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Dienstag, 10. Dezember 2019

Vater sein dagegen sehr (3)

An neun Tagen im Advent, jeweils Dienstag und Donnerstag, findet der Leser eine Kolumne des VdZ für eine Boulevardzeitung, die als Serie im Jahre 1995 geschrieben worden war. Er tut dies auf Bitten von Lesern, die diese Texte ausgegraben haben. Damals lebte der VdZ zwar in ziemlich anderen Umständen als heute, aber die angesprochenen Themen sind abstrakt gesehen ungebrochen aktuell.

VATER SEIN DAGEGEN SEHR ...

Die regelmäßige Kolumne eines ab und an schon mal genervten Familienoberhaupts

III

Als unser erstes Kind zur Schule kam, haben wir sehr sorgfältig die Schulen verglichen, denn wir in …Österreich haben ja wirklich viele Möglichkeiten, die Schule auszuwählen. Das ist nicht überall in Europa so. Wir haben uns die verwendeten Schulbücher zeigen lassen, die Klassenzimmer, und die Direktoren oder Lehrer etwas von ihren Vorstellungen von Erziehung plaudern lassen. Wir haben dann die Schule gewählt, wo die ganzheitliche Methode noch nicht eingeführt war, und wo es in den Klassen keine Matratzen gab, damit sich die Kinder niederlegen können, wenn sie einmal nicht mehr lernen mögen. Und wo uns die Lehrer nicht den Kopf vollgeschwanert haben, daß alles getan wird, damit sich die Kinder wohlfühlen und sich kreativ ausleben können.

Ich halte es für grundfalsch, die Kinder so zu erziehen, daß sie sich nach nichts mehr auszustrecken haben, weil ihnen alles mit Schuhlöffel serviert wird, vorgekaut und gebrauchsfertig. Ich will von der Schule nicht, daß sie meine Kinder behandelt, als gehörten sie ihr, als wäre es ihre Aufgabe, sie in allen Dingen wunschgemäß zurechtzubiegen. Die Schule soll Wissen vermitteln, soll ihnen sichere Bausteine mitgeben, mit denen dann die Erwachsenen selbständig umgehen können, die sie selbst zusammenbauen können, ganz nach ihren geistigen Fähigkeiten. Sie sollen in der Schule nicht verhaltenstrainiert werden, sondern ich schicke meine Kinder hin, damit sie sich eben diese Bausteine aneignen können, ohne daß jemand den Anspruch erhebt, an ihrer Persönlichkeit herumzudoktern, je nachdem, welches Verhalten gerade von der Gesellschaft erwünscht ist und ständig neu bestimmt wird. Persönlichkeitserziehung? Der fehlt es doch schon längst an den Voraussetzungen, sie bleibt - zufällig - vom Lehrer abhängig.

Nun ist Sebastian, der zweitälteste Sohn, in die erste Klasse gekommen. Er hat eine ganz junge Lehrerin. Und zu unserem Entsetzen haben wir feststellen müssen, daß plötzlich auch bei ihm die Ganzheitsmethode angewandt wird. D.h., er lernt ganze Wörter, deren Buchstaben er aber nicht kennt. Vergißt er das ganze Wort, kann er sich das Wort praktisch nicht erlesen. Damit wird er es sehr schwer haben, einmal richtig rechtschreiben zu lernen, und er wird es nicht leicht haben, sich selbständig Wissen anzueignen. Als würden die Kinder zu Trotteln gemacht, vollgestopft mit fertigem Anwendungswissen, aber unfähig zum Teilhaben am Denken. Die beste Ehefrau von allen hat der Lehrerin einen geharnischten Brief geschrieben. Ob er etwas nützen wird? Schon mehrmals wurde uns ja gesagt, daß wir Eltern ja nicht kompetent genug wären, die Errungenschaften der pädagogischen Wissenschaften zu beurteilen ...

5. Oktober 1995