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Donnerstag, 22. März 2018

Warum aber fehlt die Gegenseite?

Freilich könnte man die im aktuell erschienenen vatikanischen Dokument PLACUIT DEO angeführten beiden Häresien als Bedrohung der Rechtgläubigkeit ansehen. Einige Kommentatoren befassen sich eingehend mit möglichen Kritikpunkten. Möglich, wie gesagt. Denn man könnte die oft schwammige Formulierungsweise vor einen Hintergrund stellen, der es tatsächlich gefährlich macht. Sehr gefährlich sogar. Der Leser möge sich selbst in seine Inhalte vertiefen, wie es diese und andere getan haben. Das alles sind mögliche Varianten. Man sollte sie lesen. Aber der VdZ teilt sie nicht in allen Punkten. Man sollte über dieses spekulative Dokument - wobei: darf ein Vatikan solche Spekulationen herausgeben? - eigentlich gar nicht weiterreden.

Denn wenn es spekulativ ist, und das behauptet es gewissermaßen, weil es auch das Recht beansprucht, nicht "exakt" sein zu müssen, dann ist es bestenfalls Anregung, aber kein Lehrdokument. Aber daß das irgendwann behauptet werden könnte, ja, tatsächlich, das ist eine Gefahr. Wenn diese einmal geschluckten Formulierungen irgendwann plötzlich doch das Wörtliche eines Lehrdokuments verlangen.

Placuit Deo gibt sich vorerst aber nur als Kritik an "heutigen Häresien", dem Gnostizismus wie auch dem Pelagianismus. Gut, warum nicht. Aber ist das wirklich ein aktueller Ansatzpunkt? Diese Frage muß man diesem Papst ja ständig stellen: Worüber redet er überhaupt? Was hält er für aktuell? Kennt er wirklich die Welt? Der VdZ meint: Nein.

Auch hier. Denn diesem Paar von Häresien steht ein anderes Paar auf der anderen Seite der Skala gegenüber, bei dem man sich fragen muß, ob nicht DIESES das weit dringendere Problem der Gegenwart ist. Denn Aktualismus und Irrationalismus scheinen viel brennender die Gegenwart zu verunstalten, als Pelagianismus und Gnostizismus.

Sicher, ja, es gibt auch heute den Irrtum, daß manche meinen, sich durch bestimmte irdische Formen und Rubrikentreue alleine (was gewisse Nähe zum Technizismus und Magismus hat) das Heil erwirken zu können. Und es gibt den Selbsterlösungsanspruch der Gnosis, die meint, mit bestimmten Erkenntnisinhalten in die ewige Seligkeit eingehen zu können, wobei diese Erkenntnisinhalte wiederum von irrational übernommenen Glaubens- und Anschauungssätzen ausgehen. 

Aber es gibt auch und vor allem die Verwüstung der Formlosigkeit, die nicht sieht, daß die innere Haltung der Gnadenzurüstung das Hineinsterben eben genau in die Form ist. Das verlangt zwar eine gewisse Loslösung von der Form, die nicht ins Absolute geschoben werden darf, aber es verlangt auch ein Zurücktreten vor ihr selbst. Und es gibt vor allem eine Bereitschaft, um des Aktuellen willen jede Form quasi aus dem Moment selbst herausspringen lassen zu wollen, ganz so, als trüge jeder Moment die Fülle seiner Transzendenz ganz in sich, und als würde jeder Augenblick auch eine ihr entsprechende Form schaffen wollen und vor allem sollen. 

Das führt zu Willkür und Beliebigkeit und übersieht dramatisch, daß die Welt in der Vorsehung Gottes geborgen eine Welt der Ideen Gottes ist, die in seinem Wissen geborgen aus diesem heraus in die Welt geboren werden müssen und wollen. Und sollen. Deshalb keineswegs beliebig sind, auch wenn sie ein gewisses zeitnahes, historisches Kleid tragen. Das aber nur eine Variante der im letzten in ihren Grundstrukturen immer gleiche Form ist. Weshalb der Bezugspunkt eben die Form sein muß, nicht die Zufälligkeit eingelassen werden darf, der, wenn sie ihre Kriterien aus dem Menschen schöpft (und woraus sollte sie dann schöpfen), eine gewisse Formtreue als Transzendierung auf diese ewige Form in Gott hin erst die Wirkung des Geistes Gottes auf Erden gewährleistet. 

Auch ist die Gnosis nicht alleine zu sehen, denn sie ist im Grunde eine Zwillingsschwester des Irrationalismus. Der da also meint - insofern auch mit dem Aktualismus verschwistert ist - weil der Verstand des Menschen nicht in der Lage ist, das Wissen Gottes endgültig zu erfassen, gleich auf diesen verzichten zu können. Stattdessen hat der Mensch die Notwendigkeit, den Verstand aus dem Wissen Gottes erleuchten zu lassen, auch wenn das niemals erschöpfend der Fall sein kann. Dennoch bleibt dann der Verstand in gewissen Grundstrukturen (die aus den Beziehungen der Ideen in Gottes Vorsehung stammen, diesen also analog sein müssen) von derselben Eigenschaftlichkeit Gottes der Geist ist, bestimmt. So, wie die Strahlen der Sonne in äußeren Kreisen zwar nicht die Sonne selbst sind, aber doch auf diese zulaufen und in ihr zusammengefaßt werden, ist also der menschliche Verstand das auf die Ewige Weisheit und das Wissen Gottes zulaufende. 

Und besteht wie das Zentrum, das Eine, in dem alles zusammenläuft, aus Widerspruchslosigkeit und Logik. Denn in Gott kann es keinen Widerspruch geben. Verzichtet aber der Mensch auf diese Logik, soweit er sie eben erfassen kann, wobei er sie in ihren Prinzipien sehr gut erkennen können muß (weil sich sonst das Schöpfungswerk Gottes überhaupt allen Sinnes - logos! - begäbe) verzichtet er einmal auf die Freiheit, und dann vor allem auf die Fähigkeit zu verantwortbarem Urteil. Er würde sich auf ein nicht beurteilbares "Irgendwas" werfen müssen, an dem er irgendwie mit "Glauben" anhangt. Das wäre also Fideismus, und würde dem Grundsatz des Glaubens widersprechen, der da eben NICHT heißt, daß man blind annehmen muß, was einem gesagt wird, sondern der da sagt, daß man seinen Verstand einsetzen und nach der höchsten Logik ausstrecken muß.

Die Folgen aus diesen beiden Häresien sind heute direkt erkennbar. Sie führen zur völligen Auflösung aller Wesensbegriffe, und damit zu einem völligen Zerfließen der Welt als Gestalt in eine technizistisch verstandene Welt bloßer Eigenschaften. Womit sich aber auch genau diese Eigenschaften auflösen, denn nur Dinge, Gestalten können Eigenschaften haben, sodaß menschliches Handeln tatsächlich zum bloßen und willkürlichen, der Situation, der Lust und Laune überlassenen Produzieren dieser Eigenschaften wird. Ethik aber kann sich nur aus dem Willen Gottes erschließen, und dieser Wille Gottes ist wiederum maßgeblich und äußerst weitgehend in seiner Schöpfung erkennbar - im Wesen der Dinge tätigt Gott seine Wesensaussage, sodaß nur der Respekt vor diesem Wesen der Dinge (in der Erkenntnis also) seinen Willen offenbaren kann. Und diesen müssen wir, wir die wir so zerbrechliche Gefäße sind, die allzu leicht fehlgehen, mit all unseren Befähigungen (in denen wir Gott ähnlich sind: Abbild!) im rationalen Urteil erfassen und befolgen. 

Weil wir aber diese Grundbereitschaft des Gehorsams nicht mehr aufbringen wollen, folgt heute zwangsläufig eine Willkürherrschaft einer quasi zufälligen "Moral", der weil sie den Gesetzen der Logik nicht mehr notwendig zu folgen hat, der Verzicht auf den Verstand am Fuß folgt.

Der Leser möge selbst sein Urteil fällen, welche der Häresiepaare - Erstarrung in Formen samt einer überrationalisierten Vernunftdefinition vs. völlige Formauflösung mit aktualistischer Ethik, die keine ewigen Wesenszüge an den Dingen mehr kennt und nicht mehr in Verstand und Vernunft, sondern im Verzicht auf den Verstand gründet. In jedem Fall aber könnte er zur Ansicht kommen, daß es alle diese Irrtümer sind, die heute anzutreffen sind. Wenn also der römische Pontifex die Absicht hatte, der Zeit ans Leder zu gehen, würde die Ergänzung um (zumindest) weitere Häresiepaare sinnvoll erscheinen. (Wobei ja alle Häresien auf die eine oder andere Weise zusammenhängen.)

Weil das aber nicht der Fall ist, könnte einen der Verdacht anspringen, daß die in PLACUIT DEO erwähnten Häresien nur der Aufhänger dafür sein sollen, anderen Häresiepaaren Tür und Tor zu öffnen. Ja gar noch, das im Schreiben so fleißig erwähnte "Lehrwerk" des jetzigen Papstes, dem die oben erwähnten komplementären Irrtümer und Neigungen nicht ganz abzusprechen ist, zu rechtfertigen. Indem man auf den einen Dieb hinweist, um den anderen Diebstahl nicht auffallen zu lassen. Sodaß man den Stimmen verständnisvoll gegenübersteht die da meinen, mit diesem Dokument habe sich der Papst eine Totschlagkeule zurüsten lassen, mit der er jene mundtot zu machen gedenkt, die an seinen eigenen Neigungen zu Häresien Anstoß nehmen. 

Zumal der Text tatsächlich recht fragmentarisch und vage, damit kaum eindeutig ausdeutbar und spekulativ geblieben ist, und Begriffe sehr verschwommen einsetzt, ja auf deren Klärung sogar ausdrücklich verzichtet. Und das ist für ein offizielles Dokument der obersten Lehranstalt, dem Vatikan, ja der Glaubenskongregation, höchst eigenartig.






*050318*