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Samstag, 28. Dezember 2019

Mitten in der Barbarei angelangt

Es ist letztlich gar nicht überraschend, dennoch schockiert es, wenn man davon hört: Ein Richter in Großbritannien hat im Oktober 2019 angeordnet, daß einer jungen Frau, die schwanger war, auch gegen ihren Willen das Kind durch Abtreibung genommen wird. Die Frau hatte das Kind, mit dem sie in der 12. Woche schwanger war, behalten wollen. Ärzte hatten daraufhin das Gericht bemüht. Und eine Zwangsabtreibung mit der Begründung verlangt, daß die Mittzwanzigerin geistig auf dem Stand eines Kleinkindes sei. Aber ein Mensch in dieser geistigen Verfassung könne so eine Entscheidung gar nicht treffen.

Nötigenfalls, so der Richter, hätten die Ärzte auch das Recht, die Frau voll zu narkotisieren, sollte sie sich weiterhin weigern.

Dieses Urteil ist insofern überraschend, als erst im Juni 2019 ein ähnliches Gerichtsurteil durch das Höchstgericht aufgehoben worden war. Auch hier hatte ein erstinstanzlicher Richter einer Frau in der damals sogar 22. Schwangerschaftswoche eine Zwangsabtreibung verordnet. Der Grund war derselbe: Sie sei geistig auf dem Stand eines Kleinkindes. Daraufhin war ein Aufschrei durch die Medien gegangen. Diese Praxis erinnere an schlimmste historische Zeiten! Was spreche da noch gegen übelste Eugenik? Daraufhin hatte die Politik versprochen, das Gesetz "zu reparieren". Wie man sieht, ist das nicht geschehen.

Die britische SPUC (Society for Protection of Unborn Children) weist neben dieser in England bedeutenden Tatsache eines einmal bereits ergangenen Urteils* aber noch auf etwas hin. Neben der verabscheuenswürdigen Barbarei, die aus diesem Gerichtsurteil spricht, öffnet dieses Gerichtsurteil dem schrecklichsten Mißbrauch solcher unmündiger Frauen Tür und Tor. Denn wenn das Gericht meint, einer Frau das Kind durch Tötung nehmen zu dürfen, weil sie geistig "auf dem Stand eines Kleinkindes" sei, sie also einer Geburt gar nicht "zustimmen" könne, dann sei diese Person doch auch unfähig gewesen, die Zustimmung zum Sex zu geben. Damit war der Geschlechtsverkehr mit ihr eindeutig Mißbrauch. Denn genau so wird ja bei Kindesmißbrauch argumentiert. Wo bleibe hier aber die Verfolgung des Täters? Im Gegenteil, nun sei es ihm sogar noch möglich, das Kind, das aus dem sexuellen Verkehr hervorgeht, der selber bereits ohne Zustimmung der Frau erfolgt sein müsse, nun auch gegen deren Willen und sogar gewaltsam abtreiben zu lassen. 





*Zum besseren Verständnis der Bedeutung eines einmal ergangenen Gerichtsurteils im anglo-amerikanischen Raum, also auch der Aufhebung des ersten diesbezüglichen Urteils s.o., sollte der Leser wissen, daß dort eine andere Rechtsauffassung als in unseren Ländern herrscht. In diesen Ländern haben wir eine "Fallgesetzgebung". Das heißt, daß ein Urteil automatisch auch insofern Gesetz wird, als spätere gleichgeartete Fälle daran gemessen werden. Der Richter schafft also in diesen Ländern (weit mehr als bei uns, wo bereits ergangene Urteile nicht mehr als Richtlinien mit eher Empfehlungscharakter - wenn auch nicht ohne Bedeutung - sind) mit jedem Urteil auch Recht, und sogar Verhaltensnormen.

Das hat mit einer anderen Bewertung der Lebenspraxis als Normenbezugspunkt zu tun, als bei uns der Fall ist, und ist ein "faktisches Gewohnheitsrecht" oder "Praxisrecht". Das faktische Leben, die Gewohnheit gibt vor, was Recht ist. Es wird nicht nach ewiger Gerechtigkeit dabei gefragt. 

Wie es sich angeblich in der "Magna Charta" aus dem 14. Jahrhundert ausdrückte, wird mancher sagen. Aber das ist ein falscher Mythos. Denn zwar wird diese oft eine "Bürgerrechtscharta" geheißen, doch war sie das nie. Weil sie zwar das Königsrecht und damit royale Willkür einschränkte, doch damit dem Volk auch jede Gerechtigkeitsidee bei der Rechtssprechung nahm. Vor allem, weil es damals auch auf diesem Wege die faktische Stellung der Kirche schwächte. Und nun die Rechtsentstehung mehr in die Hände des Adels gelegt wurde. Der hatte die Magna Charta ja vom König durch Beistandsverweigerung erpreßt, um ihn dem Adel - und so auch dem Volk - gegenüber zu schwächen. (Eine komplexe Entwicklung, die am Kontinent in den katholischen Gebieten schließlich anders, nämlich zentralistischer ablief. Preußen-Deutschland ist dabei aber ein Sonderfall.)

Nun: Dieses System hat Stärken und Schwächen. Aber irdische Rechtssysteme sind nie fehlerlos. Denn zwar richtet sich unser Rechtssystem im Prinzip an Göttlichem Recht als Quelle aus, in der Praxis mischen sich aber die Systeme. Umso wichtiger sind Absichten. Wie bei uns die explizite Verpflichtung, über dem bloßen Gesetzesrecht den göttlichen Willen zu suchen (deshalb die Kreuze in den Gerichtssälen!).

In der Praxis war es auch in England und den USA nicht ohne Bedeutung, wird nur neuerdings sehr heftig als unzulässige Vermischung von Religion und Staat diskutiert. Während das bei uns umgekehrt ist, unser Recht immer mehr auf ein Verfahrensrecht ohne inhaltliche Relevanz umgewandelt wird. Womit die Gerechtigkeitsidee, die dann stark vom Richter abhängt, verdunstet, weil letztlich an den oberen Instanzen zerschellt, die diese neue Rechtsauffassung immer mehr etabliert haben.

Umso wichtiger sind die heute aber kaum noch bestehenden Sonderwege und -instanzen, wie das Gnadenrecht des Königs, sein Recht einen Fall an sich zu ziehen, um Sonderfälle oder offene Fehlurteile korrigieren zu können. Oder man denke überhaupt an uraltes Recht wie dieses, daß einen zum Tode Verurteilten das Versprechen, eine Prostituierte zu heiraten, diesen vom Galgen rettete. 

Ein Anklang anderer Art findet sich noch im schwedischen "Ombudsmann". Oder man denke an den "Volkstribun" bei den Römern. Ob es solche Stellung "über dem gesetzten Recht" auch im anglo-amerikanischen Fallgesetz gibt, ist dem VdZ aber nicht bekannt.

Dort ist das Recht an sich auf jeden Fall "menschlich-faktischer", wird also pragmatischer beziehungsweise positivistischer, zufälliger sozusagen, weniger "göttlich" gesehen. Eine Rechtsauffassung, die sich allerdings auch bei uns mehr und mehr etabliert. Vielleicht hat das schon rein damit zu tun, daß wir alle bereits mit amerikanischen Filmen aufgewachsen sind. Denn in Filmen, in denen Recht und Gericht vorkommt, hört man ständig solche Bezüge auf Urteile und Fälle.

Bereits jetzt sehen sich die Höchstrichter aber auch bei uns nicht mehr als Wächter "des Rechts an sich" (mit dem Ideal einer absoluten Gerechtigkeit in Gott, dem Schöpfer allen Rechts, das nämlich im Naturrecht wurzelt, darauf baut unser gesamtes Recht auf!), sondern als bloße Wächter der faktischen Rechtsvollzüge (Abläufe, Rechtswege, Vorschriftentreue, etc.), ohne jeden Bezug auf die inhaltliche Relevanz. Es wird also nicht mehr nach dem Sinn von (bestimmten) Gesetzen gefragt - "Wie haben die Gesetzgeber es gemeint?", "In welcher historischen Situation fand die Gesetzeserstellung statt?" usw. - sondern davon ausgegangen, daß ihre Reichweite in der faktischen Sprachfassung ausreichend definiert ist. 

Damit wird aber Recht zum Sophismus und zur Rechts- und Vorschriftentechnik. Auch das kennen wir aus amerikanischen Filmen. So hat zum Beispiel das Oberste Gericht in Österreich die Einführung der "Ehe für alle" mit der Begründung durchgesetzt, daß es gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Wie "Ehe" im Gesetz überhaupt gemeint war, nämlich als dauerhafte Verbindung von Mann und Frau mit dem Zweck der Nachkommenschaft, war für ihn ohne Belang. Das ist für eine Gesellschaft, die wie die unsere letztlich immer noch auf Religion als Basis des Staates basiert, ein ganz ernsthaftes Problem, und gründet den Staat regelrecht um: Auf eine atheistische Verfaßtheit wie in den USA, diesem ersten säkulären Staat der Weltgeschichte, der die Religion zum öffentlich Irrelevanten marginalisierte.