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Montag, 30. Juli 2018

Bemerkungen zu Jordan B. Peterson

Wenn der VdZ schreibt, daß Peterson Pragmatist ist, so ist damit gemeint, daß er von einer persönlichen, also subjektiven Grundlage aus (richtig) erfaßt, daß vieles falsch läuft, auf ein sinnloses und irrationales Leiden an der Welt hinausläuft, und er sieht deshalb von dieser Evidenz aus auch in vielem sehr genau, was da schief läuft. Aber letztlich geht es bei ihm nicht in eine widerspruchslose Gesamterklärung auf, Peterson erspart sich den Schritt, auf den doch alles hinwiese, was er herausfindet. Das begründet wohl auch seinen großen Erfolg im Internet, wo angeblich seine Vorträge bislang 35 Millionen mal angeklickt worden sind. Er erspart sich und damit allen Zusehern den entscheidenden Schritt, der wirklich ein Loslassen, ein "Hinausziehen ins Chaos" bedeuten würde, ins Unbekannte - wo man dann auch die falsche Grundmetaphysik, in der er sich eingenistet hat, loszulassen. Denn sein Evolutionismus, an den er glaubt, hat ja weitreichende Auswirkungen. Aber das schiebt er vor sich her.

Zumal er sieht, daß er für seine Erklärung und Diagnose der Welt und der heutigen Menschen - insbesonders seine Studenten, die jungen Menschen also - gar nichts neu erfinden müßte. Peterson sieht sehr wohl und scheinbar sogar immer klarer, daß auf der Symbolebene im Christentum, namentlich im Katholizismus (denn der Protestantismus kennt ja keine Symbolik), alles bereits erfaßt zu sein scheint. Daß die katholische Grundauffassung der Welt mit dem übereinstimmt, was er als Grundkonstellation im Menschen wiederfindet. Dieses "alte" Schema der Welt erklärt nämlich nicht nur die wesensmäßige Verfaßtheit aller Dinge, es läßt offenbar in Analogie auch den Menschen begreifen. Nimmt man diese Grundverfaßtheiten, wird die Seele (bzw. die Psyche) des Menschen plötzlich transparent.

Aber diese Erkenntnis schiebt er vor sich hin, wie sich aus anderen Interviews mit ihm erkennen läßt. Wo er zwar zugesteht, daß er der Meinung ist, daß der Mensch Religion und Kult braucht, aber eben - aus pragmatischen Gründen. Daß sich dahinter eine Weltverfaßtheit zeigt, die auf einen realen Gott ausgerichtet ist, dämmert ihm zwar, das ahnt er, wie er sagt, aber er ergreift nicht das, was am Ende der Tangenten, die man an das meiste seines Denkens anlegen kann, als Zentrum deutlich wird. Wo sich dann die bloße pragmatische Sichtweise in eine ontologische Gegebenheit überführt.

Und manchmal scheint ihm noch mehr zu dämmern. Wo er etwa in einem Interview sagt, daß er durchaus anerkennt, daß sich diese Symbolik der Psyche mit einer Realität trifft, die mehr ist als Symbol, sondern wo diese Gestalten in sich wahr, also keine psychogene Spiegelung mehr sind. Denn letztlich läuft ja Petersons Symbolik genau darauf hinaus: Sie ist eine psychogene Spiegelung von inneren Verhältnissen der Psyche. Insofern als Metapher wahr, aber nicht in einem absoluten Sinn. Damit schwankt er auch deutlich sichtbar, ob er nicht Religion doch als rein psychisches - pragmatisches - Geschehen betrachten soll. Wo die Symbole nur rationalisierte innere Gegebenheiten sind, die aber keinen absoluten Wert haben. So, wie C. G. Jung es ja auch machte. Und Erich Neumann. Namen, auf die sich Peterson immer ja wieder bezieht.

Damit spürt man bei seinen Aussagen manchmal durchaus eine innere Resonanz, ohne daß diese aber in etwas übergeführt würde. Außer in eine Art "praktische Lebensweisheit", die so ist weil sie so ist, warum auch immer. Es spricht für ihn (oder für Leute wie Camille Paglia, die ähnlich einzuschätzen ist wie Peterson), daß er diesem Drang nachgibt. Aber es wäre notwendig, dies weiterzudenken. Warum er das nicht tut? Der VdZ weiß es natürlich nicht, aber er hat den Verdacht, daß für Peterson die trojanischen Pferde, die er mitschleppt und von denen er nicht lassen will, deshalb mitschleppt, deshalb hätschelt und nicht läßt, weil man nicht übersehen darf, daß etwa der Evolutionismus (der nahtlos in Nihilismus übergeht, weil er ihn enthält) eine Funktion eben dieser "großen Mutter" hat. Er gibt kuschelige Geborgenheit. Wenn man ihm huldigt, darf man viel, auch viel kritisieren. Also bleibt man lieber im Mutterbauch. Aber dann, Mr. Peterson, wird jede "Kritik" nur zum vorsichtigen Herauslugen aus einem Bullauge des feinen Ozeandampfers, der abends zum Tanz lädt und mittags ein feines Buffet bietet, all inclusive. Dem abzusagen ist noch eine ganz andere Kategorie als das, was Sie, geehrter Peterson, derzeit an Shitstorm erleben. Dem ja, nicht vergessen, eine gewaltige Zahl von Zusprechenden gegenübersteht.

Was man anderseits durchaus als naturwissenschaftlichen Ansatz sehen könnte, dem aber eben das fehlt, was allen diesen Ansätzen heute fehlt: Das Begreifen, daß sie sich nicht aus sich selbst erklären können, sondern eine vorläufige Metaphysik nicht einfach nur haben, sondern genau deshalb exaktes Denken der eigenen Prämissen brauchen.

Wieviel er doch damit gewinnen könnte. Aber freilich, dann würde er in einer Situation stehen, in der sich Naturwissenschaft (Psychologie, die er quasi bis an ihre Grenzen treibt, wo sogar Symbol zu einem naturwissenschaftlichen weil bloß empirischen Faktum wird), erstmals wirklich mit Philosophie und vor allem Theologie überschneiden würde, die Grenzen verflössen. Dann würde sein Denken von einer Dimension erhellt und getragen werden, das nicht mehr in den Rahmen einer Vorlesung von Psychologie einschließbar ist, sondern mehr verlangte. Dann könnte er nicht mehr wie ein eleganter Tänzer von Stein zu Stein im Fluß der Wahrheit tanzen, ohne wirklich naß zu werden. Dann würde er naß werden.

Aber das erklärt auch, warum er vor allem bei "Rechten" so beliebt ist. Denn er wird nicht naß, WEIL er sich eines Menschenverstandes, eines nicht weiter rückverfolgten inneren Motivs der Empörung bedient, das ihn mit den "Rechten" eben verbindet. Und mit vielen Liberalen außerdem. Wo alle diese Empörung einen Wahrheitskern hat, weil die Gegenwart in ihrem Wahnsinn eben an die Grenzen der ontologischen Konstellationen der Welt und des Menschen stoßen. Und das schlägt durchaus ins Empfinden, ins Befinden durch. Dem man ja, wie Peterson durchaus richtig sagt, sehr offen begegnen soll, weil der Schritt "sehen zu wollen was ist" eben einer der Grundschritte einer gesunden Psyche ist.

Das zu sehen schmerzt manchmal sogar, und man möchte ihm zurufen: Bück Dich, mehr nach hier, mehr nach da, und Du hast es! Aber dazu müßte er auch einen Schritt tun, der größer ist, als er aussieht: Er müßte vom psychologistischen Erklären in eine wirkliche Denkanstrengung übersteigen. Die als sittlicher Akt viel Anstrengung und Mühe kostet, und die sich nicht in Sophistik (deren sich Peterson viel bedient) auflösen läßt.

Manchmal, wenn er von der Realität überwältigt wird, daß er "als" Peterson vor "seinen" Studenten steht, also in einer (durchaus autoritativen) Position einer Beziehung steht, wenn er sich also als "Vater" begreift (und das muß ein Lehrer auf die eine oder andere Weise), blitzt das durchaus auf. Denn seine Forderungen an diese "seine Kinder" gehen weiter, als er selbst zu gehen bereit ist. 





*220618*