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Donnerstag, 5. Dezember 2019

Vater sein dagegen sehr (2)

An neun Tagen im Advent, jeweils Dienstag und Donnerstag, findet der Leser eine Kolumne des VdZ für eine Boulevardzeitung, die als Serie im Jahre 1995 geschrieben worden war. Er tut dies auf Bitten von Lesern, die diese Texte ausgegraben haben. Damals lebte der VdZ zwar in ziemlich anderen Umständen als heute, aber die angesprochenen Themen sind abstrakt gesehen ungebrochen aktuell.

VATER SEIN DAGEGEN SEHR ...

Die regelmäßige Kolumne eines ab und an schon mal genervten Familienoberhaupts

II

Schneuz Dich. Sitz gerade, laß dich nicht so gehn. Halt dein Heferl ordentlich. Es nützt einfach nichts, jeden Tag ist es dasselbe. Wir sitzen beim Frühstück, und die älteren Kinder tun, als müßten sie beweisen, daß es durchaus möglich ist, sich das Essen so hineinzuschieben, wie es in Beverly Hills zu sehen ist. Überflüssig. Und ich kann reden, was ich will: Es ändert sich erst, wenn ich etwas sage. Dann erst wird das Heferl ordentlich genommen, der Ellbogen nicht mehr auf den Tisch gelümmelt, und aufgehört, in der Nase zu bohren.

Du keifst schon wie ein altes Weib, wirft meine Frau ein, während sie mit dem Stoß Schmutzwäsche aus den Kinderzimmern kommt und in den Hauswirtschaftsraum eilt. Ja verflixt und zugenäht, hat man in unserem Haus nicht Anspruch auf ein bißchen Kultur? Und bin ich nicht verpflichtet, meine Kinder zu Kulturmenschen zu erziehen, anstatt sie in der Laschheit untergehen zu lassen? Und überhaupt: Laß sie nicht so viel fernsehen. Ich habe natürlich wieder einmal Recht. Und im nächsten Moment ersinne ich all die Gründe, warum es unmöglich ist, inmitten einer barbarischen Welt noch eine gesunde Kinderschar großzuziehen. Dieser ganze Kulturimport aus Amerika, und die Kinder saugen wie Schwämme ganz selbstverständlich diese fremden und falschen Sitten auf.

Ich schaue noch einmal meiner ältesten Tochter zu. Und was ist, wenn sie gar nicht imitiert? Wenn ihre natürliche Art sich zu bewegen tatsächlich dem Verhalten der Beverly Hills Schönen so ähnlich ist? Wenn sich also nicht meine Tochter wie sie bewegt, sondern die wie meine Tochter, das also aus dem Leben abgeschaut ist, so quasi? Mit einem Schlag ist mein Groll weg. Noch einmal vergewissere ich mich, und da ist mir ihr Benehmen gar nicht mehr so unangenehm. Die ist vielleicht wirklich so, denke ich. Die Stirn hellt sich. Da kann es mich nicht mehr so berühren, daß Clemens derweilen den Kakao von Sebastian über den Tisch leert.

5. Oktober 1995