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Montag, 21. Januar 2013

Wort und Wirklichkeit

Buchdeckel, ca. 1500 entstanden
Als Heinrich III. das Grabmal Kaiser Karls d. Großen öffnen ließ, fand man den Leichnam unversehrt. So wird es jedenfalls berichtet. Auf dem Schoß des aufrecht sitzend Bestatteten lag ein Evangeliar. Es ist seither Teil der Reichskleinodien, neben Krone, Reichsapfel, Zepter, den Reichsinsignien, mit Stephansburse, Adlerdalmatika, Handschuhen, dem Schwert Karls des Großen, und weiteren Kostbarkeiten, mit dem Reichskreuz und jener Heiligen Lanze aus dem 9. Jhd., in die ein Nagel vom Kreuz Christi eingearbeitet ist.

Denn immer zogen die Völker mit ihrem Gott in der Mitte in den Krieg. Ein Sieg in der Schlacht war ein Sieg des stärkeren Gottes, der sich in den Insignien darstellte, anwesend war. Wer die Insignien besaß, besaß auch die Macht des Gottes. Vor dem auch die Feinde den größten Respekt zeigten. Und niemals wären die Völker in den Krieg gezogen, wenn sie nicht überzeugt davon gewesen wären, dem Willen ihres Gottes zu folgen. Nach dessen Willen sie ängstlich Ausschau hielten, und achteten auf alles, was als Zeichen gelten konnte oder mußte.

So, wie die Israeliten mit der Bundeslade in ihrer Mitte in den Krieg zogen, so zog auch der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches mit der Heiligen Lanze in den Krieg. Und noch die Tiroler Bauernverbände, die sich den Franzosen und Bayern in ihrem Heiligen Krieg gegen den Antichrist (und wie recht sie hatten!) entgegenstellten, trugen in ihrer Mitte Kreuz und die Monstranz mit dem Allerheiligsten.

Macht ohne Gottgewolltheit war von niemandem gewollt, und von niemandem respektiert. Nur in dieser Verbindung war Macht überhaupt legitim, als Teil der gottgewollten, geschaffenen Weltordnung. Was der Mensch tat, war auch wirklich. Immer. Und nur was er tat zählte. Wenn er sprach, war also auch das Wort wirklich. Was er verschwieg, war nicht. In der Buchmalerei wurde der Versuch unternommen, die Wirklichkeit des Wortes auf die Schrift zu übertragen. Indem Schriftzeichen zu Kunstwerken wurden.*

Goldunterlegte Portraits der Evangelisten
Im Rahmen der Krönungszeremonie legte nach dem Fund jeder designierte Kaiser also auch seine Hand auf das Evangeliar und schwor so seinen Eid, der als Teil der Zeremonie zu jenem Vollzug der Verbindung gehörte, in der man den Kaiser sah: Repräsentant der Göttlichen Macht auf Erden, Repräsentant der Völker der Erde vor Gott. Ehe er vom Papst, dem Stellvertreter Gottes auf Erden, gesalbt wurde. 

Am Haupt die ackteckige Reichskrone, um 950 angefertigt, eingehüllt in ein dreieinhalb Meter breites, elf Kilogramm schweres Pluviale. Das - wie seine goldgewirkten Strümpfe - mit arabischen Schriftzeichen bestickt, mit 100.000 Perlen und Emailplättchen geschmückt, 1190 in Sizilien geschaffen worden war. Bekleidet mit der Geschichte des Reichs, die er mittrug, die er repräsentierte, die er in einem Zusammenfluß der Zeit zur ewig gleichen Wirklichkeit war.

Der Deckel des kostbarsten Buches der Weltgeschichte, des Codex aureus, wurde um 1500 von Hans von Reutlingen angefertigt. Seine Seiten sind aus feinstem Kalbsleder, mit dem Extrakt unzähliger Purpurschnecken gefärbt, mit Goldschrift beschrieben.

Purpurgefärbtes Kalbsleder mit Goldschrift
Geschaffen wurde es ab etwa 790, jedenfalls noch vor 800, dem Krönungsjahr Karls des Großen, der das Römische Reich wiedererrichtet hatte. Von byzantinischen Buchmalern, die nach Aachen, einem der damaligen Zentren der Schreibkunst, berufen worden waren. Aus jener spätantiken Schule, die es auf besondere Weise zum Ziel ihres Wirkens machte, das Unsichtbare zur Darstellung brachten - das Wort, das vom Vater ausging, das in Gott Heiliger Geist Gott Jesus Christus ist. Von dem alles seinen Anfang nimmt, zu dem alles zurückkehrt. In einer Verbindung der Kulturen des gesamten Erdkreises, hineingenommen in die reale Heilswirklichkeit.


Der Codex aureus wird in der Schatzkammer der Hofburg zu Wien hinter dicken Tresorwänden gesichert aufbewahrt. Nicht einmal der Bundespräsident durfte ihn bisher aus der Nähe betrachten. Es gibt ihn nun in einer aufwendig produzierten Faksimilie-Ausgabe zum wohlfeilen Preis von etwa 30.000 Euro käuflich zu erwerben, berichtet die FAZ. Aber man sollte sich mit seiner Bestellung beeilen. Es werden nur 333 Exemplare hergestellt werden.




*Wer also verstehen will, warum ab dem späten Mittelalter die Schriftlichkeit in der Rechtsverbindlichkeit das mündliche Wort allmählich einholte, ja übertraf, muß es von dieser Warte aus sehen: Als allmähliches Herabsteigen, Derivieren der Schrift (als Versuch der Fleischlichung des Logos, des Sinns) vom Kunstwerk zum für sich stehenden Gedanken.




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