Teil 4)
Und das führt zu den Kulturkampfaspekten des Zweiten Vatikanums. Die in Nostra Aetate seinen unrühmlichen Höhepunkt fanden. Denn mit einem Mal wurden die Juden von ihrer Verantwortung für den Tod Jesu Christi losgesprochen. Der als ontologische Tatsache, die als allem Judentum zugrundeliegende seinshafte Beziehung verstanden werden muß, also mit Rasse etc. nicht das geringste zu tun hat. Aber nur aus dieser seinshaften Beziehung bzw. Beziehung zum Sein (und der in ihm liegende, aus ihm stammenden Ordnung) läßt sich das Wesen des Judentums begreifen. Und seine Grundausrichtung als ... Rebellen gegen jede Form christlicher bzw. (um an oben anzuknüpfen) "aus der Liturgie gespeister" Ordnung.
Darin
zeigt sich aber noch etwas: Es zeigt sich, daß der Individualismus der
Aufklärung, der dieser Erklärung zugrunde liegt (es gibt damit keine
"Kollektivschuld" oder ähnliches als Form kollektiver Prägung einer
Geisteshaltung oder Religion) demselben Nominalismus entstammt, der im Zweiten Vatikanum Einzug in die Kirche hielt. Der Individualismus aber
übersieht, daß der Mensch zutiefst in eine Gemeinschaft eingebunden ist,
ja ohne Gemeinschaft würde er nicht einen Tag überleben, hätte keine
Sprache. Der Einzelne verdankt sich also in höchstem Maß auch der
Gemeinschaft, in die hinein er geboren wurde, und ihre Grundprägungen
prägen auch ihn. (Um das zu sehen muß man überhaupt nicht in genetische
Faktoren absteigen.) Jeder Einzelne wird VOR jeder Individualisierung
also von einer "corporate identity", einer gemeinschaftlichen Identität
geprägt, der er aufs Erste alles verdankt.
Das
baut sich in Stufen auf, die sich auch historisch ausprägen. Die erste
ist die Familie (die als erweiterte Familie zu verstehen ist, also
Generationen und Nebenzweige umfaßt), die in den Stamm ausgreift.
Deshalb muß auch Jesus Christus als Teil seines Stammes gesehen werden.
Und genau dieser Stamm wandte sich gegen ihn und verurteilte ihn zu
Tode. Deshalb muß - und die Kirche hat das immer getan! - der Tod des
Gottmenschen Jesus direkt auf die (konkreten) Juden bezogen werden. Die
in einem (weiter vererbten) Schuldverhältnis dem göttlichen Erlöser
gegenüber standen und bis heute stehen. Das führte zu den Vorbehalten,
die die Kirche gegenüber Juden hatte. Die in "Sicut Iudaeus non"
allerdings jede direkte Verfolgung von Juden verbot. Dennoch herrschte
Mißtrauen, und Juden waren so lange geduldet, auch in ihrer
Religionsausübung, solange sie sich nicht gegenüber der christlichen
Mehrheitsgesellschaft subversiv verhielten. Juden durften nicht
verfolgt werden, aber umgekehrt durften Juden die moralischen Prinzipien
der Gesellschaft nicht antasten.
Damit
brach das Zweite Vatikanum. Was damit aber passierte war, daß der jüdische
Einfluß auf die Kirche quasi legitimiert wurde. Damit wurde auch die
Kooperation zwischen der katholischen Hierarchie und dem organisierten
Judentum legitimiert. Und damit öffnete man sich dem organisierten (und
sehr mächtigen) jüdischen Einfluß. Noch dazu, wo sich die Juden weltweit als
Teil einer großen Familie sehen. Aber die Haltung von Juden gegenüber
dem Christentum hat sich nicht durch diese einseitige Proklamation der
Katholiken geändert. Das zeigt sich im Talmud, der die interpretative
Schrift zur Torah ist, dem eigentlichen mosaischen Textkorpus und
spätestens seit dem frühen 2. Jahrhundert maßgeblich (und identitätsstiftend)
für das Judentum war.
Man
muß deshalb als eine der Folgen sehen, daß genau damit die Tore dafür
geöffnet wurden, daß christliche Gesellschaften atomisiert wurden.
Dieser Effekt ist bei protestantisch geprägten Gesellschaften noch stärker, denn einerseits spielt dort das Alte Testament eine größere (und buchstäblichere) Rolle, und anderseits führt sich ihre
Bibelübersetzung (Luther!) auf jüdische Rabbis zurück, ist also von
deren Glaubensgewebe geprägt.
Morgen Teil 5)
*130618*