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Freitag, 9. März 2018

Muß der Westen Putin völlig neu denken? (1)

Es könnte der Verdacht entstehen, daß sich der VdZ in das Thema Putin verrannt hat. Die Zahl der diesbezüglichen Beiträge in letzter Zeit ist groß, gewiß. Aber es war das Abtragen eines Berges, und allmählich stellt sich Klarheit ein. Es zeigt sich ein ziemlich neues Bild des Russen und der Russen, das in vielem allem widerspricht, was die einen genauso wie die anderen denken. Weder war oder ist Putin ein russisch-nationaler Weltmachtträumer, noch hat der Westen realitätsbezogen gehandelt. Vielmehr wurde ein ganz seltsames Spiel der Gegensätze in Gang gebracht, das, geht man ihm auf die Spur, so gut wie keinen Hintergrund hat. 

Der Osten und auch Putin haben die Umbrüche 1990 bis 1992 vielmehr mit ungeheurer Nativität und Offenheit begrüßt. Auch der VdZ hat es stets so erlebt: Was immer "westlich" war, wurden als "gut" angesehen und unhinterfragt übernommen. So sehr, daß dem VdZ, der damals viel damit zu tun hatte, angst und bang wurde.* 

Aber der Westen hat gerade im Verhältnis zu Rußland dramatische Fehler gemacht, die man eigentlich nur darin begründet sehen kann, daß die USA (als treibende Kraft) ein ganz seltsames Kriegsspiel um eine Alleinstellung als alles beherrschende Welt-Supermacht implementieren wollte. Er hat vor allem nie die Realitäten sehen wollen. So hat der VdZ (der u. a. 1997 längere Zeit im Osten Berlins lebte) einen allmählichen Stimmungswandel im Osten erlebt. Der Westen ist aber bereits so blind geworden, daß er auch das nicht sieht und vor allem: es nicht begreift.

Genau diese Sichtweise wird auch durch das Ergebnis eines nächsten Portraits von Vladimir Putin, gestützt. Das diesmal ein gewiß unverdächtigerer Vertreter (als Oliver Stone) des amerikanisch-jüdischen Establishments, des em. Professors für Rußlandstudien Stephen F. Cohen, angefertigt und im Rahmen eines jährlich stattfindenden Nationalen Kongresses am 2. Dezember 2017 vorgestellt hat. (Wobei: Seither wird auch Cohen als "Putin-Versteher" stark angefeindet.) Hier sein Fazit, wie es Russia Insider unlängst präsentiert hat und auf durch zahlreiche Reisen bereicherte Sachkenntnis über die Zustände in Rußland beruht. 

Cohen bezeichnet (in leider sehr breitem Nuschel-Amerikanisch) Putin als den konsequentesten Politiker des 21. Jahrhunderts, als wirklichen Staatsmann. Aber niemand im Westen bezeichnet ihn so! Sein Ruf im Westen ist ganz anders. Und das ist auf die Berichterstattung in den Medien zurückzuführen. Die Berichterstattung der westlichen Medien ist aber (bis auf ganz wenige Ausnahmen) schlicht und ergreifend beschämend. Sie sind vorurteilsbehafteter, stereotyper Unsinn und gehen völlig an der Wirklichkeit vorbei. Das kann man von russischen Medien nicht sagen. Denn in Rußland, so Cohen, wird recht offen über Putins Vorzüge und Nachteile diskutiert. Das ist in den USA nicht der Fall, und von russischen Medien nimmt die amerikanische Öffentlichkeit auch keine Notiz. 

Stattdessen herrscht im anglo-amerikanischen Raum (Cohen sagt, daß er das von den USA, England und Australien aus eigener Erfahrung sagen kann) das Stereotyp eines dämonisierten Putin. Auf eine Art, wie sie sogar bei den Sowjetführern seit Stalin nicht der Fall war. Deshalb beginnt er seinen Vortrag mit dem, was Putin NICHT ist. Und bietet dann einen Kontext an, in dem man ihn sehen muß, und das ist allem voran: Rußland. Man kann Putin nur in diesem Kontext begreifen. Nicht anders wie man es bei Nixon oder Clinton oder Obama tun muß.**

  1. Vladimir Vladimirowitsch Putin ist nicht der Mann, der Rußland entdemokratisiert hat. (Das haben Jelzin und das Weiße Haus getan, das ihn darin unterstützte, das Parlament mit Kanonen zu beschießen.)
  2. Er ist nicht der Führer, der Korruption und Kleptokratie (also eine Herrschaft der Diebe) in Rußland eingeführt hat. (Auch das taten Jelzin und das Weiße Haus, und es entstand mit der wilden Privatisierungswelle, die Jelzin einführte.) Und die Bevölkerung sieht das auch so: Putin hat Zustimmungsraten von 60 bis 80 Prozent. Es war Putin, der das zuvor in die Hände weniger geflossene Volksvermögen wieder an die Bevölkerung zurückleitete.
  3. Er ist kein krimineller Anführer, der die Ermordung von Oppositionellen und Journalisten angeordnet hat. Dafür gibt es keinerlei Belege. Es gibt zwar 81 Putin zur Last gelegte Fälle, 5 oder 6 davon schwere Fälle. Aber Cohens Untersuchung hat ergeben, daß keiner davon Putin zugerechnet werden kann. Wieweit es Polizeikräfte waren, die überzogen reagiert haben, ist ein anderes Thema. Aber es war einfach nie in Putins Interesse, denn alle diese Fälle haben seine Reputation schwer beschädigt. Von westlichen Medien behauptete "Fakten" sind stets nur Gerüchte.
  4. Er hat die Hacker-Einbrüche in die amerikanischen DemocraticNationalCommitee-Server 2017 nicht angeordnet. Auch dafür gibt es keinerlei Beweise, es sind lediglich in den USA von Geheimdiensten aufgestellte Behauptungen. Es gibt sogar Fachleute die meinen, daß es überhaupt kein "Hacking", sondern ein "Inside-job" war. Man kann also nur von einer Legende sprechen, die aber weitreichende Konsequenzen auslöste.
  5. Putin war nicht von Anbeginn an Anti-USA oder Anti-Westen eingestellt, eher das Gegenteil ist der Fall. Putin wurde innerhalb Rußlands zu Beginn seiner Amtszeit sogar dafür kritisiert, daß er zu überzogen Pro-Amerikanisch eingestellt war. Sowohl Bush wie auch Clinton hatten aus allen Treffen mit ihm nur den besten Eindruck. Freilich, das hat sich mit der Zeit geändert, aber das ist die Schuld des Westens. Es nahm seinen Ausgang bei der Kritik von Putin am Irak-Einmarsch (wie auch etwa Frankreich). Das hat man ihm übelgenommen. Für Putin selbst dürfte sich manches nach dem Georgien-Krieg 2008 geändert haben, an dem eindeutig westlicher Einfluß beteiligt war. Und dasselbe war noch einmal 2014 in der Ukraine der Fall. Putin selbst formulierte es einmal so, daß er gezwungen wurde, seine Illusionen über die USA abzulegen.  
  6. Er ist kein neuer Sowjet-Anführer, er denkt vielmehr sehr kritisch über Lenin und Stalin. Daß sich Putin, der im Sowjetsystem aufgewachsen ist, ab und zu nach alten Zeiten zurücksehnt mag sein, aber das ist, sagt Cohen, auch bei Geschiedenen der Fall, die sich von Zeit zu Zeit nach ihrem alten Partner sehnen. Putins Taten sprechen aber eine klare anti-sowjetische Sprache.
  7. Er ist kein Proponent einer aggressiven Außenpolitik, sondern hat vielmehr als Staatschef immer nur reagiert. Dennoch wird in unseren Medien ständig davon gesprochen, daß er "aggressive Außenpolitik" betreibe. Weil sich der CIA so sieht, auf den sich diese Medien oft berufen? Der in einer Liste 10 Länder mit aggressiver Außenpolitik bezeichnet, darunter Rußland. Nur ein Land habe sicher keine aggressive Außenpolitik - und das sind ... die USA. Cohen kommt zu der Einschätzung, daß Putin das Gegenteil eines aggressiven Staatsführers ist - er hat nämlich immer nur REAGIERT. Das sieht man am Georgienkrieg, das sieht man im Fall der Ukraine, und das sieht man nicht zuletzt in Syrien. Das außerdem für Rußland eine weit größere Terrorbedrohung dargestellt hat, als es im Westen rezipiert wird. Man wirft ihm in Rußland sogar vor, daß er "zu lange zuwartet". Man kann höchstens darüber diskutieren, ob er über-reagiert, gut, aber das ist eine ganz andere Frage.
  8. Er ist nicht irgendwie vorgeprägt und einordnenbar durch seine 17 Jahre beim KGB. Während er im Westen ständig als "KGB-Agent" betitelt wird. Politiker ist Putin immerhin schon über 20 Jahre. Genau so könnte man Lyndon B. Johnson als Geheimagent bezeichnen. Es ist nicht seriös jemanden auf eine (in ganz anderen Umständen noch dazu) einmal gehabte Position festzunageln. Man muß ihn vielmehr an seinen Taten messen.²


 Morgen Teil 2) Ein Vorschlag.
Wie man Putin vielleicht besser begreifen könnte.


Fußnoten übermorgen!





*120218*