Teil 3) Man muß Churchill doch etwas zugute halten
Man muß Churchill zugute halten, daß er eine Berücksichtigung dieser Fakten in der Frage der russischen Gefangenen anregte. Anregte. Aber Minister Eden wies das zurück. Es sei in Anbetracht der strategischen Notwendigkeiten angeraten, die ursprünglichen Vereinbarungen einzuhalten. Man könne es sich nicht leisten, SENTIMENTAL zu sein. MAN DÜRFE EINEN STAAT NICHT DARIN BESCHRÄNKEN, IN DER FRAGE DER ZU SEINEM VOLK GEHÖRIGEN AUF IHRE ART ZU DENKEN.
Nun
kommt ein immer wieder vorgebrachtes Argument: Viele britische,
amerikanische, französische Kriegsgefangene befanden sich in Lagern in
Ostdeutschland und Polen. Es lag also, angesichts des rasanten
Vormarsches der Sowjetarmee im Osten Europas, die auch Lager um Lager
"befreite", im Interesse des Westens darauf zu bestehen, die
Kriegsgefangenen so bald als möglich in die Hände ihrer Herkunftsländer
zu übergeben.
Ein
Beteiligter der damaligen Zeit meint dazu, daß seiner Erfahrung nach
die Russen in dem Moment nachgeben, in denen man ihnen gegenüber Härte
beweist. Gab man nach, fügte man sich ihren Argumenten, würden sie den
Verhandlungspartner verachten und noch mehr verlangen. Es gibt in den
Dokumenten nicht den geringsten Hinweis, daß die Russen diesen
Tauschhandel verlangt hätten. Es gibt in Wahrheit keine Evidenz, die
belegen würde, warum der Westen
gezwungen gewesen wäre, die Millionen Russen in Stalins Hände
zurückzugeben.
(Aus
Berichten über die Flucht aus Ostpreußen 1944/45 ist übrigens bekannt,
daß die westlichen Kriegsgefangenen oft die treuesten Helfer der
flüchtenden Bevölkerung waren, und generell mit in den Westen flohen.)
Man hätte also viele viele tausend Russen retten können - trotz dieser
historischen Gegebenheit. Churchill hat es sogar noch einmal vor dem
Parlament probiert. Denn die Sowjetunion Stalins hatte nicht einmal die
Genfer Konvention und das Abkommen über das Rote Kreuz unterzeichnet.
Wie also hätte man sie humanitär binden wollen? Man muß, so ein
Historiker im Film, direkt den konservativen Außenminister Anthony Eden
dafür verantwortlich machen, der sich diesen Überlegungen nachweislich
verweigert hatte. Und die USA folgten ihm.
Und
jetzt kommt's: Außenminister Eden hat 1945 die logisch folgende
Ansiedelung von Millionen Russen in England als ... kulturelle Bedrohung
angesehen. Es seien zu viele, um sie hier anzusiedeln, denn sie würden
dann bleiben. Obwohl alles dafür sprach, es genug Belege von Offiziellen
gibt, die das bestätigen, daß sich die Russen problemlos einfügen
würden.
Dazu kam eine seltsame Konstellation: Schriftsteller wie George B. Shaw hatten von der Sowjetunion ein überaus positives Bild gezeichnet. Damit sah man im Westen die sowjetische Propaganda über die Rote Armee und ihre humanitäre Mission in einem ziemlich falschen Licht. Die Freundschaft des Westens - vor allem in der Öffentlichkeit - beruhte also auf einem verklärten Bild des Kommunismus als Menschheitsziel, das auch für den Westen Attraktion haben sollte. Im Westen bildete sich längst eine breite Strömung, die den Sozialismus höchst positiv sah. Und die sich dazu bemüßigt fühlte, den Kommunismus zu unterstützen. Eine Art Stimmung, daß die Russen niemals etwas falsch machen könnten. "Uncle Joe" (Stalin) wurde vielfach sogar als "Retter des Westens" angesehen.
Und
das ist bemerkenswert gegenüber den 1920er Jahren, wo sich aus dem
kulturellen Zusammenbruch 1914-18 heraus im gesamten Westen und auch in
England, eine massive antikommunistische Angst und Stimmung
ausgebreitet hatte. Weshalb man überall - überall im Westen! - die
Entwicklungen in Deutschland ab 1933 als antikommunistische Reformation
keineswegs mit Sorge, sondern mit Hoffnung betrachtete.
Dieser
völlige Umschwung hat in den frühen 1940er stattgefunden. Wo sich auch
in den USA neue Methoden der Politik, neue Methoden der Betrachtung des
Volkes etablierten - im "social engineering", im "ethnic cleansing", im
Weggehen von Verwurzelung zu einer bewußten, ideologisch motivierten,
propagandaorientierten "neuen Identität", die den Interessen eines
Kapitalismus - genau das ist Kapitalismus: Entwurzelung, Konsumismus -
dienten. Stalin war immer ein großer Bewunderer des amerikanischen
Kapitalismus, die Bauten seiner Ära, sogar die Automobil-Modelle
beweisen das. Überall im Westen wurde das "Ende des kommunistischen Schreckgespensts"
propagiert. Kein Mensch sprach mehr über die vielen vielen Millionen
Toten, die der Kommunismus in den Jahren vor dem Krieg verursacht
hatte.
Kein
Wort mehr über die mindestens sechs, wahrscheinlich zehn Millionen Toten
des "Holodomor" in der Ukraine, kein Wort mehr über die mindestens drei
Millionen direkten Toten, den dutzenden Millionen, die in Lager wanderten,
nur allein in den Säuberungen Stalins in den 1930er Jahren. Die
übrigens vor allem Säuberungen von Juden waren (was ihm wahrscheinlich
1956 zum Verhängnis wurde - ein anderes Problem).
Putin
hat nicht zufällig vor ein paar Jahren in einem Gespräch mit russischen
Judenvertretungen "so nebenbei" erwähnt, daß 85 Prozent der kommunistischen
Funktionäre Juden waren. Während er im Gespräch mit Oliver Stone
"rätselte", warum es in den USA eine so ausgeprägte, dabei irrationale
Russophobie gäbe. Wer die wohl vertrete? Vor dem Hintergrund, daß Putin
meint, daß die eigentliche Politik der USA nicht vom Präsidenten gemacht
werde. Russophobie also zum ständigen Repertoire der USA gehören
könnte. War es nicht Solschenizyn, der darüber viel gearbeitet hat, daß
die Situation in Rußland die eines Judentums sei, das gegen das
Christentum kämpfe? Istenem. Was hier für Zusammenhänge aufplatzen
könnten ... lassen wir das also lieber.
Morgen Teil 4) Die Briten wußten um ihr Verbrechen
*160218*