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Freitag, 18. Januar 2013

Wesenserfüllungen

Ein ganz erstaunliches Interview findet sich im Standard wiedergegeben. Die Südtiroler Journalistin Octavia Brugger spricht im Sender "Okto" über Italien und Berlusconi. Und am Beispiel des Italieners läßt sich viel über die Funktionsprinzipien heutiger Staaten ersehen. Denn nicht die Prinzipien hat Berlusconi erfunden, sondern er hat sie nur entsprechend genützt. Ihre Wirkweisen sind bis heute unverändert.

Sie führt an, daß Berlusconi als enger Freund des vormaligen Sozialistenführers Craxi - auf dessen ausdrückliche Ermunterung hin - nicht nur angetreten war, um sich persönlich über das Politiksystem zu bereichern, zu entschulden, sondern er hat auf ein längst zerstörtes, zerrüttetes Italien, voller Korruption und Lüge, zugegriffen.* Er hat aus Ruinen sein System geformt. Und er hat es über breiten Rückhalt geschafft, indem er die Menschen bei ihren Schwächen zu nehmen wußte. Mit ihm, so Brugger, kam die endgültige Herrschaft des Vulgären, des Banalen, des "Spaß". Könnte man im Stärken der "Italianitá" noch etwas Gutes sehen, weil es die Italiener auf die Kraft ihrer Lebensweise zurückführen hätte können, so hat Berlusconi auf die Schwächen seiner Landsleute gebaut, und damit das ganze Land korrumpiert.

Berlusconi selbst ist ein Emporkömmling, der mit eigenen Geschäften enorme Schulden angehäuft  hat. Und der sich skrupellos der Politik bedient hat, um seine Unternehmen zu sanieren. Insbesonders über seine Medienmacht. Seriöse journalistische Tätigkeit, kulturell Wertvolles wurde verdrängt von "Fun" und "Spaß". Er umgab sich mit Glanz, der die Italiener bis heute fasziniert, während die seriöse Politik als "unschön" und grau erlebt wird. Und hatte damit die Rückendeckung, die Medienlandschaft "auszumisten". Die Steuerung fand u. a. über Verlags- und Presseförderung statt. Damit wurde die Medienlandschaft Italiens mehr und mehr vereinheitlicht und profillos.

Und das in einer Situation wie in Italien, wo noch mehr als anderswo das Prinzip der "Protektion" gilt: Wer niemanden hat, der ihn persönlich fördert, ist chancenlos.

Die Homogenisierung der Journalistenschaft passiert aber prinzipiell schon durch die noch von Mussolini geschaffenen Strukturen der Bindung der Berufsausübung an die staatliche Kammer - die eine "Staatsprüfung" zur Zulassung notwendig macht, über die auch inhaltliche Steuerung passiert ist und passieren kann. Wenn ein Journalist aus dieser Kammer ausgeschlossen wird, darf er nicht mehr publizieren. Diese Gesetze wurden sogar noch weiter verschärft, heute drohen bei Verstößen bis zu zehn Jahren Haft.

Und diese Kammer ist die Kontrollinstanz der Medien - nicht deren Chefredakteure. Damit wird Journalismus fast zwangsläufig in die Dienste der Politik gestellt. Durch geschickte Ausnützung der Gesetzeslage und politischen Möglichkeiten hatte Berlusconi so seine Sendeanstalten zu den Taktgebern der gesamten Medienlandschaft Italiens umgebaut. Heute schreiben seine Sender übrigens tiefrote Zahlen.

Was man Berlusconi vorwirft entspricht somit einem Spiegelbild der italienischen Gesellschaft. Brugger illustriert mit Details - so, daß man Berlusconi über seine "unmoralische" Lebensführung niemals hätte öffentlich desavouieren können. Die Italiener hatten nicht nur Verständnis für seine Schwächen, sondern sie fanden ihn gerade damit faszinierend. Und zwar quer durch alle Schichten. Wie bei jenen Journalismus-Kolleginnen aus der Linken, die der Südtirolerin gestanden hatten, daß sie SOFORT für eine Million eine Nacht mit ihm verbringen würden. Die Feministinnen Italiens hätten ihn nie aushebeln können. Erst als Berlusconi längst im Eck stand, konnten sie "an der Leiche" punkten.

Die Rolle der Kirche wird dabei meist falsch eingeschätzt. Berlusconi war immer erklärter Laizist, und befand sich im Widerspruch mit der kirchlichen Moral. Aber er hat viel Geld in die Kirche investiert, konkret, privat wie staatlich, um sie im Einzelnen immer wieder zum Schweigen zu bringen. So kann man der Kirche vorwerfen, daß sie zu lange gewartet hat, um erste kritische Stimmen zu erheben. Berlusconi aber hat durch sein unsägliches Vorbild die öffentliche Moral zerstört, und das wirkt sich fatal auf die Italiener auch in Zukunft aus. Berlusconi hat offen gelogen. Aber er hat die Lüge und Diffamierung als pragmatisches Mittel salonfähig gemacht. 

Die Lüge ist aber, so Brugger, überhaupt ein Grundproblem auch der italienischen Journalisten. Sie sehen das als "nicht wichtig" an.





*Dies im Auge zu haben ist nicht ohne Brisanz. Denn Berlusconi wird gerne in Europa als Teil der "Rechten" dargestellt. Aber er ist nicht mehr als eine der zahlreichen (!) Kindesweglegungen der Linken. Die sich so oft von den Folgen und Konsequenzen ihrer eigenen Geisteshaltung reinzuwaschen versucht. Realpolitisch sogar ein Grundzug der Linken, ihre Parteiprogramme sind deshalb ja regelrechte Schuldzuweisungspamphlete. Man nehme nur die Abgrenzung der Linken von Hitler bzw. vom Nationalsozialismus.





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