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Donnerstag, 19. Dezember 2019

Hoffentlich hat sie doch bereut

Heute vor 104 Jahren wurde Edith Piaf in Paris geboren. Wir bringen wieder einmal ihr "No, je ne regrette rien", ihr verzweifelst auf der Bühne bis zuletzt durchgehaltenes "Nein, ich bereue nichts", das uns in seiner so glaubwürdigen Verzweiflung immer wieder neu berühren darf. Gebe Gott, daß sie diesen furchtbaren Irrtum noch rechtzeitig erkannte. Der für so viele "vorbildlich" wurde, maßgeblich durch eine verdrehte Vorstellung von Wahrheit und Öffentlichkeit und Ansehen. Lange schon schwer krank, starb sie am 10. Oktober 1963, unter Umständen, die vermuten lassen, daß ihre engste Umgebung in dieser Komödie des Schreckens mitspielte, und ihr alles Wesentliche für einen letzten, guten Sterbemoment vorenthielt.

Man ließ sie nicht zurück. Ließ dem verzweifelten Trotz, den sie an den Tag legte und der durchaus Respekt abverlangt, der sogar eine gewisse Größe darstellt, keine Auflösung. Auch nicht, als ihr der Schöpfer das Szepter der Musikwelt in ihrem Krankheitsleiden langsam aus der Hand nahm.

Gott, der ihr verzeihen möge, daß sie von Bühne, Öffentlichkeit und Medien in eine Haltung der Unversöhnlichkeit getrieben und eingefestigt wurde. Die sie zur Ikone der menschlichen, gottlosen Autonomie machte, die sie - Frau; Frau nimmt immer den zugewiesenen Platz an, ja wartet darauf - annahm und tapfer durchhielt. Und reich mit Scheingaben, mit Geld und Ruhm überhäufte, um in ihr die eigene Verworfenheit und verfehlte Sicht der Welt von sich weg zu zelebrieren und scheinbar wahr zu machen. Die sie somit so schwer mißbraucht hat.

Schauen Sie, werter Leser, ihre Augen an.





"Die Piaf", die rasch nach oben stieg und enormen Einfluß auf Frankreichs Musikszene hatte, riß fast die halbe Nation mit sich. Indem sie die richtige, notwendige, berechtige Melancholie als Grundstimmung der Poesie mit sich in die Stimmung der existentiellen Verzweiflung angesichts der faktischen (kapitalistischen) Zustände riß. Das Chanson wurde nicht einfach "gesellschaftskritisch", wie es seiner Art zukam, sondern links. Weil die Piaf ihre Sittlichkeit am Altar der Gefälligkeit opferte, der sie sich anschmiedete, fand sie nie zum Geist, nur zur Intellektualität, die aber aus sich kein Ziel kennt und leer weil ein sophistisches Vernebelungsgefecht der Schuld bleibt.

Sänger wie Charles Trenet (wieder einmal, unten, diesmal mit "Douce France", an dem man sich nicht satthören kann) oder Fernandel (Sie lesen richtig, werter Leser, Fernandel war vor seinem zufälligen Welterfolg mit "Don Camillo" weniger ein Schauspieler, als ein Sänger entzückender Chansons) wurden fast zur Nebenerscheinung. (Manchen sonstigen, oft in unseren Ländern äußerst populären Chansonniers spricht der VdZ glatt jene Existentialität ab, die der Kunst innewohnen muß. Die eine Haltung, nicht einfach inhaltlich ausdefinierbar ist.)

Frankreich war von diesem Existentialismus als Reigen von Sartre, Camus (mit Vorbehalten, er überwand den Existentialismus letztlich, das zeigt sein "Mythos von Sisyphos", der existentiell, aber nicht mehr existentialistisch ist), mit eben Piaf und deren Schützlingen wie Montand oder Aznavour tief geprägt. Und noch heute ist jene nihilistische Seite gerne als die entscheidende Seite von Paris gesucht und besucht. In der Paris in das ultimative Licht eines Sündenpfuhls gehüllt wird (siehe die Paris-Deutung von Henry Miller), und diese Verlorenheit zum scheinbaren Halt in einer Scheinwelt hochzieht. Aber es ist ein Kampf, den das Licht nicht aufgeben darf! Den freilich bourgeoise Konventionalität niemals führen kann, ja gar nicht erkennt.

Der Linken ist es leider weithin gelungen, das Leiden der Künstler an der Welt in ihre ideologischen Bahnen zu drücken. Auch wenn es, wie bei der Piaf, das Leben kostet. Deren Schmerz - sie war katholisch aufgewachsen und als Kind tief gläubig - das Leiden war, von der Kirche getrennt zu sein. Der Gegenentwurf, den sie als Erwachsene trotzig und durch ein chaotisches Leben zu belegen versuchte, ist nicht geglückt.