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Samstag, 31. Oktober 2015

Am Namen ist alles verhangen

Wenn Hans Urs v. Balthasar schreibt, daß die Wahrheit "symphonisch" sei, so hat er darin natürlich recht. Balthasar meint es ja auch keineswegs so, als wäre die Wahrheit das faktische Ergebnis einer Vermengung subjektiver Ansichten. Vielmehr ist es auf das bezogen, was Wahrheit ihrem Wesen nach ist: Die lebendige Präsenz des Logos in der jeweiligen Geschichte. Insofern ist sie auf gewisse Weise flüssig, nie fertig. Aber sie ist die Sprache IN der Sprache, hinter der Sprache. Sie ist immer neu und wird erneuert, weil sie immer historisch ist wie sein muß. Nur hierin läßt sich auch so etwas wie ein Entwicklungs-, ein Fortschrittsgedanke verankern. Sie hat die Tendenz weil Sendung, universal zu werden.

Daraus ergibt sich auch eine nicht geringe Verpflichtung, das Gesprochene eines Sprachraums zu kennen, und sich diesem zu öffnen, um die Sprache hinter der Sprache zu sehen. Schon aus dem Wesen des Mediums heraus muß das in erster Linie "Buch" heißen. Erst wenn keine relevanten Bücher mehr veröffentlicht würden, wäre ein geistiger Raum wirklich tot - und das hieße: ungeistig geworden. Gottseidank sind wir im deutschen Sprachraum aber noch nicht so weit. Vielleicht gab es ohnehin nie mehr Menschen, die diese Sprache hinter der Sprache je hören und in aktuelle Sprache übersetzen konnten. Der große, allergrößte Rest muß diese Sprache empfangen, um durch sie zu sich selbst frei - losgebunden aus den Getriebenheiten der jeweiligen Gegenwart, die er nunmehr in Besitz  nehmen kann - zu werden. 

Denn das Wesen des Menschen ist personale Zugeschriebenheit - die menschliche Gesellschaft (und jeder Mensch ist nur als Teil einer solchen, mit einem Ort, Mensch, als Bestimmung wie als Auftrag) ist einem Seilzug vergleichbar, in dem jeder Mensch an einem ihm übergestellten hängt, bis in die einzige Möglichkeit, wie Welt (die nur im Menschen hängen kann, sonst wäre sie nicht) überhaupt bestehen kann: in der Verhängung im Gottmenschen Jesus Christus, dessen Name selbst das Sein IST.* In dem alle Menschen als Menschheit (die jeder Einzelne stellvertretend repräsentiert; das ist im übrigen dann ecclesia, Kirche) in dieser personalen-persönlichen Seilzugverhangenheit hängt, sich im Einzelnen konstituiert, und in ihm besteht. Und zwar - in seinem Namen, der die Wahrheit ist.

Daraus ergibt sich auch die Pflicht, den Künstlern (in einem vergleichbaren Stand mit den Priestern, den Heiligen und den Königen) zuzuhören. Denn sie sind es, die gar nicht anders können, per existentieller Notwendigkeit, als die Sprache mit Sprache zu füllen, die ihnen das Ewige, das sie im Zeitlichen sehen, zuträgt. Sie nicht als pure Behauptung in der Welt, als Griff zur Sicherheit in einer prinzipiellen Unsicherheit zu traitieren. Ihr Leiden ist das Außerhalbstehen, das Freistehen von Interessen, die gelebte Einsamkeit (die also doch auf die Gemeinschaft bezogen ist), und das begnadet sie zum Sehen des Ewigen im Präsenten, Aktuellen, zum Auslesen dessen aus dem Faktischen. Das sie in seinen Forderungen und Zügen überwinden, also ins Ewige rückführen, läutern müssen.




*Keineswegs also konnte Gott die Namensgebung seines Sohnes den Menschen überlassen. Mit der Botschaft des Engels kam deshalb der Name. Das berühmte Jesus-Gebet der orthodoxen Kirche gründet hier. Alle menschliche Erwartungshaltung an Jesus selbst - man denke an so viele letzte Worte, auch in verzweifelten Situationen, in denen die Menschen "Jesus" rufen - ist die abgestufte, historische Leiblichkeit dieser menschheits-substantiierenden Wahrheit seines Namens. Die menschliche Eigenschaft, dem "Namen" eines Menschen alles zuzuschreiben (sich "einen Namen machen", in der der Rang eines Menschen umfaßt wird, etc.) - nämlich die Stellung in diesem erwähnten Seilzug - hat gleichfalls hier ihre Wirklichkeit.




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