Karl
A. Wittfogel hat es in seiner maßstäblichen historischen Untersuchung
gezeigt, und was er herausfand ist überzeugend: Der Zentralismus als
Organisationsform von Völkern und Gesellschaften gründet weltweit in
(konkret sogar: Wasser-)Versorgungsprojekten. Die von Einzelnen nicht
durchführbar sind, die also eine übergreifende Organisation brauchen.
Der Preis dafür ist dann eine Zentralgewalt, der sich alle aus
naheliegenden Gründen freiwillig unterwerfen. Und die dann auch das
private Wirtschaften und Arbeiten steuern.
Voraussetzung
ist eine übergreifende, abstrahierte Sicht, die ein Problem für sich
herausgreift und direkt zu lösen versucht. Die Überzeugung der an sich
zuvor autonomen, integeren kleineren sozialen Strukturen, sich von oben
her mehr und mehr maßregeln zu lassen, rührt schlicht aus der Tatsache,
daß das Problem erstens alle tatsächlich betrifft, also von jedem selbst
zu lösen ist, und zweitens für alle Erleichterungen bringt. Für alle?
Nein, für die meisten. Es gehört zum Bestandteil dieser zentralistischen
Organisation, daß sie Dissidenten auch per Gesetz und staatlicher
Gewalt aus- und abgrenzt. Das führt automatisch zur von der Mehrheit
akzeptierten Unterdrückung jeder Opposition, weil mit dem Fall der
Zentralgewalt auch jene Problemlösung gefährdet scheint (scheint!), an
deren Erleichterung man sich gerne gewöhnt hat.
Da
muß man gar nicht weit wegdenken. Man erinnere sich doch bloß an die
Zusammenlegung der traditionell kleinstrukturierten Landwirtschaft zu
Kolchosen. Das ist erst fünfzig Jahre her, man denke an die DDR, und
erinnere sich an Abweichler, also an Bauern, die sich dieser
Kollektivierung verweigert haben.
Noch
ein abstraktes Problem, an das wir gemeiniglich kaum denken, ist
typischer Beginn von Zentralismus, der immer auf Kosten individueller
Entfaltung, also Freiheit, geht - das des Krieges, des Militärs. Wer die
Sozialgeschichte von Bayern mit der Tirols vergleicht, sieht es
deutlich. Während in Tirol die Bauern immer bereit waren, ihr Land
selbst zu verteidigen (wobei sie sich natürlich ebenfalls organisiert
haben), erfolgte in Bayern ein über die Jahrhunderte gehender Prozeß, in
dem die Bauern diese militärischen Agenden an Einzelne abgegeben haben.
Dafür akzeptieren sie Einschränkungen der Freiheit, wozu die Tiroler
nie bereit waren. (Erst die zentralistisch agierende Maria Theresia hat
die Tiroler erstmals zu Militäraufgaben herangezogen, die außerhalb des
eigentlichen Tirols lagen. Sie hat sich um Regionalrechte und regionale
Rechtsgemeinschaften einfach nicht gekümmert.) Bayern ist aber schon
viele Jahrhunderte zuvor weitgehend zentralistisch organisiert worden.
Wesentlich
ist, daß es in einem sozialen Gefüge immer und unentwegt starke
Bestrebungen braucht, in denen sich das Untere, das integere kleine
Gefüge, gegen Zentralismus zur Wehr setzt. Denn Staaten haben die
klandestine Tendenz zum Zentralismus, und die Geschichte zeigt, daß
diese Tendenz sich auf lange Frist immer wieder durchsetzt, und für
jedes kleine soziale Gefüge ein ständiges Pochen an der Tür bedeutet,
auf das man jedesmal neu durch Eintrittsverweigerung reagieren muß. Jede
Generation muß das tun, und immer wieder neu sind die Formen, in denen
dieser Zentralismus Einlaß begehrt. Er tut es schön eingefügt in
historische Konstellationen, und er tut es immer über "Erleichterungen",
über "Problemlösungen", siehe oben. Man denke hier an den Sozialstaat,
der sich klammheimlich und durch zu geringe Achtsamkeit aus einer
christlich sehr gut fundierten Nächstenliebe (die historisch seit je das
Gepräge sozialer Einheiten war, weit mehr als behauptet wird) als jedes
individuell betreffende Gebot der sozialen Gemeinschaft zu einem
Zentralismus entwickelt hat, der heute die Basis des menschlichen
Zusammenlebens angreift und mittlerweile sogar direkt zerstört. (Etwa,
indem er in die Ehe eingreift.)
Morgen Teil 2)
*060519*
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