Teil 2) Wenn die Zeit zum Inhalt umschlägt -
Der überall vergessene Faktor: Die Bedeutung der Lebensalter
Der Mensch lebt eben in Lebensphasen, in
Lebensaltern. Bis in die ersten Umbrüche Ende der Zwanziger - bei der
Frau etwas früher, mit rund 28-30, beim Mann etwas später, mit rund
31-33 Jahren - sucht der Mensch sich überhaupt zu positionieren, sich in
der Welt zu finden. Hier ist auch die Phase der leichteren Prägbarkeit,
die Lernphase, die Phase der Ausbildung, und vor allem der ersten
Versuche, etwas aufzubauen. Und dazu gehört auch die Eheschließung, die
Gründung einer Familie. Man schafft also in diesem Zeitraum, der noch
den Römern als "Jugend" galt, die Fundamente des weiteren
Lebensverlaufs. In dieser Phase sind Neuanfänge noch relativ leicht
möglich, es ist generell eine Phase des Probierens und Versuchens, und
wenn man etwas kritisieren vermag dann das, daß die Bereitschaft,
Fehler, die ein Mensch in dieser Zeit macht, zu verzeihen, gewiß höher
sein könnte.
Anders
aber bereits der Umgang mit Menschen der Erwachsenheitsphase, also ab
etwa dem 30. Lebensjahr, wie oben angeführt. Denn der Jugend folgt die
Phase des ritterlichen Kampfes, die Phase des Menschen in der Akmé, wie
sie die Griechen nannten. Auf gutem identitären Fundament ruhend,
schafft sich der Mensch einen Lebensraum. Er setzt sich durch, baut auf,
ist schöpferisch in seiner Blüte, und gestaltet in Rüstung und Harnisch
das Leben in dem er steht nach seinen Vorstellungen. Er baut Vermögen
und Besitz auf, die zur Lebenswirklichng eben gehören, behauptet wie
gestaltet seinen Platz als Individuum in der Gesellschaft. Dies ist auch
die Phase der Verdienste, die er sich zu erwerben vermag, der Ehren und
Anerkennungen, die es zu sammeln gilt. In dieser Phase sind Neuanfänge
zwar noch möglich, aber auch sie sind bereits von einem mehr oder
weniger großen Rucksack belastet.
In
jedem Fall würde die Zeit dafür knapp. Denn wie so vieles im Leben, hat
alles seine Dauer, alles einen Rhythmus, und alles seine Lebensbögen in
der Zeit. Ohne viel hineingeheimnissen zu wollen, brauchen einfach alle
Werke (je nach Art, je nach Ebene) eine gewisse Zeit, um sich zu ihrer
Vollgestalt entwickeln zu können, was immer heißt: ihre Krisen
durchzufechten. Die meisten Lebenswerke sind deshalb in 3-, 7-, 13- und
21-Jahres-Bögen eingespannt, die man in gewisser Weise mit den Phasen
der Lebensalter vergleichen könnte, sie sind ähnlich charakterisiert. An
diesen Punkten. Der Volksmund kennt sie durchaus. Nur sind die meisten
Erklärungsversuche aus Lebensumständen selbst hilflos unzulänglich. Gibt
man aber diesen Werken NICHT diese Zeiten, können sie nicht zu ihrer
Vollfrucht ausblühen.
Damit
etwa ein Lebenswerk wirklich als eigenständiger Organismus für sich zu
bestehen beginnt, und seine Früchte abwirft, sind diese langen Phasen
entscheidend. Hier kann nichts übersprungen werden, schon gar nicht bei
Neubeginnen, bei Gründungen, denn Zeit ist das Auseinanderfalten der
Tiefe der Dinge und des Mosaiks der Welt, die für sich selbst wiederum
alle ihre Reifezeiten haben und brauchen.
Es
gilt also in der Zeit vom 30. bis zum 60. Lebensjahr, sich die Welt
anzueignen, sie zu durchdringen, um sie allmählich (in der Vernunft) zu
besitzen.
An
diese Akmé, an diese Phase der Ortsbehauptung und des Ausbaus eines
Werkes, folgt das Alter. Erstmals steht der Mensch nun seinem (!)
Lebenswerk GEGENÜBER. Es hat eine gewisse Selbständigkeit erlangt, und
nun kann er Früchte ernten. Tut er das nämlich zu füh, in der Phase der
Akmé, so gefährdet er sein Werk. Das betrifft übrigens ganz genauso die
Ehe, die Familie. Weil ihm nun aber die Welt mehr und mehr
gegenübersteht, er sie mit seiner Vernunft durchdringen konnte, er
gereift, als nicht mehr in die Lebensvorgänge selbst unlösbar gebunden,
deren passiver Teil ist, folgt nun die Phase der geistigen Vertiefung,
ja nennen wir sie: die Phase der Weisheit. Sie ist von allen vorherigen
Phasen völlig unterschieden.
Die
körperlichen Kräfte lassen nach, das aktive Tun wird weniger, gerät
schließlich in den Hintergrund oder wird überhaupt abgelegt, noch mehr:
In die Hände der nächsten Generation gelegt. Und genau durch diese
Distanz zur Welt, die sich nun aufzubauen beginnt, beginnt der mensch zu
verstehen, gewinnt er Einsichten, die der aktiv ins Leben Verstrickte,
von Interessen notwendig Getriebene, gar nicht gewinnen kann, ja gar
nicht "darf" (denn er "muß" seine Interessen verfolgen, sonst wäre er
säumig oder gar verantwortungslos.) Der ins Leben nun hereinwinkente Tod
beginnt seine Rolle zu spielen.
Es
gibt also auch eine Positionierung der Alter ZUEINANDER. Die jeweils am
anderen eine unterschiedliche Aufgabe zu erfüllen haben. Der Junge, der
probiert, der Erwachsene, der aufbaut und festigt, und der Alte, der
von alle dem geläutert, weil es hinter ihm liegt, mit Rat und Weisheit
den beiden zur Seite steht und ihr Tun immer mehr vor dem Licht des
Ewigen sieht, Der bereits Linien sieht, die den beiden anderen Gruppen
noch fremd sein müssen (!), sonst wäre sogar ihr Tun in Hingabe (der
Voraussetzung der Reife) gar nicht möglich.
Wir
belassen es bei diesen kargen Andeutungen. Sie sollen aber zeigen, daß
es keineswegs bedeutungslos ist, wie lange ein Annullierungsverfahren
dauert. Und die Kirchengerichte hätten sich dies schon lange bewußt
machen sollen, denn es hat seine Bedeutung auch in jedme Fall anders. Es
ist ein Unterschied, ob ein Antrag von 40jährigen gestellt wird (der
kirchenrechtlich eine "Klage" ist), oder von einem 25jährigen, oder von
einem 60jährigen (was freilich kaum noch plausibel erklärbar ist.) Diese
Frage hat noch dazu hohe politische Brisanz, denn in ihr treffen
demographische, sozialpolitische Tatsachen mit tiefen individuellen
Lebenswirklichkeiten zusammen, die zu ignorieren einfach töricht wäre -
und dennoch in der Tagespolitik, ja im Volksbewußtsein, keine Rolle mehr
zu spielen scheinen.
Von
einem 50- oder 60jährigen, die vielleicht zehn Jahre auf ihr
Annullierungsurteil zu warten hatten, zu verlangen, er müsse einen
Neubeginn starten weil er nun erst dürfe, ist also sehr problematisch,
und nicht selten hochgradig zynisch. Denn es hat seine Schwierigkeiten,
aber auch Aporien bereits ab ovo eingebaut.
Morgen Teil 3) Wenn Zeit in Dogmatik umschlägt -
Sowie: Ein Rat an Kirchengerichte
Sowie: Ein Rat an Kirchengerichte
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