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Donnerstag, 17. Januar 2013

Perversion der Prinzipien

Die Welt schlägt Alarm. Denn die jüngst durchgeführten Erweiterungen von Sozialleistungen würden langfristig Kosten von über einer halben Billion Euro entstehen, für die bereits jetzt Rücklagen gebildet werden sollten. Sie träfen die zu erwartenden, vor allem demographischen Entwicklungen ins Mark, als Summe vieler, aber im Konzert dramatischer Sozialkosten. Welche Leistungen sind gemeint? Vor allem die Einführung eines Betreuungsgeldes, meint die Welt.

Nun soll es hier gar nicht darum gehen, über diese Leistungen im Einzelnen zu diskutieren. Auch soll einmal außen vorgelassen sein, was überhaupt gegen den Sozialstaat heutiger Prägung spricht. Vielmehr war der Artikel dem Verfasser dieser Zeilen Anstoß zu ganz anderen Gedanken, die innerhalb der bestehenden Systemlogik bleiben und ihre selbstinduzierten Folgen aufzeigen.

Denn an diesen zusätzlichen Sozialleistungen läßt sich ein Prinzip erkennen, das jedem Staat Probleme machen MUSZ, und es ja auch tatsächlich tut und tat. Ein Prinzip, das vor allem die Finanzierbarkeit jedes Sozialstaats kippen lassen muß. Warum? Weil kein gesellschaftliches Gefüge auf einem Prinzip der Entlohnung funktioniert. Alles Tun birgt seine Freude und Belohnung, Grundmotiv allen menschlichen Handelns, in der Erfüllung der Dinge selbst. 

Das Merkmal der Sozialgesetze der letzten Jahrzehnte aber hat sich nicht darauf beschränkt, soziale Notlagen ausgleichen zu helfen, indem man von den einen nimmt, was man den anderen zuschiebt. Vielmehr wird in einem Paradigmenwechsel versucht, Leistungen, die jemand für die Gesellschaft erbringt, zu ENTLOHNEN. Freude wird durch Geld, durch Geldlohn ersetzt. Während man umgekehrt den Grundsatz in den Hintergrund drängt oder gar ignoriert, daß für Leistungen, die NICHT erbracht werden, deren Früchte aber genossen werden sollen, in Geld, diese Nichterbringung zu bezahlen wäre.

Nur: so kann kein Gemeinwesen funktionieren. Denn an sich ist menschliches Leben, ja selbst Arbeit, überhaupt nicht bezahlbar. Geldäquivalente, auch in Form von Löhnen (meist auf meßbare* Zeit bezogen), sind immer nur Teil- und Notlösungen, geringere Übel.** Aber sie bilden nie wirkliche Leistung ab. Ohne die zahllosen "kostenlosen" Dienste, die jeder Einzelne für seine Gemeinschaft erbringt und die meist immanent aus seiner Lebensführung, seiner Ethik erwachsen, kann ein gesellschaftlicher Organismus überhaupt nicht funktionieren. Zu meinen, ein Staat, ein Gemeinwesen, hätte also die Pflicht, jede kostenlose Leistung zu entlohnen, kehrt das Prinzip eines Gemeinwesens um. 

Es zeigt sich dafür sogar noch etwas anderes: Daß die Löhne den Wert der Leistung fürs Ganze nicht deshalb nicht abbilden, weil sie zu niedrig sind, sondern weil sie ZU HOCH sind. Denn werden sämtliche immanente, fürs Gemeinwohl erbrachte Leistungen in allgemeine Lohnäqivalente umgelegt, ist ein Staat überhaupt nicht mehr finanzierbar. Weil der Mensch an sich unbezahlbar ist.

Aber soweit sind die Frohrechner der Staatsbudgets offenbar noch nicht. Denn trotz dieser Binsenweisheit wird rein praktisch gesehen aber auf der einen Seite immer mehr Finanzierungsbedarf aufgebaut, während auf der anderen Seite die direkten "Räuber" an der gesellschaftlichen Solidarität ihre Beute sichern dürfen. Wer heute lieber zweimal jährlich nach Honduras fliegt mag es genießen, es sei ihm unbenommen. Und wer so leben mag, soll so leben. Aber nur, wenn er das, was er nicht erbracht hat, wovon er aber profitiert, in Geld - Nachwuchs aufzuziehen, sein Geld (auch) dafür zu verwenden - auch in Geldwert eingebracht hat. Geldgewinne bleiben also individualisiert, Verluste, Belastungen aber werden sobald sie auftauchen grundsätzlich sozialisiert. Leistungen fürs Gemeinwohl aber sind Freiwild für Enteignung. Denn wer zahlt dokumentiert damit auch einen Anspruch ...

Wenn Mütter zuhause bleiben, ihre Kinder zuhause erziehen, so erbringen Sie aber auf jeden Fall eine Leistung fürs Ganze. Während jene, die keine Kinder haben, oder ihre Kinder der Allgemeinheit zur Betreuung übergeben, um ihren Wohlstand zu erhöhen, dafür kaum Konsequenzen zu tragen haben. (schon gar, wenn Kinderbetreuung wie in Österreich flächendeckend kostenlos zur Verfügung stehen soll.)

Da geht auch die Höherwertung der Kindererziehungszeiten im Pensionssystem am Ziel vorbei, ist nicht nur halb, sondern falsch. Wieder wird mehr Geld notwendig, anstatt anderseits die zu erbringende Lebensarbeitsleistung für Kinderlose um diesen Faktor zu erhöhen. Damit wäre (wenn schon) Gerechtigkeit hergestellt. Nicht, indem man das Prinzip der Gerechtigkeit umkehrt, und einfach alle auf Kosten des Gemeinwesens entlohnt, die durch ihre Lebensgestaltung indirekt eine Leistung erbringen. Diese indirekten Leistungen werden also aufgestöbert, bewertet, und zusätzlich entlohnt. Anstatt die direkten ´Belastungen - und das sind Rentenforderungen, die nur auf Geldzahlungen, nicht auch und vor allem auf alle diese indirekten Leistungen bezogen sind - zu fordern. 

Der deutsche Demograph Herwig Birg hat schon vor vielen Jahren die Forderung aufgestellt, daß Rentenzahlungen sehr direkt an Nachwuchs gekoppelt werden müssen. Angesichts des deomographischen Wandels ist das unausweichlich. Denn unsere Rentensysteme sind an die Generationenverantwortung gekoppelt. Wer keinen Nachwuchs aufzieht, muß entsprechend mehr bezahlen. Und das wird seine Nicht-Leistung ohnehin nie ganz abfedern können. Denn die Leistungen von Eltern sind weit höher als sich in Geld ausdrücken läßt. So aber werden alle gleichmaßen an der Unfinanzierbarkeit der Pensionssysteme zu leiden haben. Nur haben dann die einen eine Sahne bereits verspeist, die ihnen gar nie zugestanden wäre. Und diese Schichte hat noch dazu in unseren Demokratien bereits die Stimmenmehrheit.

Damit werden Staatsbudgets weiter aufgebläht, der Anteil des Staates an der gesellschaftlichen Leistung, umgebrochen in Geld, weiter erhöht, der Finanzierungsdruck für öffentliche Budgets wächst weiter.***

Geld aber ist jener Motor, der den Druck der bloßen Systemnotwendigkeiten immer weiter erhöht. Der zum Taktgeber allen gesellschaftlichen Lebens wird, und ohnehin bereits wurde. Der Politik zur Farce einer bloßen Ablaufoptimierung von Geldläufen macht. Der Politik zur bloßen Erfüllung der Schreie quängeliger Kinder (wer am lautesten schreit, erhält am meisten), Abstimmungsverhalten zur bloßen Betätigung von "likes" verkommen läßt, wobei von allen Seiten "dislikes" tunlichst vermieden werden sollen. Das würde nämlich wirkliche Politik notwendig machen. Vor allem aber den Mut zum Umdenken.





*Meßbar durch ihr Verhältnis zu parallelen Abläufen - jenen eines mechanischen Apparates, wie die Zahnräder und Federn in einer Uhr im Bewegen eines Zeigers ergeben, und die die natürlichen Rhythmen von Sonnenauf- und -untergang in relativ gleichbleibende Teile teilen.

**Hierin liegt der vielleicht fundamentalste Fehler aller sonst scharfsichtigen Marx'schen Analysen der Entfremdungsmechanismen im Kapitalismus: er geht von absoluten Werten (und Preisen) aus. Er geht davon aus, daß Arbeit (weil die Erlöse) in absoluten Geldwert umgebrochen und gemessen werden kann. Aber genau das ist in einem marktwirtschaftlichen System nicht der Fall. Kein Verkaufspreis ist absolut. Wert ist höchst relativ. Was macht den Wert eines Picasso-Gemäldes aus? Was den eines Stuhles (wo, als Hinweis, sofort die Frage folgt: WELCHEN Stuhles für welche Situation)?

***Noch dazu sind die erwähnten Maßnahmen völlig sinnlos - sie werden die Geburtenrate nicht erhöhen, nur den Sozialmißbrauch ausweiten. Keine "Planungssicherheit" und keine erhöhte Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird das Problem beheben. Vielmehr geht es um eine Grundhaltung: die Bereitschaft, das Leben einfach zu begrüßen, in welcher Form und zu welcher Zeit auch immer. Gerade die Stärkung der "Planungssicherheit" aber tut das Gegenteil. Es stärkt die fatale Haltung zu meinen, das Leben wäre überhaupt planbar. Was bis hin zum Klimawahn geht, wo wir glauben, das Wetter in fünfzig Jahren bestimmen zu können. 

 Wer leben will, muß sich auf es einlassen, ohne Wenn und Aber. Nur dann wird er leben. Wenn es einen Unterschied zwischen Ländern mit hoher und niedriger Fertilität gibt, dann genau diesen: die Haltung zum Leben. Und diese verabscheut Planungssicherheit, weil sie ein Käfig ist, der Leben verhindert statt ermöglicht.






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