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Dienstag, 24. Dezember 2019

Vater sein dagegen sehr (7)

An neun Tagen im Advent, jeweils Dienstag und Donnerstag, findet der Leser eine Kolumne des VdZ für eine Boulevardzeitung, die als Serie im Jahre 1995 geschrieben worden war. Er tut dies auf Bitten von Lesern, die diese Texte ausgegraben haben. Damals lebte der VdZ zwar in ziemlich anderen Umständen als heute, aber die angesprochenen Themen sind abstrakt gesehen ungebrochen aktuell.

VATER SEIN DAGEGEN SEHR ...

Die regelmäßige Kolumne eines ab und an schon mal genervten Familienoberhaupts

VII

"Schau mal, Papa, was wir da lernen müssen!" Mit diesen Worten zeigt mir meine Tochter ihr Geographieheft. Und da finde ich gleich auf der ersten Seite die "Weltentstehungstheorie nach Weizsäcker", der zufolge die Erde und die Planeten aus Massekonzentrationen aus dem ursprünglichen Urnebel hervorgegangen sind. Ganz von selber. Dann hat sich irgendwie die Aminosäure gebildet, daraus dann die ersten Einzeller, dann die Mehrzeller und so fort bis zum Menschen. Ich gebe zu, ich war für den ersten Augenblick überfordert. "Ja, ein Wahnsinn." Habe ich gesagt. Und dann - ich habe die zunehmende Verunsicherung meiner Tochter gespürt - schoß ich noch nach: "Das sind irgendwelche Theorien, die keineswegs beweisbar sind, die praktisch Gegenmodelle zur Schöpfung sind (manche versuchen auch, das zu kombinieren, aber mit wenig wirklichem Erfolg), irgendwelche Theorien und Annahmen. Es ist verflixt, daß in der Schule das als Wissensstoff vermittelt wird." "Ja, aber was soll ich tun, lernen muß ich es doch, sonst bekomme ich ja eine schlechte Note!"

Nun habe ich den weiteren Bildungsweg meiner Tochter - sie besucht jetzt die vierte Hauptschule - tatsächlich davon abhängig gemacht, ob sie in diesem Jahr alle Unregelmäßigkeiten, die in der bisherigen Schullaufbahn aufgetaucht sind, ablegt und konstant beste Leistungen erbringt. Es ist ja auch dem Staat nicht zumutbar, Schulen zu belegen unter dem Motto: "Hülft's net, so schadt's net" Was also nun tun?

Ich habe mir sofort eine mehrbändige Enzyklopädie über das Weltall zugelegt, in der Hoffnung, dann selbst beurteilen zu können, mit welchen Argumenten solche Theorien in Zukunft so zu entkräften oder relativieren sind, daß es den Kindern wirklich plausibel erscheint. Denn noch immer nicht habe ich den Zweifel meiner Tochter ganz beseitigen können, und ich selbst bin gehörig ins Wanken gekommen, denn ich habe mich mit dieser Frage einfach noch nicht befaßt. Man kann ja nicht alles wissen.

Ärgerlich finde ich es allerdings, daß in den Schulen mit so vielen Theorien gearbeitet wird. Die Kinder können nicht unterscheiden, was ist gesichertes Wissen, und was sind Erklärungsmodelle. Tatsache aber ist, daß solche Erklärungsmodelle stets mit scheinbaren Beweisen arbeiten, mit Experimenten, wo aus kleinen Maßstäben die großen Modelle erklärt werden. Anstatt es umgekehrt zu machen, denn die kleinen Dinge sind erst durch die Kenntnis des großen Rahmens, durch einen Standpunkt, überhaupt einordnenbar und damit erklärbar!

4. Oktober 1995