Jedes Rechtsempfinden gründet in der Religion der Menschen. Das ist eine ontologische Aussage, eine condition humaine, keine von Sollen oder Wollen oder Nicht-Wollen. Und wenn sich eine Gesellschaft gegen Gott auflehnt, so drückt ihr Rechtsgefüge genau dieses Auflehnen aus, spiegelt die religiösen Konflikte wider. Ein "neutrales Recht" gibt es schlicht und ergreifend nicht, denn Recht muß irgendwo verankert sein, und das ist es im tiefsten Legitimationsprozeß des Menschen überhaupt - in der Religion, in der Stellung dem Sein an sich gegenüber. Deshalb haben auch Atheisten eine religiöse Haltung, die das Rechtssystem begründet, ob sie das sehen wollen oder nicht.
Deshalb ist es lächerlich, sich dagegen aufzulehnen, daß Muslime die Sharia als Rechtsgrundlage wählen, die Justiz dort verankern. Wie es nun in Ägypten geschah. Als wäre dieser Vorgang unnatürlich und an sich schlecht. Schlecht kann nur die Sharia selbst sein, und zwar nach christlichen Vorstellungen. Aber das sehen die Muslime natürlich anders. Aber schon die Art, wie sie diesen religiösen Einfluß auf das, was Recht und richtig überhaupt ist, geltend machen wollen, ist tief im Wesen der Religiosität der Menschen dort verankert. Eine Art von Einfluß, wie ihn das Christentum gleichfalls aus seinem Wesen heraus ablehnt. Aber auch das Kastensystem Indiens ist nicht eine Ausgeburt sozialer Ungerechtigkeit, sondern zutiefst in der Weltsicht verankert. Daß es heute dabei ist, aufzuweichen, zeigt die religiöse Aufweichung, nicht einen abstrakten "Fortschritt zum Guten". Selbst die "Menschenrechte" sind als Anker des Rechts ungeeignet - wenn sie nicht im Absoluten, im Gottesbezug, verankert sind.
Es zeigt sich aber darin eine, wenn nicht DIE Grundproblematik der Migration in Westeuropa, die immer noch völlig verdrängt wird, auf ein sogenanntes "Extremistenproblem" verschoben wird. Ganz so, als wäre prinzipiell schon jeder Extremist, der diese Religiosität nicht zu vernebeln sucht. Nämlich die, daß mit dem Zustrom von Anhängern nichtchristlicher Religionen auch ein anderes Rechtsgefühl ins Land kam, aus dem sich eine andere Rechtsgrundlage ergibt. Diese Entwicklungen sind unumkehrbar, und zwa rnach unserem Rechtsgefühl - das z. B. ein Hinauswerfen dieser Menschen nicht akzeptieren würde, anders übrigens, als so manche islamische Staaten, die kaum Probleme haben, ganze Bevölkerungsgruppen des Landes zu verweisen, oder zumindest zu ghettoisieren - und werden nicht aufgehalten werden können. Und sie sind kein Extremistenproblem. Sie sind das Problem unterschiedlicher Religionen unter einem Dach. Die Geschichte ist voll von solchen Beispielen. Und in Zeiten, in denen die Menschen noch klüger waren als heute, wußten sie das auch.
Wenn also Fürsten früher auch bei uns darauf gedrängt haben, daß ihre Untertanen nur einer Religion angehörten - oft genug sogar: gleich welcher, oft sogar eine Staatsreligion einführten, ohne die niemand dort leben durfte (siehe die Motivik der Christenverfolgung im Römischen Kaiserreich, die das Martyrium so vieler in unseren Augen zur lächerlichen Nebensächlichkeit erklären würde) so geschah das aus ernster Sorge, aus dem Wissen, daß es um alles ging. (War der Kaiser nicht mehr Repräsentant Gottes, oder in die Göttlichkeit hineingenommen, so zerfiel die Legitimität der Staatsgewalt!) Das Konzil von Konstanz 1414-22 hatte diesen Ansatz: einberufen von König Sigismund, der eine Einigung unter den Christen wollte, egal wie sie ausging. Aber ist ein Volk nicht religiös geeint, kann es auch nicht im Recht geeint sein, ist der soziale Friede zerbrochen.
Daß 50 % der Muslime in Österreich die Einführung der Sharia befürworten, in ihren Kreisen auch heute schon eigene Rechtsinstrumentarien haben, meist nur gut verdeckt, sodaß es nur in Einzelfällen, Extremfällen zum Vorschein kommt, bringt das zum Ausdruck. Und das ist der wahre Sprengsatz einer Gesellschaft und des sie darstellenden Staates, und damit umzugehen zu lernen das Kriterium, ob wir in zwanzig Jahren auch in Europa uns nur noch die Köpfe einschlagen, oder wenigstens nebeneinander zu leben vermögen. Und diese Frage ist auch keineswegs neu oder importiert.
Was noch immer nicht gesehen wird ist, daß wir selbst in Österreich keine simplen "politischen Unterschiede" der gesellschaftlichen Gruppierungen haben, sondern daß sich hier religiöse Bekenntnisse gegenüberstehen, deren eine Seite nur zu verschleiern sucht, welcher Natur das ihre ist. Zahlreiche Konflikte, von denen die meisten noch nicht einmal ans Tageslicht gekommen sind, haben genau dort ihre Wurzeln: daß bereits unvereinbare Grundhaltungen aufeinanderprallen, die keine Kompromisse möglich machen.
Da muß man nicht alleine die Abtreibungsfrage zitieren. Mittlerweile werden solche Fragen pausenlos berührt, nur so subtil, daß es die meisten nicht registrieren. Man nehme nur die Frage der Sexualaufklärung in den Schulen, wie jüngst. Und wird über Globalisierung in der heutigen Form gesprochen, so stößt die Frage, geht man ihr tiefer nach, sehr rasch an ein religiöses Problem, das um Dimensionen über "soziale Gerechtigkeit" oder "Armutsgefälle" hinausgeht. Da geht es um Anthropologie, nicht um ein paar praktische Hinweise, da geht es um den Menschen vor Gott, um den Daseinssinn.
Diese Konflikte sind auf der Ebene des reinen Rechtsstaates gar nicht mehr lösbar. Sie sind das nur noch über prinzipielle Lösungen der Staatsorganisation und -ökonomie. Auch das wird immer noch nicht gesehen. Sollte es in Österreich aber tatsächlich wieder einmal zur Stärkung des christlichen Fundaments der Menschen kommen, würden sich die zahlreichen Unvereinbarkeiten, in denen wir bereits heute praktisch stecken, sehr deutlich zeigen, und aus heutiger Sicht viele ziemlich überraschen: weil sie dann sähen, wie tief und unvereinbar die Gräben bereits wirklich sind, wie zerfallen unsere Gesellschaften in Wahrheit bereits sind.
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