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Sonntag, 30. Juni 2019

Wie sich Zentralismus aus Wasser entwickelt (1)

Karl A. Wittfogel hat es in seiner maßstäblichen historischen Untersuchung gezeigt, und was er herausfand ist überzeugend: Der Zentralismus als Organisationsform von Völkern und Gesellschaften gründet weltweit in (konkret sogar: Wasser-)Versorgungsprojekten. Die von Einzelnen nicht durchführbar sind, die also eine übergreifende Organisation brauchen. Der Preis dafür ist dann eine Zentralgewalt, der sich alle aus naheliegenden Gründen freiwillig unterwerfen. Und die dann auch das private Wirtschaften und Arbeiten steuern.

Voraussetzung ist eine übergreifende, abstrahierte Sicht, die ein Problem für sich herausgreift und direkt zu lösen versucht. Die Überzeugung der an sich zuvor autonomen, integeren kleineren sozialen Strukturen, sich von oben her mehr und mehr maßregeln zu lassen, rührt schlicht aus der Tatsache, daß das Problem erstens alle tatsächlich betrifft, also von jedem selbst zu lösen ist, und zweitens für alle Erleichterungen bringt. Für alle? Nein, für die meisten. Es gehört zum Bestandteil dieser zentralistischen Organisation, daß sie Dissidenten auch per Gesetz und staatlicher Gewalt aus- und abgrenzt. Das führt automatisch zur von der Mehrheit akzeptierten Unterdrückung jeder Opposition, weil mit dem Fall der Zentralgewalt auch jene Problemlösung gefährdet scheint (scheint!), an deren Erleichterung man sich gerne gewöhnt hat.

Da muß man gar nicht weit wegdenken. Man erinnere sich doch bloß an die Zusammenlegung der traditionell kleinstrukturierten Landwirtschaft zu Kolchosen. Das ist erst fünfzig Jahre her, man denke an die DDR, und erinnere sich an Abweichler, also an Bauern, die sich dieser Kollektivierung verweigert haben. 

Noch ein abstraktes Problem, an das wir gemeiniglich kaum denken, ist typischer Beginn von Zentralismus, der immer auf Kosten individueller Entfaltung, also Freiheit, geht - das des Krieges, des Militärs. Wer die Sozialgeschichte von Bayern mit der Tirols vergleicht, sieht es deutlich. Während in Tirol die Bauern immer bereit waren, ihr Land selbst zu verteidigen (wobei sie sich natürlich ebenfalls organisiert haben), erfolgte in Bayern ein über die Jahrhunderte gehender Prozeß, in dem die Bauern diese militärischen Agenden an Einzelne abgegeben haben. Dafür akzeptieren sie Einschränkungen der Freiheit, wozu die Tiroler nie bereit waren. (Erst die zentralistisch agierende Maria Theresia hat die Tiroler erstmals zu Militäraufgaben herangezogen, die außerhalb des eigentlichen Tirols lagen. Sie hat sich um Regionalrechte und regionale Rechtsgemeinschaften einfach nicht gekümmert.) Bayern ist aber schon viele Jahrhunderte zuvor weitgehend zentralistisch organisiert worden. 

Wesentlich ist, daß es in einem sozialen Gefüge immer und unentwegt starke Bestrebungen braucht, in denen sich das Untere, das integere kleine Gefüge, gegen Zentralismus zur Wehr setzt. Denn Staaten haben die klandestine Tendenz zum Zentralismus, und die Geschichte zeigt, daß diese Tendenz sich auf lange Frist immer wieder durchsetzt, und für jedes kleine soziale Gefüge ein ständiges Pochen an der Tür bedeutet, auf das man jedesmal neu durch Eintrittsverweigerung reagieren muß. Jede Generation muß das tun, und immer wieder neu sind die Formen, in denen dieser Zentralismus Einlaß begehrt. Er tut es schön eingefügt in historische Konstellationen, und er tut es immer über "Erleichterungen", über "Problemlösungen", siehe oben. Man denke hier an den Sozialstaat, der sich klammheimlich und durch zu geringe Achtsamkeit aus einer christlich sehr gut fundierten Nächstenliebe (die historisch seit je das Gepräge sozialer Einheiten war, weit mehr als behauptet wird) als jedes individuell betreffende Gebot der sozialen Gemeinschaft zu einem Zentralismus entwickelt hat, der heute die Basis des menschlichen Zusammenlebens angreift und mittlerweile sogar direkt zerstört. (Etwa, indem er in die Ehe eingreift.)


Morgen Teil 2)