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Dienstag, 31. Dezember 2019

Vater sein dagegen sehr (9)

An neun Tagen im Advent, jeweils Dienstag und Donnerstag, findet der Leser eine Kolumne des VdZ für eine Boulevardzeitung, die als Serie im Jahre 1995 geschrieben worden war. Er tut dies auf Bitten von Lesern, die diese Texte ausgegraben haben. Damals lebte der VdZ zwar in ziemlich anderen Umständen als heute, aber die angesprochenen Themen sind abstrakt gesehen ungebrochen aktuell.

VATER SEIN DAGEGEN SEHR ...
Die regelmäßige Kolumne eines ab und an schon mal genervten Familienoberhaupts


IX

Sebastian, mein siebenjähriger Sohn, hatte seit dem dritten Lebensjahr spätestens Neurodermitis. Am Anfang war das ein großes Problem, er kratzte sich beinahe jede Nacht blutig, manchmal war es schauderhaft. Jedenfalls aber wachte er beinahe jede Nacht auf, weinte, ja schrie wegen seiner Schmerzen oder seines Juckreizes. Seither beziehen wir auch die erhöhte Familienbeihilfe. Nun muß man in regelmäßigen Abständen zum Amtsarzt, um dem Finanzamt zu bestätigen, daß der Bezug der erhöhten Beihilfe noch immer gerechtfertigt ist. "Aber," meint meine Frau: "Es ist ja mittlerweile schon sehr schön geworden!" "Das soll der Amtsarzt entscheiden."

Neurodermitis ist eine rätselhafte Erkrankung, die angeblich mittlerweile 10 Prozent der österreichischen Kinder erfaßt hat. Auch wir kennen aus dem eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis furchtbare Fälle. Aus den Beobachtungen beim eigenen Sohn, die Veränderungen des Krankheitsbildes in Zusammenhang mit Veränderungen im Umgang mit ihm, habe ich so meine Rückschlüsse gezogen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will: Neurodermitis ist eine Krankheit, die wesentlich mit dem Immunsystem zusammenhängt. Das Immunsystem selbst aber hängt stark zusammen mit dem seelischen Zustand des Menschen, mehr noch: Mit seiner Persönlichkeitsstärke. Was ist nun Persönlichkeitsstärke?

Es ist die Kraft, mit der sich ein Mensch als er selbst aufrechterhält, mit der er wesenhaft er selbst ist. Das ist etwas grundlegend anderes als suggestiv erworbenes "Selbstwertgefühl", in dem sie sich ständig vorsagen, sie seien irgendetwas. Es ist die Bereitschaft, die Welt zu sehen, auf sie zuzugehen, und an ihr zu handeln; es ist die Bereitschaft, nicht auf sich zu schauen, sich auch nicht seinen eigenen Gefühlen etc. zu widmen. Diese Offenheit kann durch Krankheit, starken oder permanenten Schmerz, Überlastung, Schock etc. gebrochen sein. In jedem Fall aber ist es notwendig, daß der Mensch sich mit Interesse der Welt zuwendet, mit klarem Blick bereit ist für die entgegentretende Wirklichkeit, und sich nicht mit sich selbst beschäftigt, nicht in sich gefangen wird. Ich habe beobachtet, daß diese "Weltorientierung" maßgeblich damit zusammenhängt, die Begabung des Kindes zu erkennen und ihm zu seiner Begabung gemessen Tätigkeit zu helfen, ja ihn darauf zu stoßen.

Neurodermitiker sind meist das, was man mit "sensibel" beschreibt. Auch das trifft zu, begünstigt doch starke Sensibilität - so gut sie andererseits ist - die überstarke Beschäftigung mit sich selbst. Die Widerstandskraft wird auch dadurch gestärkt, daß man das Kind "abhärtet". Oh Gott, höre ich sie sagen. Ich habe zum Beispiel im Hallenbad zwischen den Kindern einen Preis ausgeschrieben, wer es am längsten unter der kalten Dusche aushält. Eine Übung, von sich weg zu sehen, seine Empfindungen nicht über die Vernunft zu stellen.

Entscheidend bei Neurodermitikern erscheint mir aber der Vater! Er ist es nämlich, der für das Kind die "kalte Dusche" der Welt bedeutet. Ich habe ebenfalls festgestellt, daß wenn in der Familie ein neurodermitisches, allergetisches oder sogar asthmatisches Kind ist, es regelmäßig die Frau ist, die sich in der Familie mit ihrer gefühlsmäßigen Wechselhaftigkeit, Bestimmtheit, durchsetzt, der Mann "zu weich" ist. Die Frau dominiert, was meist heißt, daß sie sich mit dem Kind zu stark identifiziert, sich eigentlich nicht von ihm loslöst, es unter Umständen gar vor dem Mann "schützen" will. Daß also zuwenig männliche "Störkraft" auf das Kind gewirkt hat, dieses sich zuwenig mit dem Mann identifizieren konnte. Neurodermitische Kinder brauchen die Zuwendung des Vaters, aber keine Gefühlsduselei, die sich mit sich selbst beschäftigt, sondern seine Klarheit, seine Beschäftigung mit der Welt, die ihm zeigt, wie man mit der Welt fertig wird. Es fehlt der Welt an Männlichkeit.

4. Oktober 1995