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Donnerstag, 10. Januar 2013

Der Schwanz der Katze - Japan (1)

Am Beispiel Japan läßt sich viel lernen. Denn das Land der aufgehenden Sonne hat bereits vor Jahrzehnten vorweggenommen, was Europa erst noch bevorsteht. Wollen wir - natürlich in groben Linien, aber aus solchen läßt sich am einfachsten erkennen - einmal nachvollziehen, was dort passier ist.

In den 1970er-Jahren hat Japan unter enormem Verschuldungsgrad eine beispiellose Aufholjagd zur Industrialisierung unternommen und ist (nominell) zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Hauptträger dieser Expansion: der Export, damit: der Weltmarkt.  Damals tauchten auch bei uns die ersten Toyotas und Mazdas und Daihatsu's auf, samt Nikkon-Kameras und Sony-Radios. Merkmal: Billig, etwas plastifiziert, aber immer besser.

Vor allem aber: modern, in fast hechelnder technischer Fortschrittlichkeit. Massenprodukte in erster Linie. Und dieser Hinweis ist wichtig. Denn Modernität heißt eben Abstraktion, ablösen einer Sache ja des Lebens aus seiner Konkretheit und Ortsgebundenheit, gestalten nach wissenschaftlichem Rationalismus bzw. rational entleerter Wissenschaftlichkeit. Dieser Rationalismus, dieser Technizismus, der Wirtschaftsvorgänge auf technische Abläufe reduzierte, war als prägender, ja ausschließlicher Grundzug japanischer Wirtschaft erkennbar. Selbst für einen kleinen HAK-Absolventen, wie es damals der Verfasser dieser Zeilen war, der sich im Rahmen einer Arbeit sogar direkt mit der japanischen Handelsvertretung in Österreich diesbezüglich auseinandersetzte.

Diese Art zu wirtschaften ist nur möglich, wenn sie auf Kapital aufbaut. Denn sie braucht Maschinen. Also wurde die japanische Marktwirtschaft durch Geld geflutet. Auf der Grundlage billiger Arbeitskräfte, wurde investiert auf Teufel komm raus. Weil das nur auf der Grundlage niedriger Zinsen möglich ist, hat der japanische Schuldenmarkt eine Besonderheit - dazu unten. So jedenfalls, stark vereinfacht, wurde Japan zur Nummer 2 der Welt, gleich nach den USA, überholte Deutschland. Von China war jeder las, wie bald alles werden würde.

Aber bereits Ende der 1980er Jahre, nach 15, 20 Jahren Boom, waren eigenartige Folgen im Land spürbar geworden. Das Überangebot an billigem Geld (Niedrigzinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln) hatte zu einer beispiellosen Immobilienblase geführt. Und Immobilien sind eben die Hauptsicherheiten für Kredite, das heißt, daß steigende Immobilienpreise auch höhere Kredite möglich machen, damit mehr Investitionen, mehr Konsum, etc. 

Nach und nach wurden aber diese Preise auf ihren Realitätsgehalt hinterfragt. Und in einer Kettenreaktion brachen sie ein. Und damit stand die nationale Bankwirtschaft vor einem Desaster, mußte unter enormem staatlichen Einsatz aufrechtgehalten werden: Riesige Kreditsummen wurden wertlos, es war eindeutig zu viel Geld im Land. Ließ man die Banken einstürzen, würde alles einstürzen. Also mußte der Staat eingreifen, und es  mußte massiv gegengesteuert werden ... Das Land hat sich bis heute nicht mehr von dieser Situation erholt. 

Um dieses fragile Spiel überhaupt aufrechtzuhalten, mußte und muß der japanische Staat also bereits permanent intervenieren. Durch den Kurs des Yen einerseits, weil er sich auf das Kapital selbst auswirkt - die Geldmenge durfte nicht wirklich reduziert werden, sonst wären die Investitionen ausgeblieben. Durch Zinsbewegungen anderseits. Denn hier versuchte man, die zu hohe Geldmenge durch höhere Zinsen einzudämmen, anderseits das Kapital im Land zu behalten. 

Denn der japanische Schuldenberg hat eine Besonderheit: Man ist in erster Linie im Land selber verschuldet. Schon aus Gründen der Volksseele, den europäischer Individualismus als Kollektivismus sieht, bestand in Japan aus traditionellem, mentalitätsmäßig verankertem Verantwortungsgefühl für das Ganze eine enorm enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft. Das heißt aber auch, daß jeder Kreditausfall direkt im eigenen Land Auswirkungen zeitigt, es zu keiner Streuung der Folgen kommt. Alles Gute bleibt im Land. Aber auch alles Schlechte.*

Es ist am Beispiel Japan aber deutlich die Konsequenz daraus zu sehen: die Japaner müssen sich die Schulden, die der Staat bei ihnen hat, aus der eigenen Tasche - selbst also - zurückzahlen. Das ist nur  mit wirklich belastenden Steuern für die Arbeitenden (die IMMER die Zeche zahlen) möglich, wie der Konsumsteuer (Mehrwertsteuer), die drastisch erhöht werden sollte. Ehe es aber dazu kam wurde die Regierung abgewählt.

Gleichzeitig ist Arbeitslosigkeit in Japan - sie ist auch heute sehr niedrig - ein Schreckgespenst, weit mehr als es Europäern vorstellbar ist. Denn mit ihr verliert der Einzelne (der sich weit mehr auf das Kollektiv bezieht, als es in Europa noch üblich ist) "alles". Sein ganzer Persönlichkeitsgrund, der auf die Gesellschaft bezogen ist, zerfällt. Also ist die Vermeidung von Arbeitslosigkeit, auch in seinem ethischen Rang bei Entlassungen (deren man sich in den USA beispielsweise rücksichtslos bedient, um eben zu steuern), eines der eisernen Ziele japanischer Politik. (Die Selbstmordrate in Japan ist nach wie vor die höchste der Welt.) Das drückt sich schon in der Stellung des Tenno aus: Kulturen, wo der König (bzw. Kaiser) zum verfleischlichten, auf Erden anwesenden Gott wird (nicht, wie im Abendland meist, zum Stellvertreter des Volkes vor Gott), vergöttlichen den Staat bzw. die Gesellschaft.




Morgen Teil 2 - Rechnung ohne den Wirt




*Interessanter-, aber nach dem Gesagten: logischerweise, hat Japan durch diesen Solipsismus diese letzte weltweite Finanzkrise relativ gut überstanden. Die Währung steht derzeit hoch, ist stark. Was aber schlecht für den Export ist.



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