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Samstag, 14. Juli 2018

Ein Ereignis des Nominalismus (4)

Teil 4)



Und das führt zu den Kulturkampfaspekten des Zweiten Vatikanums. Die in Nostra Aetate seinen unrühmlichen Höhepunkt fanden. Denn mit einem Mal wurden die Juden von ihrer Verantwortung für den Tod Jesu Christi losgesprochen. Der als ontologische Tatsache, die als allem Judentum zugrundeliegende seinshafte Beziehung verstanden werden muß, also mit Rasse etc. nicht das geringste zu tun hat. Aber nur aus dieser seinshaften Beziehung bzw. Beziehung zum Sein (und der in ihm liegende, aus ihm stammenden Ordnung) läßt sich das Wesen des Judentums begreifen. Und seine Grundausrichtung als ... Rebellen gegen jede Form christlicher bzw. (um an oben anzuknüpfen) "aus der Liturgie gespeister" Ordnung. 

Darin zeigt sich aber noch etwas: Es zeigt sich, daß der Individualismus der Aufklärung, der dieser Erklärung zugrunde liegt (es gibt damit keine "Kollektivschuld" oder ähnliches als Form kollektiver Prägung einer Geisteshaltung oder Religion) demselben Nominalismus entstammt, der im Zweiten Vatikanum Einzug in die Kirche hielt. Der Individualismus aber übersieht, daß der Mensch zutiefst in eine Gemeinschaft eingebunden ist, ja ohne Gemeinschaft würde er nicht einen Tag überleben, hätte keine Sprache. Der Einzelne verdankt sich also in höchstem Maß auch der Gemeinschaft, in die hinein er geboren wurde, und ihre Grundprägungen prägen auch ihn. (Um das zu sehen muß man überhaupt nicht in genetische Faktoren absteigen.) Jeder Einzelne wird VOR jeder Individualisierung also von einer "corporate identity", einer gemeinschaftlichen Identität geprägt, der er aufs Erste alles verdankt. 

Das baut sich in Stufen auf, die sich auch historisch ausprägen. Die erste ist die Familie (die als erweiterte Familie zu verstehen ist, also Generationen und Nebenzweige umfaßt), die in den Stamm ausgreift. Deshalb muß auch Jesus Christus als Teil seines Stammes gesehen werden.  Und genau dieser Stamm wandte sich gegen ihn und verurteilte ihn zu Tode. Deshalb muß - und die Kirche hat das immer getan! - der Tod des Gottmenschen Jesus direkt auf die (konkreten) Juden bezogen werden. Die in einem (weiter vererbten) Schuldverhältnis dem göttlichen Erlöser gegenüber standen und bis heute stehen. Das führte zu den Vorbehalten, die die Kirche gegenüber Juden hatte. Die in "Sicut Iudaeus non" allerdings jede direkte Verfolgung von Juden verbot. Dennoch herrschte Mißtrauen, und Juden waren so lange geduldet, auch in ihrer Religionsausübung, solange sie sich nicht gegenüber der christlichen Mehrheitsgesellschaft subversiv verhielten.  Juden durften nicht verfolgt werden, aber umgekehrt durften Juden die moralischen Prinzipien der Gesellschaft nicht antasten. 

Damit brach das Zweite Vatikanum. Was damit aber passierte war, daß der jüdische Einfluß auf die Kirche quasi legitimiert wurde. Damit wurde auch die Kooperation zwischen der katholischen Hierarchie und dem organisierten Judentum legitimiert. Und damit öffnete man sich dem organisierten (und sehr mächtigen) jüdischen Einfluß. Noch dazu, wo sich die Juden weltweit als Teil einer großen Familie sehen. Aber die Haltung von Juden gegenüber dem Christentum hat sich nicht durch diese einseitige Proklamation der Katholiken geändert. Das zeigt sich im Talmud, der die interpretative Schrift zur Torah ist, dem eigentlichen mosaischen Textkorpus und spätestens seit dem frühen 2. Jahrhundert maßgeblich (und identitätsstiftend) für das Judentum war.

Man muß deshalb als eine der Folgen sehen, daß genau damit die Tore dafür geöffnet wurden, daß christliche Gesellschaften atomisiert wurden. Dieser Effekt ist bei protestantisch geprägten Gesellschaften noch stärker, denn einerseits spielt dort das Alte Testament eine größere (und buchstäblichere) Rolle, und anderseits führt sich ihre Bibelübersetzung (Luther!) auf jüdische Rabbis zurück, ist also von deren Glaubensgewebe geprägt.


Morgen Teil 5)




*130618*