Das gilt zumindest für Österreich, wo diese Werdeprozesse ganz
klar nachvollziehbar sind. Für Deutschland gab es diese
Solidarleistung nur in höchst eingeschränkter Form, wie der VdZ den
Klagen seiner Schwester, die nach Berlin geheiratet hatte und dort
Kinder gebar, entnahm. Es wurde erst in den letzten Jahrzehnten in
vergleichbarer Höhe eingeführt. Aber es steht zu vermuten: Aus gleichen
Überlegungen wie in Österreich. Nur gab es in Deutschland das nicht, was
in Österreich "Sozialpartnerschaft" genannt wurde.
Die
war ein permanentes Gremium, in dem sich sämtliche Volksschichten und
Interessensgruppierungen zusammensetzten und Konsens suchten. Sodaß zu
vermuten steht, daß die Entscheidungsfindung in Deutschland mehr den
politischen Parteienprozessen unterlag und deshalb in diesem Punkt
länger brauchte. Wobei die Einkommen in Deutschland weit höher lagen,
zumindest damals, während die Preise deutlich niedriger waren, die
Deutschen also dennoch besser lebten als die Österreicher. Das blieb
noch bis in die 1990er Jahren so.
Zum Zeitpunkt der Einführung des
Kindergelds in der Alpenrepublik freilich, so unmittelbar nach dem
Krieg, hatten die Gewerkschaften noch nicht die spätere
revolutionierende Absicht, und alle Seiten wollten nur eines: Eine
funktionierende Republik aufbauen. Zur revolutionierenden Macht wurden
sie erst allmählich von den Sozialisten aufgebaut, die die
Gewerkschaften über die Staatsbetriebe als Instrument begriffen, Wahlen
zu gewinnen. Was 1971 endgültig gelang. Ab da wurde Österreich ein
sozialistischer Staat, der eine "freie Wirtschaft" nur insofern duldete
weil benützte, um seine Politik zu bezahlen und vor allem für die Schulden
zu bürgen, die nun aufgebaut wurden.
Aber auch
Österreich hatte seine Wende. Denn ungefähr zeitgleich mit dem Mauerfall
in Berlin brach auch in Wien vieles auf. Was sich heute die meisten
nicht mehr vorstellen können: Bis in die späten 1980er Jahre regelte
diese (sozialistisch dominierte) Sozialpartnerschaft wie eine
Schattenregierung sogar einen guten Teil der Marktpreise, zumindest für Waren des alltäglichen Bedarfs. (Stichwort "Paritätische Preiskommission") Manche
meinen, daß diese Sozialpartnerschaft mehr Macht hatte als die
Regierung, so daß letzten Endes nur die sozialistisch dominierten
Gewerkschaften die heimliche Regierung waren. Was definitiv erst Ende
der 1990er sein Ende fand, als die Gewerkschaft ihren Streikfonds über
die damals noch in ihrem Eigentum befindliche, nun in den Bankrott
gerutschte Bank BAWAG verspekuliert hatte.
Freilich,
diese Sozialpartnerschaft besteht prinzipiell bis heute, aber sie
spielt eine deutlich geringere Rolle. Auch, weil viele Staatsbetriebe
privatisiert wurden. Bis zu dem Zeitpunkt war der Staat Österreich
für ein gutes Drittel der Arbeitnehmer sogar Arbeitgeber! Über das
Ausmaß der Verfilzungen Politik und Wirtschaft in Österreich heute kann man
nur noch spekulieren, es hat sich gewiß manches verändert. Oder haben
die Oligarchen die Gewerkschaften nur ersetzt?
*110818*