Teil 3)
Damit aber stehen diese
Gesellschaftskonzepte im Widerspruch mit genau dem, was zu schützen
sie vorgeben: Mit dem Absolutheitsanspruch der Religion. Der nicht
substituierbar ist, weil sich sonst das Wesen des Religiösen - das
Schöpfen von Legitimität aus dem Absoluten - auflösen würde.
Genau so wenig kann jemand, der an ein bestimmtes Absolutes glaubt
bzw. daran festhalten will, weil sich sonst seine gesamte Handlungs-
und Verhaltensgrundlage ebenfalls auflösen würde, dieses Absolute
relativieren und sagen: Gut, der andere hat ein anderes Absolutes,
wir wollen ihm mit unserem Glauben nicht ins Gehege kommen, und er
sollte das auch nicht.
Solcher Relativismus führt automatisch
und unweigerlich zur Auflösung des Konzepts vom Staat. Diese ist nur
noch als Zwangsveranstaltung denkbar. Denn die innere Kohäsion löst
sich auf. Der Staat selbst wird lediglich zu einer technischen
Versorgungsanstalt (und das ist er für den Liberalismus ja in der
Tat), der im Namen irgendwelcher Pragmatik (die eine Reduktion
sämtlicher religiöser Ansprüche auf eine gewisse
Verhaltensregelung ist) bestehen sollte. Er ist deshalb auch
jederzeit auflösbar, umgestaltbar, wird aus seinem Zusammenhang mit
den konkreten Menschen, dem Staatsvolk also, herausgelöst. Ihm fehlt
damit das, was ihn aber einzig zu tragen vermag, und zwar von innen
her zu tragen vermag: Die Organizität mit dem Leben selbst.
Weil das aber nicht der Natur des
Menschen entspricht, zerfällt so ein Staat unweigerlich in eine
Reihe von Parallelgesellschaften, die sich alle nur noch dann und
wann "auf der Straße" begegnen. Deren gemeinsamer Nenner
aber laufend schrumpft. Das Gemeinsame eines Staatsvolkes also löst
sich auf. Dort, auf der Straße nämlich, haben sie von dem
abzusehen, was ihr Leben trägt und hält und beseelt: Von der
Religion. Ein wirklich religiöser Mensch aber kann das gar nicht! Er
käme in unlösbare Widersprüche mit (seinem) dem Absoluten!
Deshalb löst das Konzept der
Religionsfreiheit einerseits den Staat auf, und anderseits die
Religion. Denn ein Staat ist nur als Gemeinschaftskonzept, als
Organizitätsform eines lebendigen Volkskörpers denkbar. Wir erleben
ja auch genau das: Wie der Staat die religiöse Betätigung seiner
Glieder mehr und mehr einschränkt, ja unmöglich macht. Längst ist
religiöse Äußerung fragmentiert, längst ist es nicht gestattet,
sein Leben nach seinen religiösen Überzeugungen zu gestalten,
sobald sie mit diesem Konzept der A-Religiosität des öffentlichen
Raumes (und der beginnt bei jeder zwischenmenschlichen Begegnung) in
Konflikt geraten. Der Staat zwingt zu bestimmten Verhaltensweisen,
man denke an die Nicht- oder gar Anti-Diskriminierungsgesetze, man
denke an Sichtweisen der Gender- und LBGT-Fragen. Und noch weiter: Der
Staat mit seinen Institutionen (Schulen, Ämter, Behörden etc. etc.)
zwingt seine Bürger, ihre Religiosität aufzugeben, ja gegen diese
zu handeln und sich zu verhalten. Er kann auch gar nicht anders, weil
sich sonst immer stärkere direkte Konflikte ergeben würden.
Wir wollen die gesamten Konsequenzen
gar nicht weiter ausmalen, der Leser ist bestimmt selbst dazu in der
Lage, diesen Ansatz weiterzudenken. Der sagt: Das Konzept der
Religionsfreiheit, das unsere Staaten (und leider auch die Kirche,
die es bis 1965, bis zu "Dignitatis Humanae" des Zweiten
Vatikanum besser wußte) bestimmt, führt zur Zerstörung genau
dieser Religionsausübung, die zu schützen sie vorgibt.
Und damit schließt sich der Kreis der
hier vorgetragenen Argumentation, die natürlich nur im Überflug
vorgehen konnte. Denn damit zwingt der Staat in unseren Kulturkreisen
die Bürger zu ... Ersatzkonstrukten, wie wir sie ganz am Anfang
dieses Textes darzustellen versucht haben. Er drängt die
Religiosität auf eine Zweitebene, auf die Ebene der
Zweitwirklichkeiten. Die Folge ist zweifellos die Fanatisierung
seiner Bürger, denn nun geht es erst recht um die Vorherrschaft
eines Absoluten. Und damit steht er in der Situation, daß er, um das
Buschfeuer zu löschen, einen Flächen- und Landschaftsbrand auslöste.
Morgen Teil 4)
*100618*