Womit wir es heute zu tun haben wird
begreiflicher, wenn wir einmal genauer hinsehen, welche Strukturen
privates wie politisch-öffentliches Handeln hat. Wenn wir sehen, daß
es kein Handeln und kein Weltsehen als Grundlage des Urteilens gibt,
das nicht eine Rückbindung in ein unausweichliches Motivkonstrukt
braucht. Es ist also völlig deckungsgleich zum Wesen einer Religion.
Was uns zur Aussage führt, daß das Wesen des Menschen religiös
ist, und zwar immer, egal ob er es glauben will oder nicht. Das ist
auch und sogar gerade dort der Fall, wo als Grundlage des
Entscheidens eine gewissermaßen neutrale Vernunft (als Verstand, als
Ratio) genannt wird. Gerade die größten Mathematiker (wieder einmal
zitieren wir Goedel oder Poincaré) haben nachgewiesen, daß sich
diese Form von Verstand ebenfalls nicht aus sich selbst begründen
kann. Sie braucht Vorannahmen, braucht Prämissen, die selbst NICHT
aus dem streng Rationalen des Verstandes kommen. Es braucht also frei
gesetzte Entscheidungen.
Und diese Vorentscheidungen sind in
einer Vorstellung von Gut oder Böse verankert. Mit der
selbstverständlichen Überleitung zu einem Konzept, daß Gut im
Sinne von "Welterhaltung", Böse im Sinne von
"Weltzerstörung" verstanden wird. Damit sind wir an dem
Punkt angelangt zu sehen, daß die Vorstellung von Gott alles
menschliche Handeln prägt. Und zwar alleine prägt, in all dem
kulturellen Überbau, der dann folgt. Eine Gesellschaft, die also
nicht religiös fundiert ist, gibt es überhaupt nicht. Jede Kultur -
und alles, was der Mensch ist und tut ist eine Form von Kultur, und
ist dort Un-Kultur oder gar Anti-Kultur, wo sie vom Gottesbild her in
Widersprüche gerät, wo sich Gut und Böse vermengen - ist auf die
eine oder andere Weise eine Nachbildung des Gottesbildes. Noch
einmal: Ohne Religion ist das Menschsein grundsätzlich undenkbar.
Dazu muß man kein Fanatiker sein, sondern das ist eine
Schlußfolgerung der Vernunft. (Die wir hier natürlich sehr gerafft
vorgetragen haben.)
Wenn wir aber nun davon ausgehen, daß
es gar kein menschliches Handeln gibt, das nicht aus der Religion her
geformt ist, so müssen wir es auch umgekehrt sehen: Jedes
menschliche Handeln ist relevant in Hinsicht auf die Religion. Es
berührt IMMER menschliche Grundhaltungen, und es berührt IMMER
religiöse Einstellungen. Noch mehr: Ohne religiöse Einstellungen
fehlt allem menschlichen Handeln seine eigentliche Dringlichkeit,
seine Legitimation. Und damit erlahmt menschliche Handlungskraft immer
dort, wo Religion aus dem Leben verdrängt werden soll. Die
kommunistischen Staaten sind ein viel zitiertes und beileibe nicht
einzigartiges, aber brauchbares Beispiel für die Realitätsrelevanz
dieser Aussage.
Sind wir einmal so weit in unserem
Erkennen, dann wird auch deutlich, daß es ein Staatskonzept, das die
Bedeutung von Religion ausklammern will, zwar auf dem Papier, aber
nicht in der Praxis geben kann. Wenn dennoch versucht wird, es
einzuführen - und das wird bei uns, ja in allen westlichen
"Demokratien" versucht - löst sich die Legitimität des
Staates und aller sozialen Gebilde auf. Sie zerfallen also. Und
können nur noch mit zunehmenden Zwangsmaßnahmen notdürftig
aufrechterhalten werden.
Aber damit stoßen sie die Menschen in
einen unhaltbaren weil menschennatur-widrigen Zustand. Der Mensch
soll auf eine Weise leben, in der er sein ureigenstes Verlangen (das
nach Legitimität) ausklammern soll. Das kann er natürlich nicht.
Also passiert etwas ganz anderes. Etwas das immer dort passiert, wo
institutionalisiertes, habituelles Verhalten oder Gebot (Gesetz) mit
der innersten Menschennatur nicht übereinstimmt. Die Menschen
beginnen, rationalisierte Ersatztheater aufzubauen. Das zutiefst
Innere meldet einen Bedarf, um es ganz simpel im Bild greifbarer zu
machen, der aus den und den Beziehungen und ungelösten Spannungen
besteht. Das Bewußtsein greift das auf, und versucht, in der
Eingebundenheit in eine Kultur (als Gemeinschaftssystem) eine Form zu
finden, die in Berücksichtigung individueller Stärken und Schwächen
(etc. etc.) durchsetzbar ist.
Morgen Teil 2)
*100618*