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Dienstag, 21. Juni 2022

AND THE WINNER IS ... (1)

Wenn eine Situation feststeckt - und ich habe den Eindruck, daß das politisch gesehen in Europa derzeit der Fall ist - dann tut es ganz gut, eine überraschende Wende vorzunehmen. Mosebach hat es mir einmal bei meinem Roman "Helena" geraten, als ich mit ihm ein Problem beim Schreiben diskutiert habe. "Lassen Sie die Figur etwas Unerwartetes machen!"

   L. Höbelt Vortrag DER SIEGER
Also folgen wir auch diesmal diesem Rat, und holen ein ganz anderes Thema ins Zimmer. Und die Wahl fiel ohne viel Abwägen auf einen Vortrag von Lothar Höbelt, dem er den Titel gab "Who won the World War 1?

Nicht nur, weil Höbelt immer für eine Überraschung gut ist. Das schätze ich ja an ihm - er hat stets seine eigenen, und damit nichtnur originären, sondern originellen Sichtweisen, die in Winkel Licht bringe, die gemeiniglich übersehen werden. Sondern weil er eine Frage stellt, die doch dem gemeinen Bürger seltsam erscheinen mag. "Ist das nicht klar? Ist das nicht beantwortet?"

Die Ansätze Höbelts, mit denen er das Thema völlig neu aufrollt (und die Erwartugen eines überraschende Endes erfüllt, Sie werden es sehen) sind zwar leider auf Englisch er hat zu Ende des 2019er Jahres ja auch in England gesprochen. 

Aber daran dürfte der Leser dieser Seiten ja ein bißchen schon gewöhnt worden sein? es ist immer gut, wenn man eine zweite Sprache wenigstens so weit versteht, daß man sie hören und lesen kann, und in dem Fall öffnet sich dem Englisch-Sprecher immerhin eine durch England eine sehr globale Sicht, was bei den USA irgendwie anders liegt: Die sind nominell global, in der Gewohnheit sowieso, aber im Denken, in ihren wirklichen Motiven? Ich kann mich nicht ganz des Eindrucks erwehren, daß uns hier ein ungemein provinzieller Hauch entgegenschlägt, der in der Zahl (die tatsächlich die Welt umfaßt) auch schon das Wesen zu besitzen meint. Aber lassen wir das.

Immerhin, dieser kleine Schlenker hat uns nun auch inhaltlich zum Thema geführt. Denn wir haben uns doch längst daran gewöhnt, die Antwort auf die Frage, wer denn der Sieger des 1. Weltkrieges sei, wie aus der Pistole geschossen von uns zu geben. 

Höbelt aber rollt sie trotzdem (oder gerade deswegen) noch einmal auf. Und er beginnt mit der Frage, was das denn überhaupt heißt: Sieg. Gewonnener Krieg. Das ist mit dem 1. Weltkrieg nämlich erstmals ziemlich verschwommen. Dieser Krieg hat auch eine Periode von 99 Jahren beendet, in der das nie die Frage wr - weil es eindeutig gewesen ist einerseits, weil es so wenige Kriege in Europa gegeben hat wie viele viele Jahrhunderte zuvor nicht mehr. Alle Kriege, die es zwischen 1815 (Napoleon) und 1914 (1. Weltkrieg) gegeben hat, haben nur kurze Zeit gedauert und waren immer mit einem eindeutigen Ausgang gesegnet. Wer auf der Krim 1851, wer in Böhmen 1866, wer in Frankreich 1871, wer am Balkan 1913 usw. usf., wer also da überall gewonnen hat, ist rasch gesagt. Obwohl die Kriege nur wenige Wochen, manche Kriege sogar nur wenige Tage gedauert haben, war der Ausgang eindeutig. Klare Fragestellungen - wer hat Oberhoheit über ein Gebiet, ein Volk, ein Reich - und klare Antwort binnen weniger Wochen oder höchstens Monate.

Das ist auch nicht den Veränderungen der Kriegstechnik zuzuschreiben. Der Krieg Österreich - Preußen etwa hat trotz der verheerenden Wirkungen der deutschen Zündnadelgewehre (denen die Österreicher noch mit ihren Vorderladern gegenüberstanden) weit mehr Tote durch Cholera gekostet, als durch die Feuerwaffen. Und so war und ist es übrigens in fast allen Kriegen der Weltgeschichte, ein Umstand, den die allerwenigsten kennen. Quer durch die Geschichte gerechnet, sind die Zahlen der Toten bei den Kombattanten (Soldaten usw.) durch Seuchen, Epidemien, durch Naturkatastrophen und so weiter etwa um das Sechsfache höher, als die durch unmittelbare Kampf- und Waffenwirkung, schreibt der Militärhistoriker Crefeld einmal. Die allermeisten Kriege wurden deshalb durch nicht-miltärische Ursachen entschieden, auch wenn sie formell stets auf Schlachtfeldern ihre Entscheidung stattgefunden haben. Ein bißchen ist das auch mit dem 1. Weltkrieg so. 

Beginnen wir also auf der Suche nach dem Gewinner des 1. Weltkriegs die Staaten nach 1918 der Reihe nach durchzugehen. Da ist einmal Polen. Sie wachten erstmals nach Jahrhunderten als gar nicht so kleiner Staat auf. Aber das zählt nur halb. Polen aben auf Seiten von drei Staaten (Preußen, Österreich, Rußland), und genauso gezwungenermaßen für eine andere Macht gekämpft wie die Tschechen. Auch die fanden sich nun in einen neuen Staat wieder, der Tschechoslowakei. 

Dann sind da die USA, die ja alle Kriege im 20. Jahrhundert gewonnen haben. Schon aus dem einzigen Grund, weil sie die einzigen waren, die am Schluß übrigblieben - wegen ihrer Wirtschaftsstärke. Kriege im 20. Jhd. sind ja in erster Linie Kriege der Wirtschaftsmacht eines Landes, nicht der Armeen. Deutschland produziert 1914 so viel Stahl wie der Rest von Europa zusammen. Amerika produziert so viel Stahl wie die ganze restliche Welt. Wenn also Amerika wirlich eimal in einen Krieg eintritt, wenn es wirklich seinen Willen anstrengt, steht der Sieger eines Krieges fest. Also sind die USA auch Sieger 1918, mit ihrem Kriegseintritt war er für eine Seite entschieden.  Ohne sie hätte der Krieg 1914ff. wahrscheinlich in einer Art Gleichgewicht der Mächte geendet, obwohl ihn vielleicht sogar Deutschland gewonnen hätte, denn den Mittelmächten brach immerhin nach 1917 die zweite Front weg, soda sie sich auf den Westen und Süden konzentrieren konnten. Aber England hätten sie dennoch nicht erobern können, also hätte man sich irgendwie arrangiert. 

Übrigens glaubt Höbelt nicht, daß die Verschwörungstheorie, die besagft, daß Amerika von der Hochfinanz ni den Krieg laviert worden ist, zutrifft. Wilson wollte nicht in den Krieg eintreten. Und Ende 1916 hatte Wilson sogar die größten US-Investoren zusammengerufen, um mit ihnen die Lage zu besprechen, und kamen zu dem SChluß, keine britischen Schatzscheine mehr zu kaufen. Also wäre England binnen eines halben Jahres pleite, der Krieg zu Ende gewesen. Und das wäre so geblieben, hätte Deutschland nicht die tolle Idee gehabt, England durch einen totalen U-Boot-Krieg zu blockieren. Das erst hat die USA in den Krieg gezogen, und Höbelt schließt daraus den Leitsatz, daß man niemals einen Krieg führen sollte, weil man sich im Besitz der überlegenen Technik beruft. Das geht immer schief.

Ameika tritt in den Krieg ein, und Amerika gewinnt den Krieg für die Entente, das ist offensichtlich. Aber haben die Amerikaner nun auch etwas gewonnen? Denn Territorium ist es ja nicht, die Größe des Landes war 1919 unverändert (sieht man von ein paar Korallenriffen im Pazifik ab. Und gerade im Pazifik stand ihnen eine Macht entgegen, die ihnen so gar nicht recht war -  die Japaner. Auch sie waren Sieger, denn sie hatten alles aufgesammelt, was die Europäer in China aufgegeben hatten, und waren überall dort einmarschiert. Für etliche Jahre wurde also China von Japan dominiert, und das mochten die Amis nicht, und zwanzig Jahre später hatten sie alle Hände voll zu tun, die Japaner dort überall wieder hinauszuwerfen.

Aber sie waren immerhin nun auch zur See - gleichauf mit den Briten - die stärkste Macht auf Erden. Im Vertrag von Washington kam es sogar zu einer der ersten Rüstungsbeschränkungsvereinbarungen, wo die Flotten der beiden Länder auf gleiche Stärke (je 15 Schlachtschiffe) geregelt und das heißt limitiert wurden. Aber das war relativ wertlos, denn wenn jemals England wirdklich die USA angreifen sollte, hätten die das Faustpfand Kanada vor der Haustüre, das sie dann einkassieren konnten. Also ging es nur ums Prestige.

Morgen Teil 2) Und England? Vielleicht dann doch Deutschland?