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Mittwoch, 16. Januar 2013

Wüste des Sozialen

Die Welt steckt in einer Krise. Nennen wir sie: Finanzkrise. Die Staatsbudgets werden von der Schuldenlast erdrückt. Länder wie Griechenland können ihre Schulden nicht mehr bedienen, ja können sich gar nicht mehr finanzieren, und müssen deshalb ihre Staatsausgaben kürzen. Unter den ersten Opfern sind Sozialleistungen. In einem Staat, der seit 20, 30 Jahren zu einem Sozialstaat umgebaut wurde, der permanent und direkt das Wirtschafts- und Alltagsgeschehen zu gestalten und zu beeinflussen versucht. Mit einer Staatsquote - dem Anteil von Staatsausgaben an der Wirtschaftsleistung des Landes - von 53 %, wie überall sonst auch in Europa, sieht man von der Schweiz ab, hängt alles an seinem Tropf.

Die FAZ schreibt über die Auswirkungen auf die Bevölkerung. Depression beherrscht das Land. Die Alten verstehen die Welt nicht mehr, denn sie meinen doch alles richtig gemacht zu haben. Ein alter Mann erschießt sich vor dem Parlament. So hinterlasse er seinen Enkeln wenigstens keine Schulden, schreit er, ehe er abdrückt. Das Land wird weltweit verachtet. Es steht unter einem traumatischen Schock, niemand begreift was da passiert ist. Nichts funktioniert mehr. Die Spitäler haben zu wenig Verbandsmaterial und Medikamente. Viele Menschen haben keine Versicherung mehr, können sich Behandlungen oder ihre Herzmittel nicht mehr leisten.

Die Selbstmordrate hat sich verdreifacht.* Vor allem die Männer fallen in tiefe Depressionen. Sie verdienen für die gleiche Arbeit wie vor zehn Jahren deutlich weniger. Wenn sie überhaupt noch eine finden. Ihr Selbstwertgefühl ist schwer angeschlagen, denn der Mann definiert sich in weit höherem Ausmaß als die Frauen über seinen Marktwert, seine Gebrauchtheit am Arbeitsmarkt. Die Jungen, die eine Welt vorfinden, in der sie keinen Platz haben, sind voller Wut und lassen ihren Aggressionen auf den Straßen freien Lauf.

Das immer so gastfreundliche Griechenland wird allmählich xenophob. Die USA haben Reisewarnung ausgegeben, vor allem Schwarze sollten das Land meiden. Es herrscht Egoismus und Überlebenskampf, jeder gegen jeden, der Mensch wird zum Raubtier. Solidarität ist ein Fremdwort. Korruption nimmt enorme Ausmaße an, Griechenland ist mit Djibouti und Kolumbien vergleichbar.

Frauen überstehen die Krise am besten. Ihre Identität ist weniger fixiert, starr, weniger vom Prestige eines Außen abhängig. Sie reagieren pragmatisch, und konzentrieren sich einfach aufs konkrete Überleben. Wo gibt es günstiges Fleisch, wo Zucker, wie wächst der Rhabarber auch am Balkon, und wie bleibt wegen unbezahlbarer Stromrechnungen die Milch fürs Baby auch ohne Elektrizität frisch. Kleine Öfen in Wohnungen sind üblich geworden, Holz wird gesammelt, wo es sich findet.

Es gibt kein Auffangnetz unter dem Staat. Nicht mehr. 30 Jahre immer verzweigter wuchernder Sozialstaat haben sämtliche natürlichen Klein- und Kleinstnetze aufgelöst, jedes natürliche Wertgefüge zerstört, eine Wüste der Menschlichkeit hinterlassen. Sozialstrukturen, aufgrund derer der Einzelne Krisen leichter überstehen könnte, ja die Bedingung dafür sind, sind nicht mehr vorhanden. Bricht der Staat, bricht alles. An Griechenland zeigen sich die Folgen. Es gibt kein Sozialgefüge mehr. Der Sozialstaat, Kulmination der Moderne, auf deren Totalitarismus sich unsere Kultur seit 500 Jahren mehr und mehr zubewegte, stützt nicht das Soziale, wie er vorgibt - er ersetzt es. Zurück bleibt ein nackter, identitätsloser, sinnentleerter Vereinzelter.




*Deshalb schon aussagekräftig, weil sich z. B. in Kriegen - wie man meinen könnte: die höchste Form der Krise - die Selbstmordrate eines Landes drastisch senkt, die innerstaatliche Solidarität steigt.




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