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Dienstag, 17. Dezember 2019

Vater sein dagegen sehr (5)

An neun Tagen im Advent, jeweils Dienstag und Donnerstag, findet der Leser eine Kolumne des VdZ für eine Boulevardzeitung, die als Serie im Jahre 1995 geschrieben worden war. Er tut dies auf Bitten von Lesern, die diese Texte ausgegraben haben. Damals lebte der VdZ zwar in ziemlich anderen Umständen als heute, aber die angesprochenen Themen sind abstrakt gesehen ungebrochen aktuell.

VATER SEIN DAGEGEN SEHR ...

Die regelmäßige Kolumne eines ab und an schon mal genervten Familienoberhaupts

V

Daß das meine Frau nicht begreifen will: Es ist einfach grundfalsch, daß sie sich ständig den Kindern anpaßt und immer auf der Lauer ist, irgendwelche Bedürfnisse zu erfüllen. Der ganze Haushalt wird in seinem Ablauf den Kindern angepaßt. Da gibt es keine fixen Essenszeiten, sondern nur ungefähre. Geputzt wird nach Schmutzanfall, und nicht in bestimmten Abständen. Alles wird den Kindern angepaßt. Dabei kommt es mir oft vor, daß ich der letzte bin, dem sie etwas anpaßt, ja immer mehr scheint es, als müßte ich mich den Kindern notgedrungen ebenfalls anpassen. Manchmal entsteht in mir sogar ein Gefühl, als wäre ich überhaupt zu einem unwichtigen Bestandteil unserer Familie geworden, der Alltag läuft völlig an mir vorbei, mein Arbeitsrhythmus verstärkt das ungute Empfinden, überhaupt nur Gast zu sein, als fehlte mir der zugewiesene Platz. Verdammt und zugenäht, da stimmt doch was nicht?

Vielleicht denken Sie jetzt, daß ich verrückt bin. Das ist doch richtig, daß nur geputzt wird, wenn etwas schmutzig ist, ob es jetzt eine oder vier Wochen sind. Und so weiter. Siehst Du, würde ich da meiner Frau sagen, das zeigt, wie weit wir bereits degeneriert sind. Wir sind zu einer Zivilisation verkommen, die kein Ziel mehr hat, die ihre Funktionen ausschließlich an momentanen Befindlichkeiten orientiert, nur noch aktuell empfundene Bedürfnisse befriedigt. Dahinter steht ein völlig anderes Bild vom Menschen und seiner Eingebundenheit in eine Ordnung. Denn die aktuellen Theorien gehen sämtlich davon aus, daß der Mensch kein allgemein definierbares Wesen hat, das soviel wie die Basis ist, auf der er steht und von der aus er handelt, und seine Person ist dann die jeweils individuelle Ausprägung dieses Menschseins. Deshalb leiten sich auch keine Forderungen mehr ab, die mit der Vernunft zu erkennen sind, und die sich nicht vordergründig in Befindlichkeit ausdrücken. Deren Ignoranz aber mit sich brächte, daß der Mensch je mehr er über sich zu wissen meint immer unglücklicher werden muß. Vielmehr wird der Mensch als unbeschriebene Tafel gesehen, getrieben von seinen Bedürfnissen, die auch sein Denken bestimmen, das wiederum nur eine Funktion des Gehirns ist. Sein Wesen wandelbar, bestenfalls geprägt von der Umwelt und der Erziehung. Oder, umgekehrt, daß alle Ordnung aus ihm selber kommt.

Ich frage mich halt nur, wie es dann möglich ist, daß die immer weitergehende Freistellung des Verhaltens keinesfalls glückliche Menschen hervorgebracht hat; wie die Jugend tatsächlich immer mehr nach Orientierung verlangt, die ihr niemand mehr geben will (so daß sie in zufälligen Erscheinungen wie Popstars o.ä. gefunden werden), nach einem festen Rahmen, den der Mensch braucht. Man kann nur von einem Fundament aus abspringen, nur vom Standpunkt weg sich erheben. Wenn also alle gesellschaftlichen Ordnungen so relativ sind, warum fehlt doch den Menschen so viel? Warum fehlen ihm immer wieder die gleichen Dinge?

Es ist keine Schwäche, sich eine festgefügte Ordnung zu wünschen, es ist eine menschliche Grundgegebenheit. Der Mensch ist von Natur aus darauf ausgerichtet, sich auf eine solche vorgegebene Ordnung auszurichten, sie war vor ihm da, das liest man aus jeder einzelnen Lebensgeschichte, da braucht man gar nicht die Schöpfungsgeschichte bemühen. Sie gibt ihm tatsächlich Sinn, seinen Lebenssinn, sie sagt ihm, wo sein Platz ist, an den er hinein geboren wurde. Einem Menschen diese Ordnung vorzuenthalten, bedeutet, ihm seinen Lebenssinn vorzuenthalten; ist eine ständige Aussage, daß er eigentlich keine Aufgabe mitbekommen hat. Und so auch in der Familie: Eine Ordnung dadurch zu errichten zu vermeinen, daß man diese Ordnung grundsätzlich aus der Anpassung an die einzelnen momentanen Bedürfnisse zu ermitteln versucht, bedeutet, daß man den Menschen dazu erzieht, die Funktion eines Schlüssels zu suchen unter der Bestreitung, daß es ein Schloß überhaupt gibt. Eine festgefügte und vorgegebene Ordnung in der Familie erzieht alle Mitglieder dazu, das Schloß zu suchen, in das der Schlüssel paßt. Deshalb werde ich da noch lange mit meiner besseren Hälfte streiten, den ich habe halt einfach recht. Übrigens: Die Ordnung zu erkennen und ihre Einhaltung vorzugeben, das ist Aufgabe von uns Männern!

4. Oktober 1995