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Samstag, 5. Januar 2013

Was den Menschen ausmacht

Die Photographin Herlinde Koelbl im Interview im Schweizer Fernsehen: Als sie Angela Merkel einmal photographierte und befragte, was sie als Politikerin gelernt habe, habe diese geantwortet: Fragen Sie mich besser, was ich verlernt habe. Sie habe nämlich lernen müssen, sich eine Maske aufzusetzen. Sonst wäre sie zu leicht manipulierbar geworden, könnte ihr Amt nicht ausüben. 

Die Demokratie ist ein Dauerkampf, ein Dauerkrieg. Keinen Moment erlaubt sie "Friedenspolitik". Man muß immer mit dem Angriff des Gegners rechnen. Das kennzeichnet die Politik am deutlichsten, die uns bestimmt. Jeden Moment ist man zutiefst in der Existenz, in der Identität gefährdet, sie wird pausenlos von außen hinterfragt.

Dankbar hätten auch andere Politiker registriert, endlich - im Gespräch mit Koelbl - "erkannt" zu werden.

Koelbl hat sich in ihren Photographien sehr mit "Kleidung" auseinandergesetzt. Und zeigt vielfach, wie das Amt, seine Anforderung und Logik, den Menschen in der Gestalt formt.

Das führt direkt zu den Gedanken, die Louis Bouyer auseinandersetzt, der zeigt, daß der Mensch in seiner Gesamtheit, in seinen Haltungen, vom Ritus, von der Zelebration seines Lebens als Gestalt, geprägt wird, ja davon ausgeht. Im Anfang war die Gestalt.

Die deutsche Photographin führte auch aus, wie entscheidend anders es sei, sich Menschen direkt gegenüber zu sehen, anstatt ihr abstraktes Schicksal zu beurteilen. In den Gesichtern selbst zeige sich etwas, das keine (historische, persönlich-geschichtliche) je erzählen kann. Und das die abstrakten Theorien oft regelrecht aushebelt. Wirkliche Geschichte, wirkliche geschichtliche und umfassende Wahrheit erfährt man erst, wenn man persönlich erzählt bekommt, was geschah. Die persönliche Weitergabe in Erzählungen enthält also mehr Wahrheit, als jede abstrakte "Faktensammlung" oder Theorie.

Der Mensch, so ein Fazit aus Koelbl's klugen Äußerungen, ist privat nicht "qualitativ mehr er selbst", sondern in der Formverringerung nur verletzlicher. Deshalb ist es ihr unverständlich und sie hält es für fatal, daß sich im Internet so viele so weit öffnen, so viel von sich preisgeben. Sie werden auf diese "Formlosigkeit" festgenagelt werden können, denn nichts verschwindet aus dem Netz, es wird alles gleich präsent halten. Damit wird ihre spätere Gestalt entdinglicht, verschwindet. Denn es wird eine Entwicklung zur Form - als Entwicklung zur Persönlichkeit, die immer ein Außen ist, nur insofern ist ja ein Ding ein Ding, das wirken kann, also: wirklich - gar nicht mehr möglich. Die nämlich Schweigen braucht, vergessen. Leben zielt aber auf größtmögliche Selbststeigerung hin, und damit auf Ausfaltung der Person in möglichst umfassende Gestalt. Das Internet raubt damit Leben, weil es seine Gestalten zum Einsturz bringt.

Es ist also fraglos ein Zusammenhang erkennbar zwischen der Entstehung des scientistischen Technizismus - der die Welt in Funktionen auflöst - und der Auflösung gesellschaftlicher Formen und Gestalten, und der darin manifesten Ordnungen. Der Technizismus wird zum versuchten Ersatz der Wirklichkeit, die aber nur in der Gestalt liegt.






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