßen zugängig (durch Abstraktion, durch Denken) zumindest als Zielpunkt, zu geben. Dieses Außerhalbstehende der Vernunft aber, die es in einem schöpferischen Akt zu ergreifen gilt, ersetzt derjenige, der zur Abstraktion unfähig ist, durch die Zustimmung zur nicht mehr beurteilbaren Fremdbestimmtheit. Damit fällt auch das Prinzip der Verantwortung völlig aus. Es wird ersetzt durch das Prinzip der Umwandlung der willkürlichen eigenen Intention zur Allgemeinheit - Weltsicht wird zum Fanatismus.

Ein Werkzeug hat ja seine Eigendynamik schon darin, daß es als Gut, als Ding Aufforderungscharakter hat, benützt zu werden. Dieses Benützen selbst IST für sich gesehen eine ethisch "gute" Handlung. Das ist das Kernproblem einer derartig technisierten Zivilisation, wie der unseren. Mit "maßhaltender Anwendung" hat das nichts mehr zu tun. Die Technik WIRD siegen, schon gar denkt man das mit dem Gesagten zusammen.

Es geht also auch im schulischen Lernen darum, die Schüler zu psychogenen Eigenleistungen zu bringen, in denen sie sich in einem Akt der Nachschöpfung, die die Referenz zum Erinnerten braucht, erst die Inhalte (als Erfassen und Bilden der Prinzipien, die hinter den Dingen stehen, aus denen sie hervorgehen) aneignen - INDEM sie sie sich aneignen. Die neuen Medien aber haben im Unterricht nichts verloren.






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