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Donnerstag, 8. März 2018

Darauf folge ein Theater-Abend (2)

Teil 2)




Die Interpretation, die der VdZ hier niederschrieb, deckt sich auffallend mit der Interpretation des Raumes des östlichen Mittelmeeres 1300 bis 1200 v. Chr. als Raum der Dekadenz in der bereits erwähnten Dokumentation "Auf der Suche nach Troja" von BBC, hier speziell mit Teil 4. Und BBC hat 1984 sogar den Mut und die Freiheit, diese Zeit mit dem britischen Empire des 18./19. Jahrhunderts zu vergleichen. Denn die Zeiten mögen sich ändern, aber die Menschen, die Politik, die Vorgehensweisen tun es nicht. Also läßt sich sehr wohl aus dem Verhalten der Gegenwart auf die Vergangenheit schließen. 

Die Archäologie belegt sogar, daß es sich um das Griechenland der nämlichen Zeit (ca. 13. Jahrhundert v. Chr.) um eine hoch bürokratische Gesellschaft handelte. Auch das ahnt Shakespeare übrigens in dem Stück. Samt dem Einfluß der Frauen, der einsetzt, sobald der männliche Heroismus zur Farce wird. Das ist auch bei Homer ein wesentlicher Inhalt, vielfach aber übersehen. Unter solchen Charakterkrüppeln kann auch Einheit nur fragil und fraglich werden. (Was besonders an den großen, berühmten Namen Hektor oder Achill im Stück erkennbar wird.) Einmal mehr zeigt sich Shakespeare als früher Kritiker des in der englischen Reformation als Raubzug aufkommenden Brutal-Kapitalismus, der das ganze Land und seine geistige Landschaft umpflügt.

Die eigentlich nicht ganz nachvollziehbare, als Heroentat meist falsch, zumindest voreilig interpretierte Tat Agamemnons, der einen gewaltigen Krieg inszeniert um Helena (die ihn mit Paris gehörnt hat) zurückzuholen, wird in weiterem Licht zur logischen Reaktion einer Zeit, die nur noch in positivistischem Behaupten Ersatzideale sucht, um das "Große" irgendwie noch zu imitieren. Die BBC-Dokumentation weist ebenfalls auf großartige Weise darauf hin: Agamemnon hat nach archäologischem Befund vermutlich bewußt auf altem, traditionellem Grund eine neue Burg errichten lassen. Wem fiele da nicht Julian Apostata ein, die Renaissance, ja weiß der Deibel noch ... Versuche, sich in einem insgesamt abrutschenden Terrain noch einmal durch Rückgriff auf frühere ferne Zeiten zu befestigen?! Das Stück Shakespeares stützt diese These auffallend. Größe ist nur noch Angeberei, Machismo, allerbestenfalls. 

Helena wird zum fast lächerlich unwesentlichen Vorwand für einen Krieg, der ebenfalls keinen wesentlichen Grund hat, sondern mangels Kultursubstanz zur "Simulationslandschaft von Bedeutung" wird. Und zwar für beide Seiten, für Troja wie für die Allianz der Griechen. Bitte, da nimmt eine ganze Stadt (ein Volk) einen vernichtenden Krieg in Kauf, nur weil einer ihrer Proponenten Ehebruch begehen möchte? 

Noch dazu - mit einem Sacheigentum. (Auch das ein Verweis auf die Absolutstellung des Eigentums, DER Schlüssel zur Entwicklung des, weil der Beginn, jedes Kapitalismus; man sehe sich nur die Geschichte Roms unter den Kaisern an.) Denn es ist sehr wahrscheinlich, daß Helena nur eine Sklavin aus Kleinasien war? (Ermuntert wurde diese "Heldentat" - alles nur noch Weiber, sozusagen,  Shakespeare zeigt es - zudem durch eine längst geschwächte Stadt, die, wie die Archäologie nahelegt, wenige Jahre zuvor durch ein Erdbeben ca. 1260 v. Chr. schwer in Mitleidenschaft gezogen war. Poseidon, der Gott der Pferde, auf den die Finte mit dem "trojanischen Pferd" zurückgeht, war auch ... der Gott der Erdbeben!) 

Shakespeare dürfte es ähnlich sehen, er macht sich nur lustig über die Trojaner. Größe kommt da nur als Maulheldentum vor, alles löst sich vielmehr in Psychologie auf, wie es dann geschieht, wenn die Menschen längst unfrei, klein sind. Dem entspricht auch, daß Homers Epos nur als die letzte Stufe einer 700jährigen oralen Erzähltradition gesehen werden darf - er hat es also auch aus dem Zeitgeist heraus, auch aus dem Überblick über eine lange Geschichte geschrieben. Denn das tut ein Poet, der nie Details vergißt, ja sie zum Anlaß nimmt, doch nie in ihnen untergeht, sondern distanzierend abstrahiert. 

Und das Ende der griechischen Kultur war im 6. Jahrhundert (dem Jahrhundert Homers) erkennbar. Wie es sich dann über die überlieferten Tragödienreihen (nicht nur über die geschichtlichen Ereignisse, der Dichotomie Athen - Sparta etc. etc.) über Aischylos - Sophokles - Euripides, mit der Philosophenreihe Plato - Aristoteles dazwischen, bis zu Menander und Aristophanes so deutlich zeigt. Schon alleine, daß es hier so viele Schriftzeugnisse gibt ist eine Zerfallserscheinung. Und an der Poesie (und der Philosophie, die immer im Auflösungszustand auftaucht) und ihren Medien (!) läßt sich der Stand einer Gesellschaft bis ins Letzte ablesen. (Deshalb ist das Abendland im 11. Jahrhundert zu Ende gegangen; alles seither ist nur noch sinnloses Gequatsche, Versuch, den Regen mit einem Sieb aufzufangen. Und den Todesstoß hat ihm die Kirche im 11. Jahrhundert im Rahmen des Investiturstreits versetzt. Dieselbe Kirche, die diese Kultur evoziert hat, denn jede Kultur ist ausschließlich eine Frucht der Religion. Nicht zufällig kam es genau damals auch zur Spaltung in Ost- und Westkirche.)

So wie in Britannien, konnte auch zur Zeit Trojas nur List, Verrat und Betrug einen Krieg entscheiden, der sich in einer bereits völlig korrupten, dekadenten Welt abspielte. Es ringt einem tiefe Bewunderung ab, daß Shakespeare dies in seinem sicher schwierigsten, komplexesten, philosophisch aber tiefsten Stück im frühen 17. Jahrhundert (n. Chr.) wie ein Prophet vorhersah. Kein Wunder, daß "Troilus & Cressida" so gut wie nie verstanden und erst im 20. Jahrhundert vorsichtig wieder da und dort ins Theaterrepertoire aufgenommen wurde, weil man nun gewisse Phänomene wiedererkannte. Ohne aber bislang erhellend, erschöpfend, geistvoll interpretiert werden zu können.

Die Frage steht auf, ob man nicht Homers Werke "ganz anders" lesen müßte, als es heute passiert. Denn so wie man ihn heute liest, entrückt er in irreale Dimensionen. Sicher ist, daß im späten 12. vorchristlichen Jahrhundert die sozialen Strukturen im östlichen Mittelmeer zusammenbrachen. Was als "Invasion der Seevölker" angesehen wird, könnte eine Art Bürgerkrieg "aller gegen alle" gewesen sein. Der Trojanische Krieg - ein Bürgerkrieg; die Trojaner dürften zu den Hethitern gehalten haben, der Großmacht im Osten - könnte also eine Vorerscheinung des Gesamtzusammenbruchs einer in sich aus innerer Schwäche zerfallenen kulturellen Welt gewesen sein.

Einmal mehr aber: Größtes Lob für den BBC von vor wenigen Jahrzehnten. Der Leser sei angeregt, sich damit näher auseinanderzusetzen. Und vielleicht das Stück in einer BBC-Produktion auf DVD zu erwerben. Die in einem Paket mit 9 anderen qualitativ hochwertigst inszenierten Stücken der VdZ vor Jahren fast zufällig aus einem Restposten zu wenig Geld erwerben konnte. Der stupende Menschen- und Lebenskenner Shakespeare - heute kaum je noch verstanden - ist alle Mühe wert. Ihn, Homer, und dann noch Cervantes' Don Quijote, und man könnte die Literatur des Abendlandes abschließen. Sie enthalten in nucleo bereits alles. Wie immer. Am Anfang steht das Alles, weil das Eine. Der Rest ist nur noch (mit der Quantität) die immer schwächere, dünner werdende Suche danach.










*040218*