Es
könnte der Verdacht entstehen, daß sich der VdZ in das Thema Putin
verrannt hat. Die Zahl der diesbezüglichen Beiträge in letzter Zeit ist
groß, gewiß. Aber es war das Abtragen eines Berges, und allmählich
stellt sich Klarheit ein. Es zeigt sich ein ziemlich neues Bild des
Russen und der Russen, das in vielem allem widerspricht, was die einen
genauso wie die anderen denken. Weder war oder ist Putin ein
russisch-nationaler Weltmachtträumer, noch hat der Westen
realitätsbezogen gehandelt. Vielmehr wurde ein ganz seltsames Spiel der
Gegensätze in Gang gebracht, das, geht man ihm auf die Spur, so gut wie
keinen Hintergrund hat.
Der
Osten und auch Putin haben die Umbrüche 1990 bis 1992 vielmehr mit
ungeheurer Nativität und Offenheit begrüßt. Auch der VdZ hat es stets so
erlebt: Was immer "westlich" war, wurden als "gut" angesehen und
unhinterfragt übernommen. So sehr, daß dem VdZ, der damals viel damit zu
tun hatte, angst und bang wurde.*
Aber
der Westen hat gerade im Verhältnis zu Rußland dramatische Fehler
gemacht, die man eigentlich nur darin begründet sehen kann, daß die USA
(als treibende Kraft) ein ganz seltsames Kriegsspiel um eine
Alleinstellung als alles beherrschende Welt-Supermacht implementieren
wollte. Er hat vor allem nie die Realitäten sehen wollen. So hat der
VdZ (der u. a. 1997 längere Zeit im Osten Berlins lebte) einen
allmählichen Stimmungswandel im Osten erlebt. Der Westen ist aber
bereits so blind geworden, daß er auch das nicht sieht und vor allem: es
nicht begreift.
Genau
diese Sichtweise wird auch durch das Ergebnis eines nächsten Portraits
von Vladimir Putin, gestützt. Das diesmal ein gewiß unverdächtigerer
Vertreter (als Oliver Stone) des amerikanisch-jüdischen Establishments, des em. Professors für Rußlandstudien Stephen F. Cohen, angefertigt und im Rahmen eines jährlich stattfindenden Nationalen Kongresses
am 2. Dezember 2017 vorgestellt hat. (Wobei: Seither wird auch Cohen
als "Putin-Versteher" stark angefeindet.) Hier sein Fazit, wie es Russia Insider unlängst präsentiert hat und auf durch zahlreiche Reisen bereicherte Sachkenntnis über die Zustände in Rußland beruht.
Cohen bezeichnet (in leider sehr breitem
Nuschel-Amerikanisch) Putin als den konsequentesten Politiker des 21.
Jahrhunderts, als wirklichen Staatsmann. Aber niemand im Westen
bezeichnet ihn so! Sein Ruf im Westen ist ganz anders. Und das ist
auf die Berichterstattung in den Medien zurückzuführen. Die
Berichterstattung der westlichen Medien ist aber (bis auf ganz wenige
Ausnahmen) schlicht und ergreifend beschämend. Sie sind
vorurteilsbehafteter, stereotyper Unsinn und gehen völlig an der
Wirklichkeit vorbei. Das kann man von russischen Medien nicht sagen.
Denn in Rußland, so Cohen, wird recht offen über Putins Vorzüge und
Nachteile diskutiert. Das ist in den USA nicht der Fall, und von
russischen Medien nimmt die amerikanische Öffentlichkeit auch keine
Notiz.
- Vladimir Vladimirowitsch Putin ist nicht der Mann, der Rußland entdemokratisiert hat. (Das haben Jelzin und das Weiße Haus getan, das ihn darin unterstützte, das Parlament mit Kanonen zu beschießen.)
- Er ist nicht der Führer, der Korruption und Kleptokratie (also eine Herrschaft der Diebe) in Rußland eingeführt hat. (Auch das taten Jelzin und das Weiße Haus, und es entstand mit der wilden Privatisierungswelle, die Jelzin einführte.) Und die Bevölkerung sieht das auch so: Putin hat Zustimmungsraten von 60 bis 80 Prozent. Es war Putin, der das zuvor in die Hände weniger geflossene Volksvermögen wieder an die Bevölkerung zurückleitete.
- Er ist kein krimineller Anführer, der die Ermordung von Oppositionellen und Journalisten angeordnet hat. Dafür gibt es keinerlei Belege. Es gibt zwar 81 Putin zur Last gelegte Fälle, 5 oder 6 davon schwere Fälle. Aber Cohens Untersuchung hat ergeben, daß keiner davon Putin zugerechnet werden kann. Wieweit es Polizeikräfte waren, die überzogen reagiert haben, ist ein anderes Thema. Aber es war einfach nie in Putins Interesse, denn alle diese Fälle haben seine Reputation schwer beschädigt. Von westlichen Medien behauptete "Fakten" sind stets nur Gerüchte.
- Er hat die Hacker-Einbrüche in die amerikanischen DemocraticNationalCommitee-Server 2017 nicht angeordnet. Auch dafür gibt es keinerlei Beweise, es sind lediglich in den USA von Geheimdiensten aufgestellte Behauptungen. Es gibt sogar Fachleute die meinen, daß es überhaupt kein "Hacking", sondern ein "Inside-job" war. Man kann also nur von einer Legende sprechen, die aber weitreichende Konsequenzen auslöste.
- Putin war nicht von Anbeginn an Anti-USA oder Anti-Westen eingestellt, eher das Gegenteil ist der Fall. Putin wurde innerhalb Rußlands zu Beginn seiner Amtszeit sogar dafür kritisiert, daß er zu überzogen Pro-Amerikanisch eingestellt war. Sowohl Bush wie auch Clinton hatten aus allen Treffen mit ihm nur den besten Eindruck. Freilich, das hat sich mit der Zeit geändert, aber das ist die Schuld des Westens. Es nahm seinen Ausgang bei der Kritik von Putin am Irak-Einmarsch (wie auch etwa Frankreich). Das hat man ihm übelgenommen. Für Putin selbst dürfte sich manches nach dem Georgien-Krieg 2008 geändert haben, an dem eindeutig westlicher Einfluß beteiligt war. Und dasselbe war noch einmal 2014 in der Ukraine der Fall. Putin selbst formulierte es einmal so, daß er gezwungen wurde, seine Illusionen über die USA abzulegen.
- Er ist kein neuer Sowjet-Anführer, er denkt vielmehr sehr kritisch über Lenin und Stalin. Daß sich Putin, der im Sowjetsystem aufgewachsen ist, ab und zu nach alten Zeiten zurücksehnt mag sein, aber das ist, sagt Cohen, auch bei Geschiedenen der Fall, die sich von Zeit zu Zeit nach ihrem alten Partner sehnen. Putins Taten sprechen aber eine klare anti-sowjetische Sprache.
- Er ist kein Proponent einer aggressiven Außenpolitik, sondern hat vielmehr als Staatschef immer nur reagiert. Dennoch wird in unseren Medien ständig davon gesprochen, daß er "aggressive Außenpolitik" betreibe. Weil sich der CIA so sieht, auf den sich diese Medien oft berufen? Der in einer Liste 10 Länder mit aggressiver Außenpolitik bezeichnet, darunter Rußland. Nur ein Land habe sicher keine aggressive Außenpolitik - und das sind ... die USA. Cohen kommt zu der Einschätzung, daß Putin das Gegenteil eines aggressiven Staatsführers ist - er hat nämlich immer nur REAGIERT. Das sieht man am Georgienkrieg, das sieht man im Fall der Ukraine, und das sieht man nicht zuletzt in Syrien. Das außerdem für Rußland eine weit größere Terrorbedrohung dargestellt hat, als es im Westen rezipiert wird. Man wirft ihm in Rußland sogar vor, daß er "zu lange zuwartet". Man kann höchstens darüber diskutieren, ob er über-reagiert, gut, aber das ist eine ganz andere Frage.
- Er ist nicht irgendwie vorgeprägt und einordnenbar durch seine 17
Jahre beim KGB. Während er im Westen ständig als "KGB-Agent" betitelt
wird. Politiker ist Putin immerhin schon über 20 Jahre. Genau so könnte
man Lyndon B. Johnson als Geheimagent bezeichnen. Es ist nicht seriös
jemanden auf eine (in ganz anderen Umständen noch dazu) einmal gehabte Position festzunageln. Man muß ihn vielmehr an seinen Taten messen.²
Morgen Teil 2) Ein Vorschlag.
Wie man Putin vielleicht besser begreifen könnte.
Fußnoten übermorgen!
*120218*