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Donnerstag, 19. Juli 2018

Über das Schreiben und die Kunst - Interview (4)

Teil 4)


Aber Sie erfinden ja auch ihre Figuren?
Nur in einem gewissen Sinn - so kommen sie natürlich nicht vor, wie sie da beschrieben werden. Aber sie alle tragen von irgendwoher aus Beobachtungen gestohlene Eigenschaften, die ich an ihnen darstelle. Und zwar weil diese Figuren in mir zu leben anfangen, ich gar nicht mehr unterscheiden kann, ob sie real oder nicht sind. Ich rede, lebe, streite mit ihnen oder verliebe mich gar in sie. Im Schreiben stellen sie sich dar, woraus ersichtlich wird, was sie tun, nicht was ich dabei will. Ich gehe Wahrgenommenem also gewissermaßen nach, warum ist nicht bedeutend.

Kann man ihrem letzten Roman "Helena oder: Das Gute ist was bleibt" entnehmen, daß Sie für eine psychologische Literatur plädieren?
Aber überhaupt nicht, im Gegenteil. Die heute als solche verstandene Psychologie ist ja nur ein Erklärungsmodell, das aber einfach hinten und vorne zu kurz ist und von einer Weltanschauung ausgeht, die der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht wird. Doderer nennt sie einmal eine "Erkrankung des Geistes," das kommt auch meiner Ansicht recht nahe: Heil wird man nur in einer Offenheit dem Begegnenden gegenüber, frei nur durch Wahrheit. Wenn heute ein Roman etc. als psychologisch erscheinen muß förmlich dann deshalb, weil das Handeln der Menschen sich verändert hat: Alles hat sich nach Innen verlegt, wir leben im wahrsten Sinne virtuell, pseudologisch, wie es Doderer nannte. Somit kann man das Heute nur darstellen, wenn man diese Gedankenebenen sieht und berücksichtigt. Handlung wird durch diese Verwirrtheit permanent verhindert, verkommt zum "Tun". 

Wir haben es heute mit starren, fast toten Menschen und Vorgängen zu tun, die innerlich abgefangen werden. Impotenz also zum Quadrat. Wir denken nicht mehr, sondern "werden gedacht." Das liegt einmal am fehlenden Vermögen, Ziele zu gewichten und auch überaktuell zu verfolgen, ein andermal an der immer größer werdenden Furcht vor der Wirklichkeit und Wahrheit Die Menschen erstarren in der Furcht etwas falsch zu machen und im Mißtrauen, die Wirklichkeit könnte sie übervorteilen. Dann handeln sie nach scheinbaren Sicherheitsregeln, um nur ja das gewünschte Resultat zu erzielen. Es kommt nicht darauf an viel zu tun, sondern das Richtige. Diese Kunst aber, die eine Frage des Gewissens ist, haben wir verlernt, dazu sind wir zu viel sinnlos informiert und doch nicht gebildet, und sie ist nur in tugendhafter Unschuld auszuüben, das ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wir können fast nur noch resignieren im Faktischen und Solitären.

Sie sind also Kulturpessimist?
Keinesfalls, sondern Realist - und da kann man gar nicht anders als einen völligen Niedergang vorherzusagen, dazu braucht man keine besondere Intelligenz und Bildung.

Warum schreiben sie doch noch? Wollen Sie die Welt noch retten?
Erstens ist man als Romanschreiber sowieso ein armer Hund: Es dauert Jahre, bis man was fertig hat, und in denen man sich täglich neu durchringen muß. Das ist in Zeiten, wo sich in einem das Werk das man dann gebiert in den Figuren erst formt besonders hart. Diese Figuren aber lassen einen nicht mehr ruhen, die wollen auf die Welt kommen. Zweitens aber weil ich mich eben zum Schriftstellersein durchgerungen habe, was sollte ich also sonst tun? Möbel verkaufen? Drittens - und das ist tagtäglich am schwersten zu leben - kommt es nicht darauf an, wie der Erfolg ist oder was herauskommt, sondern auf das beständige Anstreben des Guten und Richtigen, danach werde ich einmal vor dem Richter bemessen. Ich habe nicht die Gnade einer Bewahrtheit, wie sie bei manchen lokalen oder älteren Künstlern durchaus noch anzutreffen ist. Ich bin mit den Menschen verblutet, und genauso neurotisch wie alle. Deshalb besteht meine Arbeit auch zum überwiegenden Teil in einem distanzierenden Freikämpfen von Lüge und Selbstbetrug, in einem immer weitergehenderen Wahrwerden, und das ist schon verdammt schwer, denn man wird ja zu jeder Stunde regelrecht überschwemmt mit Idiotie. Das ist aber die eigentliche Berufung des Künstlers, ob er es heute noch zum Meisterwerk bringen kann oder nicht, und ob das verstanden wird oder nicht.




*130618*