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Samstag, 10. März 2018

Muß der Westen Putin völlig neu denken? (2)


Teil 2) Ein Vorschlag.
Wie man Putin vielleicht besser begreifen könnte.




Professor Cohen setzt seinen Vortrag mit einem zweiten Teil fort, indem er vorschlägt, Putin versuchsweise einmal anders zu sehen. Und dann zu entscheiden, ob man nicht mit anderen Deutungen zu einer ehrlicheren, realistischeren Deutung von Putin kommen könnte.
  1. Als junger und unerfahrener Staatsführer wurde Putin im Jahre 2000 an die Spitze eines Staates gestellt, der im 20. Jahrhundert bereits seinen zweiten (!) Totalzusammenbruch erlebte, 1917 und 1991. Beide Male hatte es dieselben Folgen: Armut und Elend für die Bevölkerung und Bürgerkrieg. Als Putin an die Macht kam, hatte er einen kollabierten Staat vor sich, dessen Militär (mit seinen gewaltigen Atomarsenalen) am Rande der Auflösung stand.
  2. Er reformierte, stabilisierte und modernisierte Rußland auf eine Art, die künftigen Zusammenbrüchen vorbeugen sollte. Denn das ist eines der Gespenster, die jeder Russe am meisten fürchtet.
  3. Er mußte die "Vertikale" der Macht neu aufbauen, und er tat dies durch eine "gesteuerte Demokratie" (als Steuerung im Rahmen einer wiederhergestellten Ordnung). Tatsache war, daß niemand mehr Steuern zahlte, die Lokalregierungen sich schamlos bereicherten, selbst Atomwaffen waren schutzlos Korruption und Diebstahl ausgeliefert. Also mußte Putin die Kontrolle des Landes durch Moskau wiederherstellen. Mag sein, daß er hierin überzogen hat. Aber wer soll das beurteilen? Was wäre die Alternative gewesen, was hätte er anders machen sollen, als die Autorität des Staates zu stärken? Und es stimmt nicht, ihm vorzuwerfen, er würde diktatorisch regieren. Das ist einfach nicht der Fall. Er ist die klare Nummer eins, ja, aber er hält nicht alle und jede Macht in seinen Händen, wie es Diktatoren tun.
  4. Er brachte eine Zusammenführung der unterschiedlichen Geschichtsdeutungen (Zarismus, Kommunismus und Post-Kommunistische Ära) in einen nationalen Konsens, ohne eine einzige Geschichtsversion vorzuschreiben, was auf große Widerstände jeweils anderer Auffassungsgruppierungen gestoßen wäre. Nur so konnte den jungen Menschen Identifikation mit einem Land ermöglicht werden, auf das sie auch stolz sein können. Da mußte er oft sehr differenziert vorgehen - so hat er Stalin zwar schwer kritisiert, vergißt aber nicht zu erwähnen, daß Stalin das Land im 2. Weltkrieg hervorragend geführt hat. Er war es schließlich, der Nazi-Deutschland besiegt hat. Amerika trat erst im Juni 1944 auf den Schauplatz, und da war der Krieg bereits entschieden. Durch eine Rote Armee, die von Stalin geführt wurde. Man kann ihn deshalb nicht einfach aus der Geschichte herausschreiben! Es war derselbe Putin, der in Moskau ein nationales Museum über die Geschichte des Gulags (des Systems der Vernichtungslager im Kommunismus) errichten ließ, und der einen Monat später das erste nationale Denkmal für die Siege Stalins aufstellen ließ. Putin muß eben oft, um das Land zu einen, schwierige Balanceakte durchführen.
  5. Er brauchte die Unterstützung des Westens, um Rußlands Wirtschaft zu modernisieren. Er brauchte westliche Kredite und westliche Technologie, schon deshalb versuchte er immer eine sehr freundschaftliche Politik. Es waren deshalb die Sanktionen des Westens, die eine gewisse Änderung seiner Politik nach sich zogen. Rußland mußte andere Wege gehen, Wege auch ohne den Westen, um seine Wirtschaft weiter zu entwickeln.
  6. Putin wollte, daß Rußland eine Großmacht ist, aber NICHT eine Supermacht. Es kann aber nicht sein, daß man Rußland auf eine bloße Regionalmacht zurückstuft. Immerhin ist Rußland flächenmäßig nach wie vor das größte Land der Erde. Putin verlangt also, daß er bei allen großen internationalen Entscheidungen mit am Tisch zu sitzen habe.
  7. Er hat nie einen Isolationismus gewollt, wie er beim Eisernen Vorhang der Fall war. Putin ist ein Internationalist. Zumindest war das unmittelbar nach der Wende so. Es war Putin, der vor dem deutschen Bundestag eine Rede auf Deutsch (!) hielt. Als Zeichen, daß er Europäer ist. Und das sagen sogar seine intimsten Feinde unter den Oligarchen - Putin ist mehr Europäer als 90 Prozent der Russen. Es war ein Europäer, der an die Macht in Moskau kam, kein KGB-Agent.
Die Schlüsselthese Professor Cohens lautet: Putin begann auf den Grundlagen einer liberalen Demokratie, wie sie Gorbatschow und Jelzin implementieren wollten (was sie zumindest vorgaben anzustreben), als pro-westlicher, europäischer Staatsführer. Aber unter dem Eindruck der Ereignisse, unter dem Eindruck dessen, was Putin mehrmals als "verlorene Illusionen" bezeichnete, machten ihn eher konservativ. Er näherte sich mit der Zeit einer mehr traditionellen, russischen Weltsicht. Genau das war es, was ihn heute (wie alle Umfragen belegen) aber sogar mehr als früher mit den Sichtweisen der Russen übereinstimmen läßt. Ihm da vorzuwerfen, er würde heute den Wählern mehr nach dem Mund reden, um sie zu täuschen, klingt aus westlichem Mund doch etwas seltsam. Tun sie etwas anderes? 

Noch eine Bemerkung schiebt Cohen nach. Er geht auf die Homosexuellen-Gesetze ein, die Cohen als "schlecht" bezeichnet. Dennoch verweist er darauf, daß 13 amerikanische Staaten fast wortgleiche Gesetze haben. 

Und noch einen Eindruck schildert Cohen, er hat ihn bei seinen Reisen durch Rußland gewonnen: Den Juden geht es in Rußland so gut wie noch nie in der russischen Geschichte. Sie haben mehr Freiheiten, es gibt keinen offiziellen Antisemitismus, sie haben mehr Schutz, Israel wird offiziell geschätzt, sie haben mehr Bewegungsfreiheit.  








Fußnoten morgen!






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