Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 6. März 2018

Von einem Totalitarismus in den nächsten gefallen

Was den polnischen Politikwissenschaftler und Philosoph (und Abgeordneten im Europarat in Straßburg) Ryszard Legutko nach dem Umbruch 1989, dem Zusammenbruch des Kommunismus, nach dem Übergang zur liberalen Demokratie in seinem Heimatland am meisten überrascht hatte, war, daß die Sprache der Politik nun keineswegs auf Freiheit umschwenkte, die die alte kommunistische Doktrine ersetzt hätte, sondern wie diese speziell in den letzten Jahrzehnten in eine Sprache der Notwendigkeiten und Zwänge fiel. So wie zuvor, war auch nun das politische Handeln offenbar nur noch "alternativlos" und getrieben von Notwendigkeiten. Raum für freies Handeln schien es nicht zu geben, oder - wie im Kommunismus - nur in der Zukunft. 

Zwar war es nun keine offizielle Doktrine, die dem Handeln die Zwänge vorgab, aber ein im System verinnerlichter Handlungsdruck, der scheinbar keinen Spielraum mehr für Freiheit und schöpferisches Gestalten ließ. Die Welt schien auch in der liberalen Demokratie nicht "offen", alles Handeln vielmehr dadurch dominiert zu sein, daß man die Dinge so zu tun hatte, wie man sie eben tun müsse, wie sie getan werden müßten. Alles scheint in jene Starrheit gekleidet zu sein, die auf einen puren Erhalt des Bestehenden hinauslaufen, und deshalb ist alles nach vorgegebenen Wegen zu tun.

Und dazu bedient sich das System schamlos des social engineering. Mit der besonderen Rolle der Medien. Wo man die Veränderung der Gesellschaften von oben herab im Namen des Erhalts der bestehenden und erwünschten Funktionen diktiert. Die Politik der liberalen Demokratie sieht sich in der Aufgabe, ein Volk "zu verändern", gar "zu schaffen" - und das ist verblüffend deckungsgleich mit dem Totalitarismus des Kommunismus. Auch dort war die Dominanz des politischen Systems oberstes Gebot, dem die "soziale Fabrik" angeschlossen war, das die Gesellschaft als ihr Objekt ansah. Und das alles geschah im Namen des "Guten". Nur so könne die Menschheit zum Guten geführt oder vor Katastrophen bewahrt werden. Und dazu mußten die Menschen in Kommunisten, ihre Wertvorstellungen seinen Wertvorstellungen gemäß verwandelt werden.

Man muß hier nur noch - bei allen Unterschieden, die natürlich bestehen* - das Wort Kommunismus nur durch liberale Demokratie ersetzen, findet man eine perfekte Beschreibung der westlichen Systeme. Auch dem Wort Demokratie wurde ein eigener Inhalt zugesprochen. Alles mußte "demokratisch" werden, dann würde alles gut.  Wobei sich beide Systeme als "historisch richtige, notwendige Stufe der Entwicklung" sahen (und sehen), die lange Jahrtausende der Menschheitsgeschichte, die als schlecht, böse und verdammenswert beurteilt werden, erfüllten.

Das Problem des Liberalismus ist auch in dem Punkt dem Kommunismus gleich, daß sich der Liberalismus jedem anderen System überlegen sieht. Das glaubt heute jeder, und das hat jeder zu glauben. Und alles, was dem widerspricht, was sich widersetzt, sogar alles, was diese Prämisse in Frage stellt, wird zum Feind des Guten. Somit ist auch jede Institution potentieller Feind des guten Systems und muß entsprechend aufgebrochen werden. Nur sind es diesmal nicht Kommunisten, die so vorgehen, sondern Liberale! Die kein Problem darin sehen (und je sahen), das Ziel der totalen Freiheit dadurch anzustreben, indem sie die Freiheit anderer zerstörten. Und behaupten, die einzigen zu sein, die definieren dürfen, was Freiheit denn überhaupt sei. 

Das zeigt sich sogar in der Sprache, die (u. a. über political correctness) ihren Gebrauch streng reglementiert (und damit das Denken schwer deformiert, freies Denken verunmöglicht. Auch Sprache wird zum Instrument des social engineering.) Den Gesellschaften wird abgesprochen, aus sich selbst heraus zum "Glück" zu finden, man muß diese Prozesse formen und bestimmen. Es genügt nämlich nicht, daß das äußere System demokratisch liberal ist, nein, man erkennt den Feind im Denken und Verhalten der Menschen. Dieses muß also verändert werden.

Das führt zu einem enormen Druck zur Konformität, im Inneren wie im Äußeren, denn was nicht systemgerecht sein will, wird zum absoluten Feind der Menschheitsentwicklung zum Guten. Alles muß in diesem Sinn "modernisiert", der liberalen Vorstellung angepaßt werden, nichts darf ausgelassen werden. Sie teilen also beide einander parallel in "hier sind die Guten" und "dort sind die Bösen", und zwar bis in die individuelle Ebene hinein.

Das ist darauf zurückzuführen, daß sowohl der Liberalismus als auch der Kommunismus ein sehr ähnliches anthropologisches Konzept (u. a. in der evolutionstheoretisch-hegelianisch begründeten Vorstellung von "Fortschritt") zur Grundlage haben. Bei beiden ist es auch das große System, das den Einzelnen zum Glück führen soll. (Weil die individuelle Freiheit keinen Sinn mehr behält, weil die Welt an sich keinen absoluten, auf den Einzelnen ausgerichteten, nur von diesem erfüllbaren Sinn mehr trägt; Anm.).

Dazu müssen sie alle - muß der "Mann von der Straße", der "einfache Bürger" - von allen Fesseln der Vergangenheit befreit werden. Auch dieses Ziel des Anti-Traditionalismus (den kein Pragmatismus ersetzen kann, wo man sich also "das Nützliche, Brauchbare aussucht", das ist ein großer Irrtum, denn Traditionsbezogenheit ist eine Haltung der und zur Freiheit, kein Handeln des Utilitarismus; Anm.) ist in beiden Systemen erstaunlich gleich.

So wie gleich ist, daß dieses hohen Zieles willen alle Mittel zu seiner Erreichung gerechtfertigt sind (also auch jede Form der Manipulation; Anm.). Hier wie dort hat deshalb die "Wissenschaftlichkeit" als Instanz der Wahrheit ihre verheerende Rolle zu spielen: Sie weiß besser als der Einzelne, was gut und richtig ist. Der Liberalismus macht diese Gleichschaltung der Gehirne nur "nach außen eleganter".

"Demokratie" wird dazu (wie im Kommunismus die Worte "Kommunismus/Sozialismus") als "Über-Wort für alles" verwendet. Man verhindert so (weil es im Grunde damit in menschlicher Willkür, diesmal aber nur noch der Willkür der Mächtigen bzw. aus der evolutionistisch begründbaren Logik der Macht als DAS Prinzip der Entwicklung, untergeht; Anm.), daß sich ein Denken entwickelt, das auch über diese Einschränkung (eines Gesollten, eines Über-Gesollten) eventuell hinausgehen könnte. Ja, ein solches Hinausgehen ist sogar sanktioniert, funktioniert wie ein von enormer Angst und Ausgestoßenheitsdrohung erpreßtes, abgesichertes Moraldogma. (Die Entwicklungen auf den Universitäten im Westen belegen das erschreckend klar - heute spricht man im Namen der Übermoral sogar schon von "postscientific science"; Anm.).  Selbst der Versuch, Demokratie überhaupt zu definieren, ist davon betroffen, seine Deutung (und Verwendung) greift somit immer weitgehender in irrationale Bereiche über. 

Damit hat die "liberale Demokratie" die menschliche Freiheit zunehmend beseitigt. Zumindest ist sie dabei, das zu tun. Denn in ihr ist systemisch ein Dämon impliziert, vor dem dringend gewarnt werden muß. Die sogenannten liberalen Gesellschaften haben mittlerweile deutlich erkennbar die Tendenz bewiesen, in einen Totalitarismus umzuschlagen, der frappierend dem Totalitarismus des Kommunismus gleicht.









*Der wahrscheinlich fundamentalste Unterschied besteht darin, daß der Liberalismus nicht mit direkter Gewalt vorgeht, sondern die "Zustimmung der Menschen" in einem Verfahren anstrebt, das dem des Mißbrauchs auffällig ähnelt. Man bezieht sich auf das "Fühlen des Angenehmen" in dem, was man an die Stelle der Freiheit setzt.



*290118*