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Montag, 9. Dezember 2019

Nobelpreis für einen durch Grammatik Bekehrten

Es hat so seine Sonderheit darum, daß Peter Handke den Nobelpreis für Literatur 2019 zugesprochen erhalten hat. Persönlich ist der VdZ mit dieser eigentümlichen Veranstaltung, die in der Autoritätsbildung der Betroffenen (und für unsere Kultur) so große Bedeutung hat, nicht unzufrieden, ja sie macht fast Hoffnung. Immerhin hat er den Kärntner doch auch geschätzt, vor allem in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Der ihn freilich von Jugend an als Lektüre begleitet hat. Auf seiner Irlandreise 1980 hatte der VdZ überhaupt nur sein "Das Gewicht der Welt" in der Tasche. Das ihm damals sogar Vorbild war. In dieser Gestalt wollte er auch schreiben. (Weil er nicht mehr konnte?) Bis er ihn für zwanzig Jahre und mehr nicht einmal mehr ignorierte. Warum?

Weil es um diesen Literaten so seine Insonderheiten hat. Der VdZ sieht ihn als eine Art "Bekehrten". Nicht unbedingt religiös, das steht auf einem anderen Blatt Papier, darüber kann er sich nicht äußern. Aber Handke war Teil einer regelrechten Generation von österreichischen Literaten, die in den späten 1960er und vor allem in den 1970er Jahren von Handke mit nach oben gesogen wurden, mit dem Auftrag, die deutsche Literatur zu zertrümmern und neu zu begründen. Und sie hatten Erfolg darin. Wenn auch das Ergebnis aus heutiger Sicht oft nahezu lächerlich ist. (Das hat dem VdZ gegenüber einer der damals sehr bekannt gewordenen, mittlerweile verstorbenen österreichischen Literaten zugegeben, der in einer weinseligen Stunde ehrlich meinte: "Die deutschen Verlage haben uns damals alles aus der Hand gerissen, und das Gelieferte war, wenn ich ehrlich bin, eine Frechheit.")

Wobei der Leser sich nicht der Illusionen hingeben sollte, die damals um die österreichische Literatur entstanden. Die wesentlich davon lebte, daß die österreichische Verlagslandschaft in einem Ausmaß subventioniert ist, die den deutschen Verlagen fremd geblieben ist. Darum gab es so viele Veröffentlichungen. Viele Verlage, viele Buchtitel (zu oft verschwindend kleinen Auflagen), kaum Leser, so könnte man es beschreiben.

Auch Handke hat immer mehr kaum nennenswerte Bücher veröffentlicht. Bis für ihn eine Wende gekommen sein dürfte. Die zeigt, daß Schreiben, wenn man es denn ernst nimmt, ein Lebensweg, keine "ökonomische, nützliche Tätigkeit" ist wie jeder bürgerliche Beruf. Immer mehr schien Handke zu erkennen, daß das, wogegen er ausgezogen war, die (nennen wir es simpel) traditionelle Geisteskultur unseres Sprachraumes, doch einen Wert hatte. Und welchen!

Zunehmend hat sich Handke in den letzten zehn, zwanzig Jahren zu einem Kritiker genau jener Erscheinungen gemacht, die er selbst einst gefordert, und deren Aufstieg zum Maßstab er mit zu verantworten hat. Immerhin erwähnt ja das Nobelpreiskomitee in seiner Begründung,  daß er so großen Einfluß gehabt habe. Das hat er. Das hat er, indem er die Literatur von der Wesentlichkeit weg- und zu einer bloß subjektivistischen, ungeordneten Befindlichkeitsorgie hingeführt hat. Jelinek läßt grüßen. 

Aber der alternde Schriftsteller war damit denn doch immer weniger zufrieden, vielleicht, weil das Älterwerden auch ein Heimkommen bedeutet, und Handke stammt aus sehr katholischem Milieu.

Nicht, daß er katholisch geworden wäre, darüber liegen dem VdZ keine Nachrichten vor. Aber das Katholische hat im Gegensatz zu allem anderen, was man Religion nennt, die Eigenschaft, physisch zu prägen, ja, physisch auf die Wahrheit zu eichen. Wer einmal so geprägt ist, wer wie Handke Ministrant und "von katholischer Moral gequält" war (weil die Wahrheit mit dem rein irdisch-immanenten Streben unvereinbar ist, und dagegen wehrt sich so gut wie jeder Jugendliche, oft vehement), kann das nie mehr ablegen.

Und so kam auch Handke ganz langsam zu alten Formen und Ansprüchen zurück, die er erst verdammte, und doch bald als die einzig gültigen anerkannte. Ganz langsam wurde das, was er zu sagen hatte, damit wesentlich. Zumindest in dem bescheidenen Rahmen, der ihm zugemessen und noch erreichbar war. Denn er hat wie so viele, die sich in der Jugend vom Katholischen ab- und der linken "Freiheit" zugewandt haben, viel Lebenszeit verplempert, um es charmant zu formulieren, viel falsch entschieden. Ja, ganze Lebensläufe verhunzt. Wie so viele, die die perfid verbreitete Lüge der Linken nicht durchschaut haben. Auch der VdZ gehört zu diesen.

Und er wie Handke haben das wie die meisten nicht erkannt. Auch, weil Handke durch seine (ganz katholisch) mutige Rebellion, die ihn 1966ff. so "berühmt" gemacht hat, den Bonus des Hochgelobten hatte. Der ihm sogar Frechheiten wie (nein, oder: ja, auch die: Die Publikumsbeschimpfung) ein durch großen Druck auf tausend Seiten aufgeblasenes Buch erlaubte (das muß einmal einer drucken!), nur weil auch er (für diese Selbstironie verdient er allerdings Milde) einmal ein so dickes Buch "schreiben" wollte. Was Handke aber den Freiraum gab, der so wenigen vergönnt ist, an seinen eigenen Gestaltansprüchen - von Anfang an, kann man hier sagen - festzuhalten.*

Deshalb sagen wir doch relativierender - er wurde wesentlichER. Denn immer noch sieht der VdZ Handke nicht auf Augenhöhe mit den im alten Sinn lebenden (gewesenen) Geistes- und Literaturgrößen. Das muß nicht einmal sein Versagen sein, ja das wird nicht einmal sein Versagen sein. Denn ein Künstler ist immer auch aus und in seiner Zeit geboren und aufgewachsen, und deshalb von exakt denselben Krankheiten geplagt, die ihn an der Welt leiden lassen. Eine geistlose Zeit wird keine große Kunst mehr erhalten, so ist es einfach, und nicht wenige Künstler, die darunter leiden wie ein Fleischerhund.

Das mußte auch er allmählich anerkennen, und erwachsen-resigniert zur Kenntnis nehmen. Das läßt sich vielleicht am besten an seinen Übersetzungen erkennen, denn der Künstler wächst an seinem Material. Der Schauspieler an seinen Rollen, der Schriftsteller an seiner Lektüre und an der Sprache generell. Handke hat nicht nur Julien Green übersetzt, sondern auch Aischylos und Sophokles. Sie gehören zweifellos zu den besten Quellen abendländischen Geistes.

Um dann wieder und wieder seine eigentliche Arbeit aufzunehmen. Schon der Titel des Schriftverkehrs mit Alfred Kolleritsch "Schönheit ist erste Bürgerpflicht" zeigt es an. Handke hörte nicht auf, die Zeitkrankheit an sich und um sich zu überwinden. Das heißt speziell für den Schriftsteller, sie geistig-gedanklich, also sprachlich so zu durchdringen (und die Sprache zwingt, wenn man sie liebt, sie trägt die Welt in sich und offenbart damit die Welt, wenn man der Sprache verehelicht ist; das ist der eigentliche Grund, warum Dinge wie "Generismen" so leicht als lächerlich-vertrottelt erkennbar sind), daß sie ihm als Werkzeug wieder zufällt.**

Denn das Irrtümliche (das sich als Sprachverhunzung zeigt) ist auch das, was das Schreiben in Fesseln hält, unfrei macht, und damit das Schöpferische verhindert. Vielleicht war die Wende sein Engagement für Serbien, der VdZ meint hier Zusammenhänge erkannt zu haben, schon damals. Denn plötzlich war Handke nicht mehr "everybodys Darling", sondern ein wenig zumindest Ausgestoßener, Paria. Denn Serbien großartig zu finden, womit sich eine klandestine Sympathie für das Patriarchalische verbindet, war in den 1990er Jahren nicht gerade wohl gelitten.

Vielleicht war es aber auch der Anlaß, das Sprungbrett, an dem sich Handke endlich wieder von einem intellektuellen Betrieb verabschieden konnte (daß er das zuvor getan haben sollte, war nicht mehr als kokettes Getue), der ihn völlig vereinnahmt hatte. Nun konnte er sich wieder absetzen, und Freiheit zurückerobern. Der Name genügte ja längst, damit er gut genug vom Literaturbetrieb (und dem Preis-Un-Wesen) leben konnte. (Immerhin gab er 1999 das Preisgeld für den 17 Jahre zuvor zugesprochenen Büchnerpreis wieder zurück. Herrschaften, das muß man sich einmal, schon rein monetär gedacht, als Schriftsteller einmal leisten können ... Wie heißt es so schön? Mit vollen Hosen ist gut stinken.)

Seither ist Handke in den Augen des VdZ aber immerhin auf einem guten Weg. Und das ist der Grund, warum sich der VdZ auch für ihn freut. Weil mit ihm eine Stimme weiter Autorität gewinnt, der zuzuhören in den letzten Jahren doch etwas lohnender geworden ist. Gerade, wenn der Nobelpreisträger über das Schreiben berichtet. Denn für den Schriftsteller ist die Sprache, das Schreiben der Ort, an dem er zur Welt kommt. Denn die Welt ist Sprache. Sodaß sich in seinem Schreiben der Zustand der Welt erkennen läßt, ohne daß er, wie Handke in jungen Jahren, einfach Symptom des Zeitgeistes bleibt.



*Wie sehr kämpfen doch andere um dieses "Selbstbewußtsein", diesem oft verfluchten Zwitter aus Welthaftigkeit und Anspruch aus dem Ohr im Ewigen! Handke hatte vielleicht einfach "Glück"? Bleiben wir bei "Vorsehung", dieser so geschundenen Braut.

**Weshalb Bildung in der Antike, aber noch bis ins 13. Jahrhundert, schlicht und ergreifend "Rhetorik" oder "Grammatik" war.